Die Begriffe Philosophie, Geschichte und Philosophiegeschichte werden von Hegel in einem konsistenten, aber wegen ihrer einseitig idealistischen Voraussetzungen auch problematischen Zusammenhang gedacht. Die Philosophie gibt der Philosophiegeschichte und der allgemeinen oder Weltgeschichte die Bedingungen ihres Verlaufs vor. Die Begrenzung auf Europa ist ein weiteres Manko seiner Position. Der genannte Zusammenhang wird auf dem Weg von Hegel über Marx, Nietzsche, Heidegger und Foucault zu Derrida in seiner Vollständigkeit nicht durchgehalten. Die problematische Annahme eines dialektisch verlaufenden durchgehenden linearen Zusammenhangs bei Hegel wird vom späteren Marx fallen gelassen. Er findet zuerst zu einer genealogischen Geschichtsbetrachtung, die bei Nietzsche, Foucault und Derrida ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Die Begrenzung der Geschichte in ihren verschiedenen Bereichen, bei Marx vor allem den Bereichen der Ökonomie und Politik, auf Europa wird bei Nietzsche, dem späten Heidegger und Derrida ansatzweise überwunden. Bei Nietzsche, Heidegger und Derrida treten in der Geschichte andere Gegenstandsbereiche in den Vordergrund, in denen die Philosophie tonangebend ist. Das bei ihnen anzutreffende Motiv eines tragenden Anfangs in der Antike, der für die europäisch-westliche Geschichte den Rahmen abgibt und der >wiederholbar< und deshalb möglicherweise auf andere Kulturen übertragbar ist, verdient besonderes Interesse. Foucault verhilft der Realgeschichte wieder zu ihrem Recht, die er auf eigene Weise nicht von den menschlichen Aktoren, sondern von bestimmten Regelmäßigkeiten und sprachlichen Ausdrucksformen her untersucht. Dabei läßt er den Gedanken eines linearen duchgehenden Zusammenhanges ganz fallen. Er beschränkt sich indessen mehr als Nietzsche, der späte Heidegger und Derrida auf Europa. Die interkulturelle Philosophie durchbricht nicht nur diese Beschränkung in einem konsequenten Sinn, sondern stellt für alle Kulturen, ihre Philosophien, Geschichten und Philosophiegeschichten die vollständige Konstellation dieser Begriffe unter neuen Bedingungen wieder her. Versuchsweise wird das Motiv tragender Anfänge für geschichtliche Zusammenhänge in der Philosophie vorgeschlagen. Das Verhältnis der Philosophiegeschichte zu anderen Bereichen der allgemeinen Geschichte wird als Parallelität aufgefaßt. Zum Autoren: Heinz Kimmerle, geboren 1930, ist emeritierter Professor für Philosophie. Während der letzten fünf Jahre seiner Anstellung war er Inhaber eines Stiftungs-Lehrstuhls für >Grundlagen der Interkulturellen Philosophie< an der Erasmus Universität Rotterdam. Seine Forschungsarbeit richtet sich seitdem vor allem auf interkulturelle Philosophie mit dem Schwerpunkt afrikanische Philosophie. 2003 erhielt er ein Ehrendoktorat von der Universität von Südafrika in Pretoria.
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