Die Maschine ist die große Unbekannte des Denkens. Wen dies sonderbar anmutet, weil man ihr als Metapher überall begegnet, werfe einen Blick auf unser Bild von Gott : Nacheinander wurde er von der Kultur zum Theaterereignis, zum Uhrmacher und schließlich zum Programmierer umgeschult. Worin liegt der philosophische Nerv der Maschine, dieser großen Unbekannten des Denkens ? Ausgehend von der Rätselfrage des ›deus ex machina‹ wird der Leser in kurzen, prägnanten Abschnitten mit dem ›Denken ohne Denker‹ konfrontiert. Über die historischen Exkursionen hinaus führt Martin Burckhardt in dieser philosophischen Grundlegung den Leser in die Gegenwart auf den so langsamen wie unweigerlichen Rückzug der Philosophie und der gleichzeitigen Explosion maschineller Intelligenzen hin. Die Maschine ist kein technisches Gadget mehr, sondern längst zur geistigen Größe geworden. Sie ist das Unbewusste der Philosophie, der Gesellschaft überhaupt. Würde der Geist der Maschine freigesetzt, wäre endlich eine nun von allem metaphysischen Ballast befreite, radikal geistesgegenwärtige Philosophie denkbar.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2018Die Kultur ist eine Engelmacherin
Martin Burckhardt sieht in der Maschine den blinden Fleck der Philosophie
Genitivtitel wollen gedeutet sein. Wenn der Kulturhistoriker Martin Burckhardt von einer "Philosophie der Maschine" spricht, so zielt er nicht darauf, das Wesen der Maschine durch eine wie auch immer geartete philosophische Methode oder Begrifflichkeit zu definieren; vielmehr erblickt er in der Maschine den blinden Fleck der Philosophie. Nicht also, wie die Maschine gedacht werden kann, sondern wie sie das Denken der Philosophen geprägt hat und welche geheimen Verbindungen sie zu ihm unterhält, ist seine Frage.
Aus dieser Perspektive erweist sich die Maschine als eine Bedingung der Philosophie, die diese immer wieder hat verdrängen müssen, um ihre Ordnungsansprüche geltend zu machen. Die Logik dieser Selbstermächtigung ist dabei nach Burckhardt stets dieselbe: In ihren historisch verschiedenen Ausprägungen habe sich die Philosophie das metaphorische und konzeptuelle Potential des jeweils aktuellen Maschinentyps angeeignet, indem sie die in ihm akkumulierte, gleichsam anonyme Form von Rationalität begrifflich verallgemeinerte. Diese Operation habe letztlich in eine Verdrängung des konkreten Artefakts gemündet, das zu einem bloßen Derivat des jeweils aufgestellten metaphysischen Prinzips herabgewürdigt wurde.
Derart konnte Platon behaupten, dass die lebendige Schrift in der Seele der materiellen Schrift vorausgehe, während doch allererst das griechische Vokalalphabet - eine universale symbolische Maschine - in seiner Loslösung von jedem Weltbezug des Zeichens, in seiner reinen Idealität, den platonischen Ewigkeitsglauben ermöglicht habe Und so wie Descartes, ausgehend von den Räderwerkautomaten seiner Zeit, eine maschinelle Metaphysik entwirft, orientierten sich auch viele Forscher heute am Computer, wenn sie das Gehirn auf eine informationsverarbeitende Maschine reduzieren.
Dieser diagnostizierten "metaphysischen Selbstverzauberung" setzt Burckhardt ein "Bewusstsein der Geschichtlichkeit" entgegen. Die Wahrheiten der Philosophie sollen aus dem Ideenhimmel zurück auf den Boden der technischen Revolutionen geholt werden. Dennoch beschränkt sich dieses Vorhaben keineswegs auf eine reine Technikgeschichte. Die Maschine ist für Burckhardt kein materielles Objekt, mithin nichts Gerätehaftes, sondern zuallererst ein symbolisches, ja phantasmatisches Dispositiv, ein "Möglichkeitsraum", dessen Metamorphosen es in zunächst eher unerwarteten Gebieten wie Religion, Mythologie und Geschichte nachzuzeichnen gilt.
Der Vorteil der Maschine, so meinte einmal Oswald Wiener, bestehe darin, exakt definierbar zu sein. Burckhardt plädiert demgegenüber für einen unscharfen, "ausflockenden" Maschinenbegriff, der ein möglichst großes Spektrum unterschiedlicher Mechanismen, Praktiken und Institutionen von der griechischen Antike bis in die Gegenwart umfasst. Der Denker einer Philosophie der Maschine - und damit meint Burckhardt offenbar sich selbst - müsse sich in das historische "Gedankenlabyrinth" wagen.
Labyrinthisch sind Burckhardts Wege in der Tat. Metallurgische Verfahren, in denen sich die Unterscheidung zwischen Form und Materie anbahnt, werden von ihm ebenso behandelt wie die Anfänge des griechischen Alphabets, das die sprachlichen Laute erstmals in distinkte, kombinierbare Elemente zerlegt. Den Effekten dieser Abstraktionsleistung geht er in der antiken Pädagogik und Naturphilosophie, im Heereswesen Spartas und der pythagoreischen Esoterik nach. Im Entkörperlichungsstreben der Gnosis und des frühen Christentums sieht er sie noch einmal radikalisiert. Die Automaten des Mittelalters und das Dogma der unbefleckten Empfängnis, Jacquards Webstuhl und die elektrischen Experimente des Abbé Nollet, Charles Babbages Rechenmaschine und die Boolesche Logik sind nur einige der weiteren Etappen, denen Burckhardt oft überraschende, mal mehrere Seiten umfassende, mal aphoristisch zugespitzte Einzeldeutungen widmet.
Was diese zunächst disparat scheinenden Themen und Motive miteinander verbindet, ist die symbolische Überwindung der Welt zugunsten eines ewigen, körperlosen Seins. Diese Bewegung komme bereits in der ursprünglichen Wortbedeutung der Maschine zum Ausdruck. Sie ist eine List, ein Betrug an der Natur. Ihr letztes Ziel: die Weltvernichtung.
In diesem Sinne bezeichnet Burckhardt die Kultur als "Engelmacherin". Damit sich die Gedanken engelsgleich in den Himmel erheben können, muss die unreine Materie abgetrieben werden. Dies ist für ihn zugleich der Punkt, an dem die Jenseitssehnsüchte der Philosophie mit der zunehmenden Miniaturisierung, ja Verflüchtigung der Schaltkreise zusammenfallen. Indem sie das philosophische Phantasma eines reinen Denkens realisiert, wird die Maschine zu einer zweiten Natur, deren vermeintlichen Gesetzen und Sachzwängen nur durch den Verweis auf ihre Künstlichkeit zu entkommen ist.
Darin besteht die aufklärerische Pointe dieser enzyklopädisch angelegten, von großer Gelehrsamkeit zeugenden Philosophie der Maschine. Nicht allen Analogien, die Burckhardt zwischen bisweilen weit entfernten Phänomenen herstellt, wird man gleichermaßen zustimmen wollen. Auch mag die Gewichtung einzelner Epochen und Denker Anlass zu Fragen geben: Für die Herausbildung der modernen Logik entscheidende Philosophen des Mittelalters wie Duns Scotus oder Ramon Llull werden übergangen, Leibniz nur am Rande, Theoretiker der Maschine wie Gilbert Simondon oder Friedrich Kittler gar nicht erwähnt.
Dabei hätten sie sich gut in das von Burckhardt gezeichnete Panorama eingefügt, das zuletzt dem Leser die Antwort überlässt, ob die Herrschaft der Maschine zu einem Verschwinden des Menschen oder zu einer ungeahnten Steigerung des von allem Irdischen befreiten Denkens führen wird.
MAXIMILIAN GILLESSEN
Martin Burckhardt:
"Philosophie der Maschine".
Matthes und Seitz Verlag, Berlin 2018. 358 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Martin Burckhardt sieht in der Maschine den blinden Fleck der Philosophie
Genitivtitel wollen gedeutet sein. Wenn der Kulturhistoriker Martin Burckhardt von einer "Philosophie der Maschine" spricht, so zielt er nicht darauf, das Wesen der Maschine durch eine wie auch immer geartete philosophische Methode oder Begrifflichkeit zu definieren; vielmehr erblickt er in der Maschine den blinden Fleck der Philosophie. Nicht also, wie die Maschine gedacht werden kann, sondern wie sie das Denken der Philosophen geprägt hat und welche geheimen Verbindungen sie zu ihm unterhält, ist seine Frage.
Aus dieser Perspektive erweist sich die Maschine als eine Bedingung der Philosophie, die diese immer wieder hat verdrängen müssen, um ihre Ordnungsansprüche geltend zu machen. Die Logik dieser Selbstermächtigung ist dabei nach Burckhardt stets dieselbe: In ihren historisch verschiedenen Ausprägungen habe sich die Philosophie das metaphorische und konzeptuelle Potential des jeweils aktuellen Maschinentyps angeeignet, indem sie die in ihm akkumulierte, gleichsam anonyme Form von Rationalität begrifflich verallgemeinerte. Diese Operation habe letztlich in eine Verdrängung des konkreten Artefakts gemündet, das zu einem bloßen Derivat des jeweils aufgestellten metaphysischen Prinzips herabgewürdigt wurde.
Derart konnte Platon behaupten, dass die lebendige Schrift in der Seele der materiellen Schrift vorausgehe, während doch allererst das griechische Vokalalphabet - eine universale symbolische Maschine - in seiner Loslösung von jedem Weltbezug des Zeichens, in seiner reinen Idealität, den platonischen Ewigkeitsglauben ermöglicht habe Und so wie Descartes, ausgehend von den Räderwerkautomaten seiner Zeit, eine maschinelle Metaphysik entwirft, orientierten sich auch viele Forscher heute am Computer, wenn sie das Gehirn auf eine informationsverarbeitende Maschine reduzieren.
Dieser diagnostizierten "metaphysischen Selbstverzauberung" setzt Burckhardt ein "Bewusstsein der Geschichtlichkeit" entgegen. Die Wahrheiten der Philosophie sollen aus dem Ideenhimmel zurück auf den Boden der technischen Revolutionen geholt werden. Dennoch beschränkt sich dieses Vorhaben keineswegs auf eine reine Technikgeschichte. Die Maschine ist für Burckhardt kein materielles Objekt, mithin nichts Gerätehaftes, sondern zuallererst ein symbolisches, ja phantasmatisches Dispositiv, ein "Möglichkeitsraum", dessen Metamorphosen es in zunächst eher unerwarteten Gebieten wie Religion, Mythologie und Geschichte nachzuzeichnen gilt.
Der Vorteil der Maschine, so meinte einmal Oswald Wiener, bestehe darin, exakt definierbar zu sein. Burckhardt plädiert demgegenüber für einen unscharfen, "ausflockenden" Maschinenbegriff, der ein möglichst großes Spektrum unterschiedlicher Mechanismen, Praktiken und Institutionen von der griechischen Antike bis in die Gegenwart umfasst. Der Denker einer Philosophie der Maschine - und damit meint Burckhardt offenbar sich selbst - müsse sich in das historische "Gedankenlabyrinth" wagen.
Labyrinthisch sind Burckhardts Wege in der Tat. Metallurgische Verfahren, in denen sich die Unterscheidung zwischen Form und Materie anbahnt, werden von ihm ebenso behandelt wie die Anfänge des griechischen Alphabets, das die sprachlichen Laute erstmals in distinkte, kombinierbare Elemente zerlegt. Den Effekten dieser Abstraktionsleistung geht er in der antiken Pädagogik und Naturphilosophie, im Heereswesen Spartas und der pythagoreischen Esoterik nach. Im Entkörperlichungsstreben der Gnosis und des frühen Christentums sieht er sie noch einmal radikalisiert. Die Automaten des Mittelalters und das Dogma der unbefleckten Empfängnis, Jacquards Webstuhl und die elektrischen Experimente des Abbé Nollet, Charles Babbages Rechenmaschine und die Boolesche Logik sind nur einige der weiteren Etappen, denen Burckhardt oft überraschende, mal mehrere Seiten umfassende, mal aphoristisch zugespitzte Einzeldeutungen widmet.
Was diese zunächst disparat scheinenden Themen und Motive miteinander verbindet, ist die symbolische Überwindung der Welt zugunsten eines ewigen, körperlosen Seins. Diese Bewegung komme bereits in der ursprünglichen Wortbedeutung der Maschine zum Ausdruck. Sie ist eine List, ein Betrug an der Natur. Ihr letztes Ziel: die Weltvernichtung.
In diesem Sinne bezeichnet Burckhardt die Kultur als "Engelmacherin". Damit sich die Gedanken engelsgleich in den Himmel erheben können, muss die unreine Materie abgetrieben werden. Dies ist für ihn zugleich der Punkt, an dem die Jenseitssehnsüchte der Philosophie mit der zunehmenden Miniaturisierung, ja Verflüchtigung der Schaltkreise zusammenfallen. Indem sie das philosophische Phantasma eines reinen Denkens realisiert, wird die Maschine zu einer zweiten Natur, deren vermeintlichen Gesetzen und Sachzwängen nur durch den Verweis auf ihre Künstlichkeit zu entkommen ist.
Darin besteht die aufklärerische Pointe dieser enzyklopädisch angelegten, von großer Gelehrsamkeit zeugenden Philosophie der Maschine. Nicht allen Analogien, die Burckhardt zwischen bisweilen weit entfernten Phänomenen herstellt, wird man gleichermaßen zustimmen wollen. Auch mag die Gewichtung einzelner Epochen und Denker Anlass zu Fragen geben: Für die Herausbildung der modernen Logik entscheidende Philosophen des Mittelalters wie Duns Scotus oder Ramon Llull werden übergangen, Leibniz nur am Rande, Theoretiker der Maschine wie Gilbert Simondon oder Friedrich Kittler gar nicht erwähnt.
Dabei hätten sie sich gut in das von Burckhardt gezeichnete Panorama eingefügt, das zuletzt dem Leser die Antwort überlässt, ob die Herrschaft der Maschine zu einem Verschwinden des Menschen oder zu einer ungeahnten Steigerung des von allem Irdischen befreiten Denkens führen wird.
MAXIMILIAN GILLESSEN
Martin Burckhardt:
"Philosophie der Maschine".
Matthes und Seitz Verlag, Berlin 2018. 358 S., geb., 28,- [Euro].
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