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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vom erschütternden Einzelfall zur abwegigen Verallgemeinerung: Georgiana Banita denkt über Polizeigewalt nach und macht es sich dabei allzu leicht
Einer polizeilichen Zwangsmaßnahme unterzogen zu werden ist für alle Betroffenen unangenehm. Die Gefahr, dabei massive Verletzungen davonzutragen, ist jedoch höchst ungleich verteilt. So kann nach einer von der Bamberger Kulturwissenschaftlerin Georgiana Banita angeführten Untersuchung in den Vereinigten Staaten etwa einer von tausend afroamerikanischen Männern damit rechnen, irgendwann von der Polizei getötet zu werden. Dieses Risiko liege zweieinhalbmal höher als bei weißen Männern und erreiche seinen Höhepunkt im Alter zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren. "Etwas anschaulicher formuliert: In den USA leben derzeit etwa 21.000 Schwarze Männer, die wahrscheinlich durch Polizeigewalt sterben werden."
Wie steht es im Vergleich dazu in Deutschland? Die provokante Kernaussage von Banitas Buch lautet: Nicht viel besser. Die "sich häufenden, teils öffentlichen Gewaltexzesse der deutschen Polizei" gegen fremd aussehende, namentlich geflüchtete Menschen, zeigten vielmehr, "dass auch hierzulande bereits amerikanische Verhältnisse herrschen, allerdings ohne den üblichen Sturm der Entrüstung, der in der afroamerikanischen Community bei derartigen Overkill-Situationen - zu Recht - losbricht".
Überraschend ist dieser Befund nach Überzeugung der Autorin keineswegs; in ihm trete vielmehr der intrinsische Defekt aller Polizeisysteme zutage. "Von ihren allerersten Ausformungen an war die Polizei von einer eklatanten Missachtung der Rechte vermeintlich minderwertiger Menschenleben und einer gefühllosen Akzeptanz ihres Leids geprägt." Daran habe sich bis heute nichts Entscheidendes geändert. "Geprägt von ihrem tradierten, rassistisch, kolonialistisch und faschistisch durchzogenen Weltanschauungssystem kriminalisiert, misshandelt, kodifiziert und deportiert die Polizei sozial ausgegrenzte Gruppen."
Der einzige Unterschied zu den ganz finsteren Perioden der Vergangenheit bestehe darin, dass "an die Stelle des organisierten Sozialrassismus ehemaliger Vernichtungssysteme nun multiple, habituelle Repressionen gegen ökonomisch abgehängte und sozial ausgegrenzte Schwarze Menschen und People of Color getreten" seien. Im Grunde aber sei die absolute Macht, die die berüchtigten Polizeibataillone hinter der Ostfront gegen jüdische Frauen und Kinder ausgeübt hätten, "vergleichbar mit dem impliziten Gewaltmonopol eines bewaffneten Polizisten über unbewaffnete Zivilisten". Konsequenterweise hält Banita die "teilweise extrem zugespitzten Anti-Polizei-Diskurse" wie etwa den vor einigen Monaten in der "taz" veröffentlichten, angeblich satirisch gemeinten Vorschlag, Polizeibeamte künftig auf Müllhalden einzusetzen, weil sie sich unter ihresgleichen am wohlsten fühlten, nicht etwa für menschenverachtende Entgleisungen, sondern für Dokumente der Verzweiflung vieler Kunstschaffender angesichts der öffentlichen Gleichgültigkeit gegenüber polizeilicher Diskriminierung und Gewalt.
Dies sind, vorsichtig gesprochen, steile Thesen. Mit ihrer Begründung macht Banita es sich indessen allzu einfach. Bedenkenlos zwischen den USA und Deutschland hin und her springend, verliert sie beispielsweise kein Wort über die fundamentalen Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Polizeisystem, von der Personalrekrutierung über die Ausbildung bis hin zur rechtlichen Einhegung und Kontrolle der polizeilichen Tätigkeit. Banita begnügt sich stattdessen weitgehend mit der Schilderung drastischer Einzelfälle, aus denen sie sodann denkbar weitreichende Schlüsse zieht. Die bis heute ungeklärten Todesumstände des aus Sierra Leone stammenden Asylbewerbers Oury Jalloh, der 2005 in der Ausnüchterungszelle eines Dessauer Polizeireviers verbrannte, veranlassen sie beispielsweise dazu, der sachsen-anhaltinischen Polizei als Ganzem eine "institutionell verankerte rassistische und faschistische Gesinnung" zu unterstellen. Und Jean Amérys erschütternde Schilderung dessen, was die Gestapo-Folterer mit den Körpern und Seelen ihrer Opfer anrichteten, legt in den Worten Banitas die Folgerung nahe, "dass die direkten Spuren oder die beängstigende Vorstellung von Folter kein punktuell eingesetztes Terrorinstrument, sondern fester Bestandteil jeder Polizeimacht sind". Derartige Generalisierungen sind derart abwegig und perfide, dass sich jeder weitere Kommentar dazu erübrigt.
Ein besonderes Ärgernis des Buches ist die verächtliche Gleichgültigkeit, die die Autorin dem deutschen Rechtssystem gegenüber an den Tag legt. Wenn sie den NSU-Prozess dafür kritisiert, dass er die Sehnsucht nach "einer absoluten, einer erlösenden Wahrheit" unbefriedigt gelassen habe, so kann man ihr nur erwidern: Zum Glück hat er das, denn derartige Forderungen lassen sich mit den Mitteln des Rechtsstaats unmöglich erfüllen. Wenn Banita darüber hinaus polizeilichen Vorgesetzten ohne irgendwelche Belege eine gezielte Strategie zur Verhinderung der Strafverfolgung brutaler Polizisten zuschreibt und Strafgerichten ebenso pauschal bescheinigt, verfahrenstechnische Mängel als Feigenblatt für moralische Verfehlungen zu missbrauchen, so erinnert dies eher an verschwörungstheoretisches Geraune als an Aussagen mit wissenschaftlichem Anspruch.
Und wenn die Autorin schließlich das deutsche Asylsystem als das zynische Produkt einer Wegwerfgesellschaft verunglimpft, welches es der hiesigen Gesellschaft erlaube, farbige Schutzsuchende ähnlich wie Amazon-Pakete jederzeit in ihre Herkunftsländer zu "retournieren" und sie gegen bemittelte, wirtschaftlich nützliche und nicht zuletzt weiße Einwanderer auszuwechseln, so spricht dies der Rechtswirklichkeit in einer Weise Hohn, die nur noch Staunen hervorruft.
Die Maßlosigkeiten, mit denen Banita ihr Buch als ernst zu nehmenden Diskussionsbeitrag disqualifiziert, sind vor allem deshalb so bedauerlich, weil an der Dringlichkeit des von ihr behandelten Themas nicht zu zweifeln ist. Von der im Polizeialltag wohl schwer zu leugnenden Tendenz zum racial profiling über die zunehmende Aufrüstung der Polizei mit militärähnlichen Waffen bis hin zum immer unbedenklicheren Einsatz Künstlicher Intelligenz weit im Vorfeld konkreter Gefahrensituationen gibt es eine Vielzahl von Problemfeldern, die der kritischen Diskussion, auch und gerade außerhalb der wissenschaftlichen Fachkreise, bedürfen. Dies erfordert aber die Bereitschaft, sich ernsthaft auf die soziale Wirklichkeit einzulassen, statt sie von vornherein in den Schraubstock einseitiger politischer Vorannahmen zu spannen. Schade um die vergebene Chance. MICHAEL PAWLIK
Georgiana Banita: "Phantombilder". Die Polizei und der verdächtige Fremde.
Edition Nautilus, Hamburg 2023. 479 S., br., 24,- Euro.
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