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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Habeck, Passmann, Böhmermann:
Wie redet die politische Mitte?
„Ja, ja, ich war Teil des Problems.“ Das erklärte die umtriebige Autorin und Moderatorin Sophie Passmann vor zwei Jahren, als sie sich nach einer Kontroverse reumütig von Twitter (heute X) zurückzog. Dieser Satz könnte auch als Überschrift dienen dafür, wie heute öffentliche Personen mit ihrer eigenen Rhetorik umgehen. In dem Buch „Politische Redeweisen“, das der Soziologe Julian Müller und die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville jetzt zur Diskussion stellen, taucht diese Beobachtung immer wieder auf: Zum einen zwingt der Kampf um Aufmerksamkeit dazu, auf vielen Kanälen forsch aufzutreten. Zum anderen aber verbinden die forsch Sprechenden dies immer öfter damit, dass sie sich demonstrativ selbst thematisieren und problematisieren.
Zur „neuen kommunikativen Unübersichtlichkeit“, die das Buch in essayistischen Fallstudien auf den Begriff bringen will, gehören allerlei „Kopplungen von an sich Widersprüchlichem oder Unpassendem“. (Zum „geschwätzigen Rückzug“ aus sozialen Netzwerken, wie Séville und Müller das nennen, wäre dann entsprechend noch nachzutragen: Heute teilt Sophie Passmann zum Beispiel mal „nur kurz paar Pics“ von sich selber auf Instagram und bedient dort 422 000 Follower.)
Unbestrittener Meister der „flapsigen Gravitas“ ist Robert Habeck. Auch er ist ein Twitter-Aussteiger und inzwischen Instagram-Virtuose, mal staatstragend, mal superoffen – und oft beides auf einmal. Séville und Müller hatten zuvor einen Essay in der Zeitschrift Merkur über Habecks Politikstil veröffentlicht, sein „selbstkritisches Kämpfen“, sein ständiges „persönliches Ringen um den richtigen Tonfall“; das war der Ausgangspunkt für das Buch.
Unter veränderten medialen Bedingungen folgt die Habeck-Methode eigentlich einem alten Topos der Rhetorik zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit: Ich habe etwas zu sagen, aber ich will keine großen, leeren Worte machen. Mir geht es ja nur um die Sache… Und Politiker mussten ja immer schon zu verschiedenen Anlässen in verschiedenen Tonlagen sprechen. Und doch hat sich etwas verändert, so Séville und Müller: „Heute allerdings scheinen diese Räume viel weniger leicht abgrenzbar zu sein.“ High und low greifen ineinander, Bundestagsreden und Videoschnipsel, Stimmungen und Grundsätzliches; man muss die Register gleichzeitig bedienen. „In der zunehmend unter Beschuss stehenden Mitte“, die die beiden Autoren besonders unter die Lupe nehmen, beobachten sie – wenig überraschend vielleicht, aber doch präzise herausgearbeitet – eine wachsende Bereitschaft, Inhalte durch Persönliches, durch individuelle Erfahrungen zu beglaubigen. So wie auch Robert Habeck oft von erhellenden Erlebnissen ausgeht, so wird die alte Anforderung der Rhetorik, das Allgemeine an Exempeln zu zeigen, heute durch Autofiktionalität bedient. Und für universale Werte wie Toleranz plädiert man heute gern als „Fürsprecher des eigenen Lebens“, schreiben Séville und Müller. Auch in bestimmten Konversionserzählungen eines „erweckten Liberalismus“, die sie anhand von Büchern einiger Journalisten analysieren (Ijoma Mangold, Rainer Hank), werde „der eigene zurückgelegte Weg selbst zu einem Argument“.
Und so beschaut Sévilles und Müllers Buch noch weitere kommunikative „Hybridwesen“, die die gegenwärtige Kultur hervorbringt – etwa finden sie bei Jan Böhmermann und Lars Eidinger ganz treffend eine Redeweise um sich greifen, „bei der durchaus konventionelle und in hohem Maße zustimmungsfähige Ansichten immer häufiger im Modus des Exzentrischen und Provokativen auftreten“.
Auch wenn sich das mit den „paradoxalen Kopplungen“ hier und da mal etwas bemüht originell liest, insgesamt lässt man sich von Astrid Séville und Julian Müller sehr gern sensibel machen für neue Redeweisen der „Mitte“ – es ist ja gut, wichtig und interessant, sie genau zu untersuchen, demokratisch und ästhetisch gleichermaßen, und nicht immer nur den Sprech der Radikalisierung. Allerdings könnte man auch beklagen, die Kommunikationsfixierung unserer Zeit („Der Kanzler muss besser kommunizieren“) werde durch solche Untersuchungen nur noch einmal dupliziert. Aber damit muss jeder leben, der sich mit Rhetorik beschäftigt: „Ja, ja, ich bin Teil des Problems.“
JOHAN SCHLOEMANN
Astrid Séville,
Julian Müller:
Politische Redeweisen. Mohr Siebeck,
Tübingen 2014.
121 Seiten, 14 Euro.
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