Der Komponist Pál Ábrahám: Grenzgänger mit Instinkt für das Populäre und musikdramatischer Pedant Neu entdeckte Korrespondenz zum Komponisten Pál Ábrahám (1892-1960) ermöglicht es erstmals, Ábraháms Werk aus Sicht seiner Verleger und Agenten darzustellen. Die Analyse seines musikalischen Werdegangs zeigt, wie er Traditionslinien der Klassik, des Jazz und des ungarischen Verbunkos der Roma vereinte. Als Kapellmeister am Budapester Operettentheater dirigierte Ábrahám 1928 die Uraufführung seiner Jazzoperette "Zenebona". Weitere Jazzoperetten am Metropoltheater Berlin führten 1930 zum internationalen Durchbruch. Ábrahám überwand Stummfilmmusik »nach Schablone« und schrieb avantgardistische, durchkomponierte Filmmusik. Er genoss glamouröse Erfolge und Luxus, bis er 1933 vor der NS-Diktatur aus Berlin flüchtete. Sein Weg ins Exil endete 1941 in New York. Zehn Jahre war er Patient der Psychiatrie auf Long Island. Seine Rückführung im "Flugzeug der Verdammten" begleitete 1956 ein breites Medieninteresse. Er starb 1960 in Hamburg.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Albert Gier hält Karin Meesmanns Biografie des Komponisten Pal Abraham für Goldstandard. Endlich werden allerhand vom Künstler selbst getätigte Falschaussagen geradegerückt, stellt er erleichtert fest. Meesmann betreibt laut Gier nicht nur exakte Quellenforschung zur Lebens- und Schaffensgeschichte Abrahams, der zwischen 1930 und 1932 immerhin einige Operetten-Welterfolge sowie eine Vielzahl von Filmmusiken komponierte, sie bespricht auch eher unbekannte Werke, entdeckt die Einflüsse der ungarischen Volksmusik auf sein Werk und zeichnet das reiche Netzwerk des Komponisten nach.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2024Jazzmusiker fürs Opernorchester
Karin Meesmann erschließt neue Quellen zu Leben und Werk des Komponisten Pál Ábrahám
Der Komponist Pál Ábrahám - oder, wie er sich in Deutschland schrieb: Paul Abraham - hatte zwischen 1930 und 1932 drei Operetten-Welterfolge: "Viktoria und ihr Husar", "Die Blume von Hawaii" und "Ball im Savoy". Vor dem nationalsozialistischen Terror floh der jüdische Musiker im Februar 1933 mit seiner Frau nach Ungarn. Bis zu seiner Flucht in die USA 1940 schrieb er noch ein halbes Dutzend Operetten, die in Wien oder Budapest aufgeführt wurden, und Musik zu etlichen Filmen; aber nach einer erfolgreichen Uraufführungsserie wurden die Stücke nicht nachgespielt und auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgenommen. Erst in den letzten Jahren kam "Roxy und ihr Wunderteam" wieder auf die Bühne.
Es gibt mehrere Biographien Ábraháms, aber die Informationen sind nicht immer zuverlässig - auch deshalb nicht, weil der Komponist in Interviews manches falsch dargestellt hat. Die Musikjournalistin Karin Meesmann hat jetzt ein Buch geschrieben, das Maßstäbe setzt: Sie hat erstmals gründlich Quellenforschung betrieben und eine Fülle von Dokumenten aufgespürt, von denen die meisten in ihrem reich illustrierten Buch abgebildet sind.
So entsteht von der Familie des Komponisten und seiner Kindheit und Jugend in Arpatin in der Backa erstmals ein anschauliches Bild; auch seine weiteren Lebensstationen werden eingehend behandelt und illustriert. Die Autorin bespricht nicht nur alle Bühnenwerke Ábraháms - auch Entlegenes wie eine kleine Puppenoper, die er als Student komponierte -, und zitiert dazu aus Kritiken früher Aufführungen, sondern auch jeden Film, zu dem er die Musik schrieb.
Ábrahám wuchs mit ungarischer Volksmusik auf, die ihn prägte. Besondere Bedeutung kam dabei dem Verbunkos zu, einem Männertanz (ursprünglich zur Anwerbung von Soldaten). Meesmann erkennt in der "Vortragsweise von Tanzliedern des Verbunkos Eigenheiten, die deutliche Parallelen zum afroamerikanischen Jazz aufweisen"; das erklärt, warum der Komponist bei den Aufführungen seiner Operetten das Opernorchester nach Möglichkeit um einige Jazzmusiker ergänzte, die einen "Inner Circle" um den Dirigenten bildeten und auch improvisierten. So entstehe ein Freiraum flexibler Instrumentierung, zwischen notierter Komposition und Improvisation; es dürfte unter Ábraháms Leitung nicht zwei Aufführungen gegeben haben, die genau gleich klangen. Natürlich wird von der Autorin auch beschrieben, was in den Zwanzigerjahren als "Jazz" in Europa für Aufsehen sorgte.
Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Netzwerk des Komponisten: Sein Agent in Budapest war Sándor Marton, dem außer zwei Theatern eine Film- und Theateragentur und ein Bühnenverlag gehörten, außerdem vertrat er als Anwalt die Verwertungsgesellschaften in Ungarn und etlichen anderen Ländern. Sein Sohn György leitete einen Verlag mit Niederlassungen in Wien und Berlin; damit war Ábrahám der Weg zu einer internationalen Karriere geebnet. Auch von seinen Librettisten, den Theaterdirektoren, Sängern und Dirigenten, mit denen er zusammenarbeitete, weiß die Autorin viel Neues mitzuteilen.
Ábrahám litt seit Anfang der Dreißigerjahre an Syphilis. 1940 floh er vor dem Krieg in die USA, konnte aber in New York nie richtig Fuß fassen; als sich sein Leiden verschlimmerte, wurde er 1946 in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Sein Zustand stabilisierte sich, aber heilbar war die progressive Paralyse nicht. Das Buch beginnt mit seiner Rückkehr nach Deutschland 1956, im "Flugzeug der Verdammten", mit dem die USA unheilbar Kranke in ihre Heimatländer abschob; der Bericht und die Bilder des völlig apathischen alten Mannes, er war 63 Jahre alt, sind beklemmend. Im Mai 1960 ist Pál Ábrahám in Hamburg gestorben. ALBERT GIER
Karin Meesmann: "Pál Ábrahám". Zwischen Filmmusik und Jazzoperette.
Hollitzer Verlag, Wien 2023. 552 S., Abb., geb., 68,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karin Meesmann erschließt neue Quellen zu Leben und Werk des Komponisten Pál Ábrahám
Der Komponist Pál Ábrahám - oder, wie er sich in Deutschland schrieb: Paul Abraham - hatte zwischen 1930 und 1932 drei Operetten-Welterfolge: "Viktoria und ihr Husar", "Die Blume von Hawaii" und "Ball im Savoy". Vor dem nationalsozialistischen Terror floh der jüdische Musiker im Februar 1933 mit seiner Frau nach Ungarn. Bis zu seiner Flucht in die USA 1940 schrieb er noch ein halbes Dutzend Operetten, die in Wien oder Budapest aufgeführt wurden, und Musik zu etlichen Filmen; aber nach einer erfolgreichen Uraufführungsserie wurden die Stücke nicht nachgespielt und auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgenommen. Erst in den letzten Jahren kam "Roxy und ihr Wunderteam" wieder auf die Bühne.
Es gibt mehrere Biographien Ábraháms, aber die Informationen sind nicht immer zuverlässig - auch deshalb nicht, weil der Komponist in Interviews manches falsch dargestellt hat. Die Musikjournalistin Karin Meesmann hat jetzt ein Buch geschrieben, das Maßstäbe setzt: Sie hat erstmals gründlich Quellenforschung betrieben und eine Fülle von Dokumenten aufgespürt, von denen die meisten in ihrem reich illustrierten Buch abgebildet sind.
So entsteht von der Familie des Komponisten und seiner Kindheit und Jugend in Arpatin in der Backa erstmals ein anschauliches Bild; auch seine weiteren Lebensstationen werden eingehend behandelt und illustriert. Die Autorin bespricht nicht nur alle Bühnenwerke Ábraháms - auch Entlegenes wie eine kleine Puppenoper, die er als Student komponierte -, und zitiert dazu aus Kritiken früher Aufführungen, sondern auch jeden Film, zu dem er die Musik schrieb.
Ábrahám wuchs mit ungarischer Volksmusik auf, die ihn prägte. Besondere Bedeutung kam dabei dem Verbunkos zu, einem Männertanz (ursprünglich zur Anwerbung von Soldaten). Meesmann erkennt in der "Vortragsweise von Tanzliedern des Verbunkos Eigenheiten, die deutliche Parallelen zum afroamerikanischen Jazz aufweisen"; das erklärt, warum der Komponist bei den Aufführungen seiner Operetten das Opernorchester nach Möglichkeit um einige Jazzmusiker ergänzte, die einen "Inner Circle" um den Dirigenten bildeten und auch improvisierten. So entstehe ein Freiraum flexibler Instrumentierung, zwischen notierter Komposition und Improvisation; es dürfte unter Ábraháms Leitung nicht zwei Aufführungen gegeben haben, die genau gleich klangen. Natürlich wird von der Autorin auch beschrieben, was in den Zwanzigerjahren als "Jazz" in Europa für Aufsehen sorgte.
Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Netzwerk des Komponisten: Sein Agent in Budapest war Sándor Marton, dem außer zwei Theatern eine Film- und Theateragentur und ein Bühnenverlag gehörten, außerdem vertrat er als Anwalt die Verwertungsgesellschaften in Ungarn und etlichen anderen Ländern. Sein Sohn György leitete einen Verlag mit Niederlassungen in Wien und Berlin; damit war Ábrahám der Weg zu einer internationalen Karriere geebnet. Auch von seinen Librettisten, den Theaterdirektoren, Sängern und Dirigenten, mit denen er zusammenarbeitete, weiß die Autorin viel Neues mitzuteilen.
Ábrahám litt seit Anfang der Dreißigerjahre an Syphilis. 1940 floh er vor dem Krieg in die USA, konnte aber in New York nie richtig Fuß fassen; als sich sein Leiden verschlimmerte, wurde er 1946 in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Sein Zustand stabilisierte sich, aber heilbar war die progressive Paralyse nicht. Das Buch beginnt mit seiner Rückkehr nach Deutschland 1956, im "Flugzeug der Verdammten", mit dem die USA unheilbar Kranke in ihre Heimatländer abschob; der Bericht und die Bilder des völlig apathischen alten Mannes, er war 63 Jahre alt, sind beklemmend. Im Mai 1960 ist Pál Ábrahám in Hamburg gestorben. ALBERT GIER
Karin Meesmann: "Pál Ábrahám". Zwischen Filmmusik und Jazzoperette.
Hollitzer Verlag, Wien 2023. 552 S., Abb., geb., 68,- Euro.
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