Neuanfang im Gelobten Land Deutschland
Den Einstieg ins Buch habe ich mit Leichtigkeit genommen, eine Schreib- und Gedankenwelt, wie man sie von einem 14jährigen aber nicht immer vermutet. Jarek lernte ich schnell kennen, die polnische Familie aus Salesche in Oberschlesien einschließlich der Oma
Agnieszka und ein paar Randfiguren inklusive.
Der Ort Salesche (polnisch Zalesie Śląskie) ist…mehrNeuanfang im Gelobten Land Deutschland
Den Einstieg ins Buch habe ich mit Leichtigkeit genommen, eine Schreib- und Gedankenwelt, wie man sie von einem 14jährigen aber nicht immer vermutet. Jarek lernte ich schnell kennen, die polnische Familie aus Salesche in Oberschlesien einschließlich der Oma Agnieszka und ein paar Randfiguren inklusive.
Der Ort Salesche (polnisch Zalesie Śląskie) ist ein zweisprachiger Ort, südlich der Autobahn von Breslau nach Kattowitz, rund 40 Kilometer vor Gleiwitz gelegen. Jarek wächst dort in einer für Polen sehr unruhigen Zeit heran, aber in einer sehr ruhigen, abgeschiedenen Gegend. Der Rückblick auf die Erlebnisse des Vaters mit der ZOMO (das war eine kasernierte militärische Sondereinheit, die 1989 aufgelöst wurde) ist drastisch, sie sind ganz offensichtlich ein Grund für den Auswanderungswunsch der Familie. Vielleicht hatte auch Oma Agnieszka einen Anteil an der „Sonderbehandlung“ ihres Sohnes, ein Geheimnis bis fast zum Ende des Buches. Das Verschwinden von Oma Agnieszka löste jedenfalls 1982 einige Verwirrung aus, die Vermutungen gingen von Mord bis Entführung, es stellte sich aber heraus, dass sie still und heimlich ihre Ausreise betrieben hatte. Offenbar war der Opa nicht der liebevollste aller Ehemänner.
Getarnt mit Touristenvisa machen sich Vater, Mutter und Jarek im Sommer 1990 im Auto des Schleppers Hübner jedenfalls auf den Weg ins „Gelobte Land“. Alles ist verschenkt und verkauft, sie haben nur noch das, was in das Auto passt.
Später an der Grenze: das volle Programm, endloser Stau. Dann: alles auspacken! Wie im richtigen Leben, würde ich sagen, wenn ich an die DDR-Grenzer denke.
Von der ersten, sehr ernüchternden Station im Auffanglager Hamm kommt Familie Sobota in die "Zwischenwelt" von Unna-Massen. Ein Aussiedlerlager mit all den Erbärmlichkeiten, die das Zusammenleben auf engstem Raum, mit wildfremden Menschen und jeder Menge Alkohol- und Zigarettendunst so mit sich bringt. Nicht gerade Jareks Traum vom gelobten Land.
Mitbewohnerin Elwira hat es Jarek angetan, es beobachtet ihr Tun und Lassen und ihr Liebesleben mit wachsendem Interesse. Die Eltern hingegen sind ausgiebig mit der deutschen Bürokratie beschäftigt. Und dann lernt Jarek die flotte Biene Monika kennen, aus einer der „besseren“ Aussiedlerfamilien, wie es scheint. Jarek und Monika freunden sich an und haben auf einem Ausflug zum See mit ihrem angelfreudigen Bruder Gregor eine unmenschliche Begegnung der dritten Art, der See ist danach tabu.
Jarek lernt recht schnell auch die Ablehnung der Bürger (jung wie alt) gegenüber den Aussiedlern kennen, kein angenehmes Gefühl, aber er wird sich durchbeißen, Deutsch lernen und sich später aus der Ärmlichkeit befreien. Denn auch nachdem die ersehnten Papiere mit allen Stempeln und Genehmigungen fürs Bleiben da sind, reißen die Probleme nicht ab.
Auch dass Jareks Vater um sein verlorenes „z“ trauert, er heißt nun nur noch Ambrosius, mag einem Polen verständlich sein, für Deutsche sind das „böhmische Dörfer“.
Von Unna-Massen geht es nach Werne, aber noch längst nicht in eine richtige eigene Wohnung, sondern in ein Notquartier, das notdürftig ausgestattet wird mit Sperrmüllmöbeln und ersten selbst gekauften Einrichtungsgegenständen. Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftstoiletten, ein Quartier, das Jarek nur ungern preisgibt oder seinen Freunden zeigen würde. Dort erlebt die Familie ihr erstes Weihnachtsfest. Und wieder ist es das Thema „Oma Agnieszka“, das beinahe die kleine Feier sprengt.
Ich will auf keinen Fall die Pointe der Geschichte verraten, nur eines: Mariusz Hoffmann hat einen bewegenden Roman geschrieben, - sagt man Jugendroman oder Coming-Of-Age-Geschichte? – egal, er hat mir gut gefallen. Eine frische, sehr glaubhafte Sprache, und die Gedanken von Jarek sind jederzeit nachvollziehbar. Er muss sich durchbeißen, es wird ihm nichts geschenkt in diesem Roman, außer Lebenserfahrung und eine wertvolle Freundschaft! Sein Verhältnis zu den Eltern ist glaubhaft, trotz der Unstimmigkeiten um Oma Agnieszka bleiben Liebe und Fürsorge zwischen Eltern und Sohn bestimmend.
Das Buch in der Hand: Besonders gut gefällt mir der Umschlag, wer schon einmal über Polen geflogen ist, kennt den „gestreiften“ Anblick der Felder. Sonnengelb das Hardcover, es hat nicht ganz die Farbe der Titelzeile, aber fast. Innen ist das Buch sehr großzügig, schönes Papier (angenehmes Cremeweiß), eine Schrift, die sich sehr gut lesen lässt. Ich betone das, weil leider nicht alle Bücher so wunderbar gestaltet sind.
Für mich eine sehr bereichernde Lektüre, die ich gern weiterempfehle.