Was ist Jazz? Wie unterscheidet er sich von anderen Arten von Musik? Und inwieweit handelt es sich bei ihm um einen besonders interessanten Gegenstand für das Nachdenken über ästhetische Fragen? Das vorliegende Buch stellt die erste philosophische Auseinandersetzung dar, die sich dem Jazz widmet. Daniel Martin Feige geht darin der Frage des Verhältnisses zwischen Jazz und europäischer Kunstmusik nach und untersucht den Zusammenhang zwischen Musiker und Tradition sowie zwischen Werk und Improvisation. Dabei lässt er sich von der originellen These leiten, dass erst im Jazz zentrale Aspekte musikalischer Praxis überhaupt explizit gemacht werden, die in der Tradition europäischer Kunstmusik implizit bleiben.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Was Daniel Martin Feige in seiner "Philosophie des Jazz" schreibt, gefällt Ueli Bernays entschieden besser als Adornos am Gegenstand vorbeizielende Kritik und Diederich Diederichsens jüngste Analyse in "Über Pop-Musik". Mit musiktheoretischer Kompetenz entwickelt Feige sein Verständnis des Verhältnisses von Improvisation, Komposition und Interpretation an seinem Werkbegriff entlang, erklärt der Rezensent: ein Werk lasse sich nur aus einer Tradition heraus und als Aktualisierung derselben verstehen, ähnlich den Zügen bei einem Brettspiel, die nur aus einer gegebenen Spielsituation heraus Sinn machen und selbst wieder eine neue Situation bewirken. Das gilt für abstrakte Moden ebenso wie für konkrete Werke, so Bernays, Improvisation ist immer die Interpretation einer Komposition, wenn sie überhaupt sinnhaft sein soll, und verändert gleichzeitig die Bedeutung der ursprünglichen Komposition. Der Rezensent äußert allerdings Bedenken, ob das Buch weniger philosophieaffinen Lesern zugänglich ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2014Der Sound, der Swing und der Song
Auch beim Schreiben sollte man gelegentlich relaxt sein: Daniel Martin Feiges „Philosophie des Jazz“ ist arg prätentiös geraten
Was wir bis jetzt noch nicht über Jazz wussten, der Autor, promovierter Philosoph und aktiver Jazzmusiker, sagt es uns: Jazz ist ein „interessanter Gegenstand“ für die Philosophie, und beider Praxis, befindet er, sei ein „dialogisches Geschehen“. Doch die von ihm gelegentlich in Fußnoten vage angedeutete philosophische Literatur macht seinen Text weder zu einem philosophischen noch erhärtet sie seine Thesen. Was dies gewichtig auftretende und sperrig geschriebene Bändchen bietet, sind nicht eben originäre Gedanken zu einer nun mehr als hundert Jahre alten neuen Musik, dem Jazz.
Derzeit wird Jazz (und dessen Derivate) unbedacht und pauschal unter den Begriff „improvisierte Musik“ subsumiert. Daniel Martin Feige macht – mit ausgiebigen Verweisen auf internationale Jazzstudien - klar, dass dies eine notwendige, aber keine hinreichende Kategorisierung darstellt. Denn auch in der vorromantischen „europäischen Kunstmusik“ spielte bekanntlich Improvisation eine beachtliche Rolle. Im Jazz andererseits machten die später Big Band genannten Orchester durchkomponierte, durcharrangierte Musik mit improvisierten solistischen Einlagen, was in etwa dem Begriff „Werk“ entspricht, mit dem Feige die Komposition in der europäischen Tradition belegt.
Der orchestrale Jazz, dem Feige viel zu wenig Raum gewährt, war ja fraglos von den zwanziger bis in die sechziger Jahre das, was man unter Jazz schlechthin verstand. Die späteren, überwiegend ökonomischer Not geschuldeten kleinen Besetzungen waren per se auf ausgedehnte Improvisationen angewiesen, die, wie Feige klar macht, ein künstlerisches Medium sui generis darstellen.
Er weist sodann auf die Kontraste wie die Überlappungen später „europäischer Kunstmusik“ mit dem Jazz deutlich. Das „Werk“ der Klassik, so wird manchmal ermüdend redundant expliziert, sei weder mit der Partitur noch mit der Aufführung noch mit Ideen im Kopf des Komponisten identisch, und natürlich auch nicht mit dem Jazz-Standard, dem Song. Feiges „performative Reformulierung“ des Werkbegriffs mündet in die vorläufige Bestimmung, das Werk sei „kein abstraktes Seiendes“, lebe vielmehr erst durch seine Aufführung; doch zugleich rangiere es als „Grundlage und normative Richtlinie“ der Aufführung. Dem wird die Jazzpraxis der Improvisation über Standards zur Seite gestellt, wobei Feige treffende Analysen gelingen, getrübt hier und da durch hausmannsphilosophische Blähungen, etwa den Begriff der Tradition.
Tradition, nur die echte, versteht sich, wird als „Verkörperung künstlerischen Handelns“ gedeutet. Dazu gehören die kollektiven Improvisationen, die „Interaktionen“ der improvisierenden Musiker, die ja oft einem ans Wunderbare grenzenden „Drahtseilakt“ gleichen. In ihnen, heißt es ziemlich mysteriös, geschehe „explizit“, was in der klassischen Musik „implizit“ stecke. Interaktionen werden schließlich als „ästhetische Miniaturen einer gelingenden Lebensführung überhaupt“ übersteigert. (Die andere, immer wieder geäußerte Ansicht, der Jazz sei ein bestimmtes „feeling“, Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls, hätte hier einige „philosophische“ Bemerkungen verdient.)
Das unleugbar improvisatorische Konstituens des Jazz kommt indes schon im Solospiel zum Vorschein: Kein Pianist oder Trompeter von Rang würde beispielsweise die transkribierte sheet music anderer einstudieren, überhaupt „nach Noten“ spielen, ja nicht einmal seine eigenen Improvisationen eins-zu-eins an verschiedenen Abenden nachspielen. Hier ist Jazz Gespräch des Künstlers mit sich selbst. Man denke etwa an die bruckner-langen Improvisationen von Keith Jarrett. (Bei denen sich allerdings auch die prinzipiell negative Konnotation der so gepriesenen Improvisation offenbaren: das Provisorium, der Leerlauf, das Herumfummeln.)
Bleibt Feige im musikologischen Bereich, trifft er, auch wenn er mit Beispielen geizt (Notenbeispiele gibt es ebenfalls nicht), feinkörnige Differenzierungen spezifischer Jazzelemente. Unter anderem macht er das kennzeichnende, aber schwer fassbare Moment des „Swing“ als „Gleichzeitigkeit von Anspannung und Entspannung, als zugleich treibend und relaxt“ sowie vor allem als „Aufbrechen der Synkope“ verständlich und erklärt zu Recht, „eine derartige rhythmische Qualität ist eine wesentliche Neuerung des Jazz gegenüber der Tradition der europäischen Kunstmusik“. Swing ist indes keine conditio sine qua non, denn es gibt durchaus Jazz ohne dieses Moment. Schon durch seine neuartigen, erweiterten Harmonien sowie durch den „sound“ (früher ein Markenzeichen der diversen Orchester) bleibt Jazz als solcher kenntlich.
Bei der vorherigen Erörterung des Werkbegriffs vermisst man übrigens schmerzlich ein Eingehen auf jene elementaren Fragen, die den Jazz-Adepten seit je umgetrieben haben, insofern es ihm darum ging, diese Musik aus den Niederungen banaler Unterhaltungsmusik in die Höhen der Kunstmusik zu heben. Sind, so fragt es sich weiterhin, die Jazzimprovisationen bloße Verzierungen, embellishments, Umspielungen, Variationen, oder hat man sie als strenge Durchführungen nach Art klassisch europäischer Musik zu werten?
Mehr Kopfzerbrechen machte den Jazzfans, dass die Jazz-Standards ihrem kurzatmigen Songschema (aa-b-a) von durchschnittlich 32 Takten, also dem Schlager- und Liedschema, weitgehend verhaftet blieben. Klassik-Fans mit ihrer mehrhundertjährigen Tradition formaler Evolution im Rücken sowie zeitweise mit dem Jazz flirtende „seriöse“ Komponisten blickten verächtlich auf die formal bedingte Ausdrucksarmut des Jazz. Was, so die weiteren Bedenken, denen Feige nicht eindringlich genug nachgeht, soll überhaupt im Jazz als Werk, als Komposition gelten, der Standard, der Song? Verdienen eine Handvoll Takte schon den Namen Komposition? Solche Notationen, schränkt Feiges ein, besäßen natürlich nicht den Status von Partituren. Oder ist die Improvisation darüber das „Werk“? Wie steht es aber um den orchestralen (big band) Jazz, um das so ausschlaggebende Arrangement? Ist dies das „Werk“, und der Arrangeur der Komponist, der Tonsetzer?
David Martin Feiges ambitioniertes Unternehmen stellt im deutschen Sprachraum einen philosophisch irrelevanten, ansonsten aber achtenswerten Versuch dar, dem Wesen des Jazz auf den Grund zu kommen.
WILLY HOCHKEPPEL
Zu hausmannsphilosophischen
Blähungen kommt es
beim Begriff „Tradition“
Daniel Martin Feige: Philosophie des Jazz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 142 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Auch beim Schreiben sollte man gelegentlich relaxt sein: Daniel Martin Feiges „Philosophie des Jazz“ ist arg prätentiös geraten
Was wir bis jetzt noch nicht über Jazz wussten, der Autor, promovierter Philosoph und aktiver Jazzmusiker, sagt es uns: Jazz ist ein „interessanter Gegenstand“ für die Philosophie, und beider Praxis, befindet er, sei ein „dialogisches Geschehen“. Doch die von ihm gelegentlich in Fußnoten vage angedeutete philosophische Literatur macht seinen Text weder zu einem philosophischen noch erhärtet sie seine Thesen. Was dies gewichtig auftretende und sperrig geschriebene Bändchen bietet, sind nicht eben originäre Gedanken zu einer nun mehr als hundert Jahre alten neuen Musik, dem Jazz.
Derzeit wird Jazz (und dessen Derivate) unbedacht und pauschal unter den Begriff „improvisierte Musik“ subsumiert. Daniel Martin Feige macht – mit ausgiebigen Verweisen auf internationale Jazzstudien - klar, dass dies eine notwendige, aber keine hinreichende Kategorisierung darstellt. Denn auch in der vorromantischen „europäischen Kunstmusik“ spielte bekanntlich Improvisation eine beachtliche Rolle. Im Jazz andererseits machten die später Big Band genannten Orchester durchkomponierte, durcharrangierte Musik mit improvisierten solistischen Einlagen, was in etwa dem Begriff „Werk“ entspricht, mit dem Feige die Komposition in der europäischen Tradition belegt.
Der orchestrale Jazz, dem Feige viel zu wenig Raum gewährt, war ja fraglos von den zwanziger bis in die sechziger Jahre das, was man unter Jazz schlechthin verstand. Die späteren, überwiegend ökonomischer Not geschuldeten kleinen Besetzungen waren per se auf ausgedehnte Improvisationen angewiesen, die, wie Feige klar macht, ein künstlerisches Medium sui generis darstellen.
Er weist sodann auf die Kontraste wie die Überlappungen später „europäischer Kunstmusik“ mit dem Jazz deutlich. Das „Werk“ der Klassik, so wird manchmal ermüdend redundant expliziert, sei weder mit der Partitur noch mit der Aufführung noch mit Ideen im Kopf des Komponisten identisch, und natürlich auch nicht mit dem Jazz-Standard, dem Song. Feiges „performative Reformulierung“ des Werkbegriffs mündet in die vorläufige Bestimmung, das Werk sei „kein abstraktes Seiendes“, lebe vielmehr erst durch seine Aufführung; doch zugleich rangiere es als „Grundlage und normative Richtlinie“ der Aufführung. Dem wird die Jazzpraxis der Improvisation über Standards zur Seite gestellt, wobei Feige treffende Analysen gelingen, getrübt hier und da durch hausmannsphilosophische Blähungen, etwa den Begriff der Tradition.
Tradition, nur die echte, versteht sich, wird als „Verkörperung künstlerischen Handelns“ gedeutet. Dazu gehören die kollektiven Improvisationen, die „Interaktionen“ der improvisierenden Musiker, die ja oft einem ans Wunderbare grenzenden „Drahtseilakt“ gleichen. In ihnen, heißt es ziemlich mysteriös, geschehe „explizit“, was in der klassischen Musik „implizit“ stecke. Interaktionen werden schließlich als „ästhetische Miniaturen einer gelingenden Lebensführung überhaupt“ übersteigert. (Die andere, immer wieder geäußerte Ansicht, der Jazz sei ein bestimmtes „feeling“, Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls, hätte hier einige „philosophische“ Bemerkungen verdient.)
Das unleugbar improvisatorische Konstituens des Jazz kommt indes schon im Solospiel zum Vorschein: Kein Pianist oder Trompeter von Rang würde beispielsweise die transkribierte sheet music anderer einstudieren, überhaupt „nach Noten“ spielen, ja nicht einmal seine eigenen Improvisationen eins-zu-eins an verschiedenen Abenden nachspielen. Hier ist Jazz Gespräch des Künstlers mit sich selbst. Man denke etwa an die bruckner-langen Improvisationen von Keith Jarrett. (Bei denen sich allerdings auch die prinzipiell negative Konnotation der so gepriesenen Improvisation offenbaren: das Provisorium, der Leerlauf, das Herumfummeln.)
Bleibt Feige im musikologischen Bereich, trifft er, auch wenn er mit Beispielen geizt (Notenbeispiele gibt es ebenfalls nicht), feinkörnige Differenzierungen spezifischer Jazzelemente. Unter anderem macht er das kennzeichnende, aber schwer fassbare Moment des „Swing“ als „Gleichzeitigkeit von Anspannung und Entspannung, als zugleich treibend und relaxt“ sowie vor allem als „Aufbrechen der Synkope“ verständlich und erklärt zu Recht, „eine derartige rhythmische Qualität ist eine wesentliche Neuerung des Jazz gegenüber der Tradition der europäischen Kunstmusik“. Swing ist indes keine conditio sine qua non, denn es gibt durchaus Jazz ohne dieses Moment. Schon durch seine neuartigen, erweiterten Harmonien sowie durch den „sound“ (früher ein Markenzeichen der diversen Orchester) bleibt Jazz als solcher kenntlich.
Bei der vorherigen Erörterung des Werkbegriffs vermisst man übrigens schmerzlich ein Eingehen auf jene elementaren Fragen, die den Jazz-Adepten seit je umgetrieben haben, insofern es ihm darum ging, diese Musik aus den Niederungen banaler Unterhaltungsmusik in die Höhen der Kunstmusik zu heben. Sind, so fragt es sich weiterhin, die Jazzimprovisationen bloße Verzierungen, embellishments, Umspielungen, Variationen, oder hat man sie als strenge Durchführungen nach Art klassisch europäischer Musik zu werten?
Mehr Kopfzerbrechen machte den Jazzfans, dass die Jazz-Standards ihrem kurzatmigen Songschema (aa-b-a) von durchschnittlich 32 Takten, also dem Schlager- und Liedschema, weitgehend verhaftet blieben. Klassik-Fans mit ihrer mehrhundertjährigen Tradition formaler Evolution im Rücken sowie zeitweise mit dem Jazz flirtende „seriöse“ Komponisten blickten verächtlich auf die formal bedingte Ausdrucksarmut des Jazz. Was, so die weiteren Bedenken, denen Feige nicht eindringlich genug nachgeht, soll überhaupt im Jazz als Werk, als Komposition gelten, der Standard, der Song? Verdienen eine Handvoll Takte schon den Namen Komposition? Solche Notationen, schränkt Feiges ein, besäßen natürlich nicht den Status von Partituren. Oder ist die Improvisation darüber das „Werk“? Wie steht es aber um den orchestralen (big band) Jazz, um das so ausschlaggebende Arrangement? Ist dies das „Werk“, und der Arrangeur der Komponist, der Tonsetzer?
David Martin Feiges ambitioniertes Unternehmen stellt im deutschen Sprachraum einen philosophisch irrelevanten, ansonsten aber achtenswerten Versuch dar, dem Wesen des Jazz auf den Grund zu kommen.
WILLY HOCHKEPPEL
Zu hausmannsphilosophischen
Blähungen kommt es
beim Begriff „Tradition“
Daniel Martin Feige: Philosophie des Jazz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 142 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2014Auf die Persönlichkeit kommt es an
Im Swing der Begriffe: Daniel M. Feige riskiert eine Philosophie des Jazz
Es hat lange gedauert, bis die Philosophie hellhörig für den Jazz wurde. Theodor W. Adorno musste derweil stellvertretend für die Zunft viele Prügel einstecken. Denn seine Ideologiekritik legte sich einen Jazz zurecht, der allein aus Stereotypen der Swing-Musik besteht. Nun ist ein Büchlein erschienen, das dieser unrühmlichen Periode zumal der deutschen Philosophie ein Ende setzt. Der Autor, Daniel Martin Feige, ist promovierter Philosoph und selbst Jazzmusiker.
Aber was kann die Philosophie über den Jazz eigentlich sagen? Diese Frage kann man selbstredend nicht beantworten, ohne zugleich zu sagen, was man unter Philosophie verstehen möchte. Feige schließt sich da einer etwas bieder klingenden Bestimmung an. Philosophie gehe es um eine "Klärung der für unser Selbst- und Weltverständnis wesentlichen Grundbegriffe." Nun kann man zwar sicher nicht behaupten, dass Jazz in eine Reihe gehöre mit Grundbegriffen wie Erkennen und Handeln, Vernunft, Wahrheit und Gerechtigkeit.
Aber sofern wir Jazz gemeinhin als eine spezifisch künstlerische Musik verstehen, eröffnet er eine Perspektive auf den Bereich des Ästhetischen. Sofern die Philosophie also etwas über Kunst und speziell Musik zu sagen hat, gehört auch der Jazz zu ihren Themen.
Mit Blick auf den Jazz schließt Feige an ein gängiges Verständnis an, das ihn in Kontrast zu Werken der europäischen Kunstmusik sieht. Im Jazz wird improvisiert, während in der europäischen Kunstmusik komponiert wird. Im Jazz steht die musikalische Persönlichkeit im Zentrum, während sie in der europäischen Kunstmusik zurücktritt. Doch das ist keineswegs überzeugend. Ein Kontrast, das macht der Autor deutlich, ist eben keine strikte Unterscheidung. Am Ende gewinnt man auf diese Weise ein besseres Verständnis eingeschliffener Gegensatzpaare, mit der abschließenden und etwas weit ausholenden These, dass Jazz etwas explizit mache, was nicht nur für Musik, sondern für Kunst als solche wesentlich sei. Freilich ist diese These, wie Feige selbst zugesteht, mit Vorsicht zu genießen. Um etwa einzusehen, dass jedes neue Kunstwerk in einer kritischen Auseinandersetzung mit vorangegangenen Werken steht, muss man ja nicht die spezifische "dialogische Interaktion" im Falle des Jazz heranziehen.
Der Autor erweist sich als begriffsanalytisch geschulter Philosoph und als Kenner der Musik. Aber selbst wenn er sich um Klarheit bemüht: Das schmale Buch hält sich zu sehr an akademische Üblichkeiten und ist auch unübersehbar als Einführungstext konzipiert.
Offenbar hat der Autor sich vom Verlag einreden lassen, man könne deutschsprachigen Lesern ein Buch über den Jazz nur im derzeit allgegenwärtigen Einführungsstil zumuten. Das geht so weit, dass stets wieder am Beginn eines neuen Satzes wortwörtlich wiederholt wird, was im vorhergehenden Satz, meist als Frage, schon gesagt worden ist, so als traue man den Lesern nicht zu, selbst die Verbindung herzustellen. Wünschenswert wäre es gewesen, der Autor hätte in diesem Falle den Musiker in sich mehr zu Wort kommen lassen und die alte Jazzer-Parole beherzigt: "Make it swing!" So liegt also noch kein Meisterstück vor in der Philosophie des Jazz. Aber ein Anfang ist gemacht.
JOSEF FRÜCHTL.
Daniel Martin Feige: "Philosophie des Jazz".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 142 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Swing der Begriffe: Daniel M. Feige riskiert eine Philosophie des Jazz
Es hat lange gedauert, bis die Philosophie hellhörig für den Jazz wurde. Theodor W. Adorno musste derweil stellvertretend für die Zunft viele Prügel einstecken. Denn seine Ideologiekritik legte sich einen Jazz zurecht, der allein aus Stereotypen der Swing-Musik besteht. Nun ist ein Büchlein erschienen, das dieser unrühmlichen Periode zumal der deutschen Philosophie ein Ende setzt. Der Autor, Daniel Martin Feige, ist promovierter Philosoph und selbst Jazzmusiker.
Aber was kann die Philosophie über den Jazz eigentlich sagen? Diese Frage kann man selbstredend nicht beantworten, ohne zugleich zu sagen, was man unter Philosophie verstehen möchte. Feige schließt sich da einer etwas bieder klingenden Bestimmung an. Philosophie gehe es um eine "Klärung der für unser Selbst- und Weltverständnis wesentlichen Grundbegriffe." Nun kann man zwar sicher nicht behaupten, dass Jazz in eine Reihe gehöre mit Grundbegriffen wie Erkennen und Handeln, Vernunft, Wahrheit und Gerechtigkeit.
Aber sofern wir Jazz gemeinhin als eine spezifisch künstlerische Musik verstehen, eröffnet er eine Perspektive auf den Bereich des Ästhetischen. Sofern die Philosophie also etwas über Kunst und speziell Musik zu sagen hat, gehört auch der Jazz zu ihren Themen.
Mit Blick auf den Jazz schließt Feige an ein gängiges Verständnis an, das ihn in Kontrast zu Werken der europäischen Kunstmusik sieht. Im Jazz wird improvisiert, während in der europäischen Kunstmusik komponiert wird. Im Jazz steht die musikalische Persönlichkeit im Zentrum, während sie in der europäischen Kunstmusik zurücktritt. Doch das ist keineswegs überzeugend. Ein Kontrast, das macht der Autor deutlich, ist eben keine strikte Unterscheidung. Am Ende gewinnt man auf diese Weise ein besseres Verständnis eingeschliffener Gegensatzpaare, mit der abschließenden und etwas weit ausholenden These, dass Jazz etwas explizit mache, was nicht nur für Musik, sondern für Kunst als solche wesentlich sei. Freilich ist diese These, wie Feige selbst zugesteht, mit Vorsicht zu genießen. Um etwa einzusehen, dass jedes neue Kunstwerk in einer kritischen Auseinandersetzung mit vorangegangenen Werken steht, muss man ja nicht die spezifische "dialogische Interaktion" im Falle des Jazz heranziehen.
Der Autor erweist sich als begriffsanalytisch geschulter Philosoph und als Kenner der Musik. Aber selbst wenn er sich um Klarheit bemüht: Das schmale Buch hält sich zu sehr an akademische Üblichkeiten und ist auch unübersehbar als Einführungstext konzipiert.
Offenbar hat der Autor sich vom Verlag einreden lassen, man könne deutschsprachigen Lesern ein Buch über den Jazz nur im derzeit allgegenwärtigen Einführungsstil zumuten. Das geht so weit, dass stets wieder am Beginn eines neuen Satzes wortwörtlich wiederholt wird, was im vorhergehenden Satz, meist als Frage, schon gesagt worden ist, so als traue man den Lesern nicht zu, selbst die Verbindung herzustellen. Wünschenswert wäre es gewesen, der Autor hätte in diesem Falle den Musiker in sich mehr zu Wort kommen lassen und die alte Jazzer-Parole beherzigt: "Make it swing!" So liegt also noch kein Meisterstück vor in der Philosophie des Jazz. Aber ein Anfang ist gemacht.
JOSEF FRÜCHTL.
Daniel Martin Feige: "Philosophie des Jazz".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 142 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Der Autor ist als Geisteswissenschaftler und früherer Jazzprofi für das Thema prädestiniert. Rezensenten, die offenbar alle Philosophie studiert haben, preisen das Werk.« Hans Hielscher SPIEGEL ONLINE 20140817