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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Verheißungen des Gesundheitswesens in der DDR und die triste Realität
Die Behördenforschung hat in Deutschland Konjunktur. Hierzu zählen auch Studien zu den Gesundheitseinrichtungen in den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Gerade die Medizin sollte in der DDR als Paradebeispiel dafür dienen, dass der "zweite deutsche Staat" der eigentlich bessere und humanere war, wie eine Losung in der Parteizeitung "Neues Deutschland" im Jahr 1958 behauptete, dass nämlich der "Sozialismus die beste Prophylaxe" sei. Die Medizin der DDR hatte sozusagen ein Heilsversprechen: vor allem die Industriearbeiterschaft, die durch den Kapitalismus nach Marx'scher Lehre ausgebeutet und gesundheitlich zerrüttet war, sollte durch "sozialhygienische" Maßnahmen geheilt und regeneriert werden.
Sie konnte auf die bolschewistische Idee zurückgreifen, Gesundheit als Staatsaufgabe zu betrachten und damit die arbeitende Bevölkerung nicht nur politisch, sondern auch psychisch in eine "leidensfreie Zukunft" zu führen. Weil ähnliche Vorstellungen bereits in den Weimarer Debatten über Sozialhygiene eine Rolle gespielt hatten, konnte dieser Kurs in der DDR sogar geschickt als "Re-Import deutscher Traditionen" verkauft werden. Die ganze Energie der Gesundheitspolitiker war auf dieses Ziel gerichtet, immer mit dem offiziellen Anspruch, einen einheitlich-gerechten Zugang der DDR-Bevölkerung in der DDR zu gesundheitlichen Leistungen zu ermöglichen.
Die vorliegende Studie demontiert diese sozialistische Utopie durch den Blick auf das 1950 gegründete Ministerium für Gesundheitswesen der DDR. Die Behörde und ihr Personal waren in hohem Maß politisiert. Ein besonders verstörendes Beispiel bietet der Chirurg Maxim Zetkin (1883-1965), der Sohn der "Berufsrevolutionärin" Clara Zetkin, der 1920 in die Sowjetunion gegangen war und dort eine Karriere als Politfunktionär im Dienste Stalins gemacht hatte. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde einer der Männer Walter Ulbrichts bei der Ideologisierung der Medizin in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR - bis er 1954 selbst in das Räderwerk der stalinistischen Säuberungen geriet.
In einem typischen Beispiel der Selbstanschuldigung bezichtigt er sich in einem Brief an den Vorsitzenden der Zentralen Parteikontrollkommission "schlimmer Fehler, die mich in den Augen vieler Genossen und Mitbürger in ein schlechtes Licht setzen und damit auch das Ansehen der Partei schädigen musste". An eine weitere Tätigkeit im Ministerium war bis zu seinem Tod nicht mehr zu denken. Ein ähnlicher Fall eines politisierenden Arztes war Erwin Marcusson (1899-1976), der zwar in der Sowjetunion zwei Jahre inhaftiert gewesen war, aber trotzdem in der DDR lange als Ministeriums-Apparatschik fungierte, bevor er erschöpft ausschied.
Angesichts der sozialistischen Strukturen des Gesundheitsministeriums war es nicht verwunderlich, dass die Ansprüche nicht einmal ansatzweise erfüllt wurden. Bisweilen wurde großzügig darüber hinweggesehen, wenn Mediziner angestellt wurden, die in den Jahren von 1933 bis 1945 an Verbrechen beteiligt gewesen waren hatten. Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs war dies kein genuin ostdeutsches Phänomen. Auch an vielen Universitäts- und Polikliniken in den westlichen Besatzungszonen fehlte das medizinische Fachpersonal, und daher lautete die Entschuldigung: Er mag ja ein Nazi gewesen sein, aber er kann nun einmal gut operieren. In Ostdeutschland wurde der Ärztemangel aber immer schlimmer, weil Mediziner zu dem akademischen Milieu gehörten, das in Scharen mit den Füßen abstimmte. Durch die Flucht in den Westen verlor das Regime die besten Köpfe des Gesundheitswesens. Die sozialistischen Bürokraten machten es sich aber einfach und behaupteten, allein in der DDR setze sich die humanistische Tradition der deutschen Geschichte fort - die Mehrzahl der NS-Täter sei in der "BRD" zu finden. Die nationalsozialistische Vergangenheit eines Ärztefunktionärs, so die Verfasserin, rief "bei den SED-Genossen eher wenig Kopfzerbrechen" hervor.
Zu den wenigen Erfolgsgeschichten des DDR-Gesundheitsministeriums zählte der Schutz vor Epidemien, die Prophylaxe und die Vorsorge durch Impfen, die sich nach Ansicht der Funktionäre in Ost-Berlin am besten durch staatliche Intervention erreichen ließ. Für den Kampf gegen die vor allem für Kinder gefährliche Poliomyelitis, später gegen Pocken und Masern, wurden zahlreiche Impfkampagnen gestartet. Die Programme wurden autoritär durchgesetzt und orientierten sich an den geradezu militärischen Maßstäben, die in der Sowjetunion und den anderen Ostblockstaaten galten. Der staatliche Hygieneinspektor Friedrich Wilhelm Brekenfeld, der bezeichnenderweise in der NS-Zeit als Funktionär beim Deutschen Roten Kreuz als einer der "militaristischen Scharfmacher" gegolten hatte, wetterte gegen vermeintliche Impf-Drückeberger, die sich "im Schutz der durchgeimpften Allgemeinheit" der Impfung entzogen und dadurch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkamen.
Ein besonders peinliches Kapitel in der Geschichte des Gesundheitsministeriums stellt die "Sonderversorgung" der Parteikader und der SED-Privilegierten dar, die medizinische Leistungen in Anspruch nehmen konnten, die dem Normalsterblichen nicht zur Verfügung standen. Der Wildwuchs der medizinischen Einrichtungen, die exklusiv für die Nomenklatura geschaffen wurden - hierzu zählte das Ministerium für Staatssicherheit, die Volkspolizei, die Nationale Volksarmee, aber selbst die Feuerwehr und der Zoll -, war grotesk. Als das Experiment DDR 1990 gescheitert war, fiel es anfangs schwer, sich überhaupt einen Überblick über die Zahl der Kliniken im "zweiten deutschen Staat" zu verschaffen.
Zu weiteren Vorgängen, die das Gerede von der Beseitigung der "Ungleichheit vor Krankheit und Tod" ins Reich der Lügen verweisen, gehörte der Import westlicher Medikamente. Offiziell wurde gegen die westdeutschen Pharma-Konzerne gewettert, insgeheim versorgte sich die SED-Staatselite mit begehrten Medikamenten, die der normale DDR-Angehörige sich weder beschaffen konnte noch durfte.
Insgesamt ist die Lektüre ebenso ernüchternd wie bedrückend. Das Ministerium war dysfunktional in seiner systembedingten ungerechten medizinischen Versorgungspolitik. Besonders in der Frühphase des Steinzeitkommunismus sowjetischer Prägung stellten sich zahlreiche Mediziner in den Dienst der kämpfenden Verwaltung und traten die Rechte und die Gesundheit der ihnen anvertrauten Patienten mit den Füßen. Es war bemerkenswert, dass es der SED dennoch nicht wirklich gelang, die Ärzteschaft insgesamt zu brechen und zu ideologisieren, was dazu beitrug, dass es weiterhin noch eine bürgerliche Medizinerschicht gab, die sich dem politischen Diktat entziehen konnte. Die verdienstvolle Studie von Jutta Braun endet mit dem Jahr 1970. Es wird ein interessantes Forschungsfeld sein, die Gesundheitspolitik der DDR auch für die Jahre der Honecker-Diktatur nachzuzeichnen. JOACHIM SCHOLTYSECK
Jutta Braun: Politische Medizin. Das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR 1950 bis 1970.
Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 503 S., 42, - Euro.
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