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Eine Studie zur Rolle der Universität Prishtina bei der kosovarischen Identitätsbildung
Der Konflikt um das Kosovo stand am Beginn und am Ende der jugoslawischen Zerfallskriege. Als Serbiens Präsident Slobodan Milosevic 1989 die Autonomie der damaligen serbischen Provinz annullierte, geriet das sorgfältig austarierte innere Gleichgewicht Jugoslawiens aus dem Lot und verstärkte so die ohnehin bestehenden Abspaltungstendenzen in Slowenien und Kroatien. Zehn Jahre später führte der Angriff der NATO auf Serbien und Montenegro zum Rückzug des serbischen Staates aus dem größten Teil des Kosovos, der dann 2008 seine Unabhängigkeit erklärte.
Blerim Canaj untersucht in seiner Studie die Rolle der 1970 gegründeten Universität Prishtina in diesem Prozess. "Die Universität wurde seit ihrer Gründung, aber besonders seit den 1980er- und 1990er-Jahren, von den serbischen Medien und der Politik als Stätte des albanischen Nationalismus attackiert", stellt der Autor einleitend fest. Tatsächlich sei die Hochschule in der kosovarischen Hauptstadt "zu einem friedlichen Kampfmittel der albanischen Bevölkerung und auch zu einem Feld der politischen Ansprüche und Kämpfe" geworden, führt er aus und zitiert den Südosteuropahistoriker Oliver Jens Schmitt, der die zweisprachige Universität als "Emanzipationsprojekt der Albaner" beschrieben habe, an der kaum Wissenschaft betrieben worden sei.
In serbisch-nationalistischen Kreisen wurde die Gründung einer Hochschule für Serbiens größte Minderheit (die im Kosovo eine deutliche Mehrheit war) von Beginn an als Gefahr für Belgrads Kontrolle über das Kosovo gesehen. "Den Albanern wurden die Gewehre genommen und Kanonen gegeben", lautete eine serbische Einschätzung. Serbiens damaliges Kalkül sei es indes gewesen, durch das in Belgrad ausgebildete Lehrpersonal eine "albanische kommunistische und projugoslawisch orientierte Elite" im Kosovo zu schaffen, urteilt der Autor. Die Fächer "Grundlagen des sozialistischen Marxismus" und "Volksverteidigung" waren obligatorisch in den Lehrplänen der Universität. Dass eine Mehrheit der Studierenden Sinn und Zweck der Volksverteidigung gegen ausländische Invasoren später einmal anders interpretieren sollte als von serbischer Seite beabsichtigt, gehört zur Vorlesungsreihe "Ironie der Geschichte", die kein Pflichtfach in Prishtina war.
Die identitätsverstärkende Rolle der Universität hing auch mit einem Ereignis zusammen, das bereits vergangen war, als die Hochschule gegründet wurde: Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei 1968 verließ Albanien den Warschauer Pakt, woraufhin sich die Beziehungen zwischen Tirana und Belgrad verbesserten. Im Zuge eines Abkommens mit Albanien durfte die Universität Prishtina deshalb albanische Fachbücher einführen und 200 Lehrkräfte aus Enver Hodschas Diktatur anstellen. Als sich in den Achtzigerjahren die jugoslawisch-albanischen Beziehungen wieder verschlechterten, wurden die aus Albanien entsandten Lehrkräfte durch die erste professorale Generation kosovarischer Herkunft ersetzt. Bei der deutlichen Mehrheit albanischsprachiger Studenten blieb es.
Das Ausland wurde erstmals durch die von der Universität ausgehenden Unruhen im Jahr 1981 auf die Universität aufmerksam. Deren äußerer Anlass war ein Protest von 2000 der 36.000 Studenten gegen die mangelhafte Güte des Mensaessens. "Der Protest weitete sich rasch aus. Den albanischen Studenten, die hohes Prestige bei der albanischen Bevölkerung genossen und als intellektuelle Elite des Landes galten, schlossen sich zehntausende Albaner kosovoweit an, die dann die offiziell für die Aufwertung des Kosovo und gegen die schlechte soziale Situation (...) demonstrierten", schreibt Canaj und schildert auch das irredentistische Element der Proteste: "Es fehlte nicht an Parolen, die nach einem Anschluss an Albanien verlangten und den Namen des albanischen Staatschefs Enver Hoxha riefen." Die Forderungen nach einem Anschluss des Kosovos, das zwar die am wenigsten entwickelte Provinz Jugoslawiens war, aber dennoch einen deutlich höheren Lebensstandard als Hodschas europäisches Drittweltarmenhaus aufwies, deutet auch auf einen schon damals hohen Grad an Unzufriedenheit in der Bevölkerungsmehrheit hin. 1981 saß Serbien aber noch am längeren Hebel. Doch die Universität Prishtina war längst zu einem irreversiblen Faktor der politischen Willensbildung im Kosovo geworden. Zum Beispiel unterstützten Studenten Bergarbeiterstreiks und andere soziale Proteste. An Demonstrationen gegen die drohende Aufhebung der Autonomie Ende 1988 nahmen Hundertausende teil, und die Studentenschaft von Prishtina spielte eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung.
Auch als Echo auf die Ereignisse im Kosovo gewann in den Achtzigerjahren der Nationalismus in Serbien an Gewicht, bis er in Milosevics Gestalt an die Macht kam. Milosevic versuchte, die Zeit durch eine Re-Serbisierung aller Schaltstellen der Macht im Kosovo zurückzudrehen. "Die serbische Regierung serbisierte das gesamte institutionelle Leben in Kosovo und auch die Universität Prishtina, indem sie alle albanischen Mitarbeiter und Studenten entließ und mit der Unterstützung der Staatsgewalt aus den Gebäuden vertrieb", so Canaj. Fortan galten serbische Lehrpläne. Albanische Fachbücher wurden verboten, Unterrichtssprache war nun nur noch Serbisch. Als Reaktion darauf bildete die albanische Elite im Untergrund parallele Institutionen zu jenen, aus denen sie vertrieben worden war. Der kosovarische "Schattenstaat" entstand, den man im Ausland vor allem mit dem Politiker und Schriftsteller Ibrahim Rugova verband. Ein albanisches "Schattenparlament", das unter offenem Himmel tagte, erklärte die Unabhängigkeit des Kosovos von Serbien, nicht jedoch von Jugoslawien, die "Schattenuniversität" lieferte das geistige Rüstzeug zur politischen Emanzipation von Serbien. Das alles dokumentiert Canaj ausführlich, weshalb sein Buch auch eine kosovarische Geschichte von den Siebzigerjahren bis zur NATO-Intervention 1999 ist. Die Entwicklung der Universität Prishtina ist damit eng verbunden. MICHAEL MARTENS
Blerim Canaj: Politischer Scheideweg in Kosovo. Die Universität Prishtina als Brennpunkt ethonationaler Konflikte 1989 -1999.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2023. 249 S., 58,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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