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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Brigitte Kronauer wuchert mit Botanik: "Poesie und Natur / Natur und Poesie"
"Klingt das nicht betörend?" Brigitte Kronauer deklamiert in einem Essay über die Niederelbe: "Ästiger Ingelkolben, Krückenkegelmoos, Torfmosaikjungfer, Hufeisenazurjungfer?" Mit solchen botanischen Pfunden lässt sich auch im Reich der Sprache wuchern, und wenn man nicht achtgibt, dann führt das promiske Grünzeugs ein wildes Eigenleben, da muss die Prosa kaum noch hinterhernaturalisieren.
"Poesie und Natur / Natur und Poesie" heißt der jetzt im Hausverlag der Autorin erschienene Doppelband mit Vorlesungen und Prosaminiaturen. Alle Texte sind bereits an anderer Stelle erschienen. Und doch ist es gut, sie nun unters Naturregister zu ordnen. Denn hier zeigt sich das poetologische Referenzsystem der Kronauer einmal nicht wie in vorangegangenen Essaybänden personell, sondern thematisch. Nicht umsonst gehören Jean Paul, Joseph Conrad, Herman Melville, Wilhelm Raabe, Elias Canetti und Ror Wolf, über die Kronauer immer wieder schöne, nachdenkliche Stücke verfasst hat, zu den Lieblingen der Autorin.
Wilhelm Raabes Verdikt über seine Zeitgenossen von 1890 - "Es ist wirklich, als könnten sie nichts Grünes mehr sehen!" - hat auch Kronauer zu einem ihrer Leitanliegen gemacht. "Lassen wir die Natur, das große, empfindliche Wirkungsgewebe (worauf bereits in den siebziger Jahren der damals als ,Club der Schwarzseher' verhöhnte Club of Rome hingewiesen hat), als Rohstofflieferant und rächende Bedrohung drei Minuten außer Acht. Reden wir, die luxuriösen Bewohner der (noch) Komfortzone, von Natur aus einer in der öffentlichen Diskussion fast vollständig ins Abseits geratenen Perspektive, nämlich als Landschaft, die sich pragmatischen Aspekten entzieht, ein herzbewegendes, nicht verrechenbares Geschenk für Augenblicke, das von den Dichtern, nicht den Ökologen, in der Vergangenheit seit der Antike oft und heiß, wie sonst noch die Liebe, besungen worden ist."
Wie macht man das also, eine Landschaft besingen, ohne dabei in eskapistische Naturschwärmerei zu verfallen? Man unterhält sich mit ihr, man nimmt sie nicht als mythische Urlandschaft wahr, sondern als zeitgenössisches Gelände, das zu neuen Mythen oder einem sonst wie magischen Zugriff einlädt. Und noch etwas teilen faunische wie florale Natur mit dem Poetischen: Es ist ein Zugriff auf die Welt, der ohne "Diskurs" auskommt. "Als Garant und Komplize eines anderen auch in uns, das sich sperrt gegen Extraktion und Bilanz."
In "Teufelsbrück", ihrem großen Romanwurf aus dem Jahr 2000, der im "Alten Land" an der Elbe spielt, hat Brigitte Kronauer vorgemacht, wohin undurchsichtige Liebschaften in ungezähmten Landschaften führen, vor allem aber wohin sie das Schreiben treiben können. Ein ekstatischer Liebesreigen auf mehr als fünfhundert Seiten begeisterte die Kritik fast ausnahmslos. Kronauer war es gelungen, in einer Art Naturreservat etwas zutiefst Künstliches zu züchten: ein Liebeswahnbild und ein perfektes Verbrechen: voilà, das Schreibbiotop der Kronauer!
Damit es aber nicht zu viel der Theorie wird, ist dem Band ein zweiter beigegeben. Ein rotes Leinenbüchlein ergänzt den Poesie-Natur-Zusammenhang um ein paar Stücke aus der Praxis. Der Grabower Flügelaltar, gestaltet von einem der bedeutendsten Maler der Gotik, ist heute in der Hamburger Kunsthalle zu sehen und lässt sich bei einer Spannweite von fast siebeneinhalb Metern in mehrere Teile aufklappen. Meister Bertrams Schöpfungsgeschichte, die auch die Erschaffung der Tiere beinhaltet, hat Kronauer im Jahr 2014 zu dem Hörspiel "Herr Hagenbeck hirtet" inspiriert. Ein etwas besserwisserischer Mann und seine Frau stehen, staunen und diskutieren vor dem Tierpanorama - "Die Tiere sollten, sogar noch im Mittelalter, Einzelheiten, Charaktereigenschaften Gottes, der Welt und der Menschen darstellen. Das war überhaupt ihre einzige Existenzberechtigung" -, bis die Tiere irgendwann aufwachen und sich einen Reim auf ihre Exponiertheit machen.
Was tun die Besucher, die ihrer ansichtig werden? "Besäuseln und Besaufen am Goldgrund gotischer Gläubigkeit." Nun ja, möglich. Aber Kronauer macht noch einen anderen Vorschlag. Sagt der Esel: "Gerade aber weil wir ihre Sprache nicht sprechen, sind wir ... Poesie." Darauf zielt die Autorin also, nicht auf das Meditative, sondern auf das Widerständige und Gefährliche, das im Naturgeäst ebenso lauert wie im Hirschgeweih. Mit Kronauers Cicerone durch die Bertramsche Schöpfungsgeschichte gesprochen, heißt es auch für dieses Doppelbuch: "Das Aparteste zum Schluss, Liebling. Als Allerletztes, auch wenn es sich um den Anfang der Welt handelt."
KATHARINA TEUTSCH
Brigitte Kronauer: "Poesie und Natur / Natur und Poesie".
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2015. 2 Bände im Schuber, zus. 295 S., geb., 29,95 [Euro].
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