Der Gebäudeeinsturz auf dem Gelände der berühmten archäologischen Stätte im Jahr 2010 war bei weitem nicht der erste seit Beginn der Ausgrabungen. Doch diesmal wirkte er wie ein Weckruf. Angetrieben von der internationalen Aufmerksamkeit wurde das Grande Progetto Pompei ins Leben gerufen, das unter Einsatz europäischer Fördermittel dafür sorgen sollte, das beispiellose Monument vor weiterem Verfall zu bewahren.
Massimo Osanna, Generaldirektor der italienischen Museen, stellt die Bemühungen für den Erhalt der einzigartigen Ausgrabungsstätte vor und präsentiert die Funde, die seither besonders für Aufsehen gesorgt haben. Zahlreiche Fotos geben einen Eindruck von den neuesten Entdeckungen und Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass Pompeji auch zukünftige Generationen faszinieren wird.
- Die Geschichte von Pompeji: von der Gründung bis zum Untergang
- Rekonstruktion und Ausgrabungen seit der Wiederentdeckung
- Neu entdeckte Bilder und Mosaike: Leda und der Schwan, das Haus des Orion
- Gemälde, Graffiti und Architektur in 200 teilweise erstmals veröffentlichten Fotos
- Neue Perspektiven: Pompeji nach dem Einsturz der Schola Armaturarum
Pompeji in Bildern: vom Untergang bis zu den aktuellen Ausgrabungen
79 nach Christus begrub der Ausbruch des Vesuv Pompeji unter Staub- und Aschemassen. Was für die damaligen Bewohner eine unfassbare Tragödie darstellte und unzählige Menschenleben forderte, sollte sich Jahrhunderte später als Glücksfall für die Archäologie erweisen. Seit 1748 finden auf dem ehemaligen Stadtgebiet offizielle Ausgrabungen statt und bieten einzigartige Einblicke in das Leben der Menschen in der römischen Antike. Prof. Dr. Massimo Osanna war Leiter des Archäologischen Parks Pompeji und führt kenntnisreich durch die grandiosen archäologischen Funde insbesondere der letzten Jahre.
Ihm gelang ein Buch über Pompeji, indem das alltägliche Leben der Römer vor der Katastrophe ebenso thematisiert wird wie die Probleme des modernen Denkmalschutzes!
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Ein geschärfter Blick für die Dinge des Alltags: Massimo Osanna entwirft ein neues Bild von Pompeji, in dem auch Graffiti und Fast Food Platz finden.
Als das Buch Ende 2019 in Italien erschien, stand in der Buchhandlung Feltrinelli an der Via Chiaia in Neapel jeden Morgen ein Stapel neben der Kasse, der am Abend abgetragen war. Der Titel "Pompei. Il tempo ritrovato" (Pompeji. Die wiedergefundene Zeit), mit dem Massimo Osanna, seit 2014 Direktor des Archäologischen Parks, Bilanz zieht, spricht ein öffentliches Thema an: Die antike Ruinenstadt am Vesuv ist ein Nationaldenkmal, Sinnbild für den kulturellen Reichtum des Landes und seine Verwundbarkeit.
Die Resonanz ist bereits Ausdruck jener neuen Haltung gegenüber Pompeji, für die Osanna steht. Angetreten, die Krise, die 2010 im Einsturz der Gladiatorenschule kulminierte, zu überwinden, hat er Forschung und Restaurierung, Sicherheit und Zugänglichkeit konsolidiert. Vor allem aber hat er eine neue Verbundenheit mit Pompeji begründet, indem er die Aufmerksamkeit für Funde des Alltags schärfte: für Streetfood und Schmuck, für Gärten, die in Häuser eindringen, für Wohnformen und Stadträume, die als Spuren der "vormodernen" Kultur in vielen Gegenden Italiens bis vor wenigen Jahrzehnten das Zusammensein bestimmt haben. In der Erinnerung sind sie präsent: "Die tote Stadt wird plötzlich äußerst lebendig und gegenwärtig."
Die "Nähe der Vergangenheit" rufen auch Zeichnungen, Skizzen und Sätze wach, von denen so viele in öffentliche und private Wände geritzt wurden, dass ein Witzbold hinzufügte: "Ich wundere mich, dass du' Wand, noch nicht zusammengebrochen bist, wo du doch so viele Dummheiten vonseiten der Schreiber erträgst." Den Graffiti - "ohne Ruhm", aber nicht "ohne Geschichte" - widmet Osanna ein Kapitel, in dem er Liebeserklärungen, Beleidigungen, Kommentare, sexuelle Anspielungen, obszöne Sprüche, Wahlaufrufe und Literaturzitate (siebzehnmal findet sich der erste Vers der "Aeneis") sowie ausführlich jene 2018 gefundene Kohleschrift in der Casa del Giordano diskutiert, die in der umstrittenen Frage, ob der Ausbruch des Vesuvs am 24. August oder am 24. Oktober 79 n. Chr. geschah, das spätere Datum stützt. Verbindungen in die Gegenwart ziehen auch Tabernen, Brunnen und Thermopolien, Läden, in denen Lebensmittel und Fast Food ausgegeben wurden: Rückstände und Abfälle lassen auf Ernährung und Essgewohnheiten schließen - Fundkontexte, die lange vernachlässigt wurden und ein Erscheinungsbild der Stadt vermitteln, das der klassischen Idealisierung widerspricht.
"Pompeji wurde gegen Ende des siebten Jahrhunderts v. Chr. gegründet." Im ersten Kapitel umreißt Osanna die Geschichte der Stadt und zeichnet an den Heiligtümern des Apollo und der Minerva, den Transformationen und Votivgaben ihr wechselvolles Schicksal nach: Wahrscheinlich etruskischen Ursprungs, entwickelte sich Pompeji vom vierten bis zweiten Jahrhundert v. Chr. durch die Zuwanderung von Samniten zu einer ethnisch vielfältigen Gemeinschaft und einem Ort hybrider Kulturen, der 80 v. Chr. römische Kolonie und 62 n. Chr., siebzehn Jahre vor der Katastrophe, von einem Erdbeben erschüttert wurde.
Osanna erzählt von seinem Pompeji, von Entdeckungen seiner Ära. Die Ausgrabung einer Kultstätte, des Fondo Iozzino, hat Gefäße mit Namen der Opfernden ans Licht gebracht: Sprechende Objekte, die Auskunft über eine sozial und ethnisch differenzierte Gesellschaft, ihre Gottheiten und Rituale geben. Der Autor führt den Leser auf den Vicolo dei Balconi im neu freigelegten Teil der Regio V, erklärt Umbauten und Umnutzungen und gleicht das "Interior Design" mit den wechselnden Moden ab. Die Zeichnung im Boden des Tablinum legt die schematische Darstellung einer Groma, eines Messinstruments, nahe, das womöglich auf den Beruf des Hausbesitzers verweist.
In einer detektivischen Interpretation, die viele Details interdisziplinär verknüpft, entschlüsselt Osanna die Mosaike in der Casa di Orione als eine Version des Mythos, in der ein fliegender Dämon das Haar des Helden anzündet - eine Anspielung auf den Katasterismos, die Verwandlung in ein Sternbild. Als "Meisterwerk der Erotik" deutet er die unerwartete Entdeckung im Schlafzimmer einer domus in der Via del Vesuvio, die Leda, die Frau des Spartanerkönigs Tyndareos, zeigt: Auf ihrem Schoß sitzt der Schwan, in den sich Zeus verwandelt hat, und streckt seinen schlangenhaften Hals nach ihr aus.
Indem er Längsschnitte und Objektstudien verschränkt, resümiert Osanna den Forschungsstand. Das 2017 freigelegte Grabmonument vor den Toren der Stadt nimmt er, ausgehend von der ungewöhnlich langen Inschrift, zum Anlass, der Persönlichkeit des Bestatteten auf die Spur zu kommen, und aus den Schichten des Materials, das auf die Stadt niederprasselte, rekonstruiert er die Anatomie einer Katastrophe, die die neapolitanische Küstenlinie veränderte und neue Landschaften formte. In und mit Pompeji entwickelte sich die Archäologie als Wissenschaft. Osanna erweist ihr seine Reverenz, wenn er etwa berichtet, wie Domenico Spinelli 1863 Abdrucke menschlicher Körper mit Gips füllte und so Abgüsse ("Skulpturen des Todes") herstellte, die ihnen ihre Gestalt wiedergaben. Und er erinnert daran, dass Pompeji wie andere Städte am Golf 1943 Ziel von Bombenangriffen war und von der Zersiedelung der Landschaft bedroht wird.
Leider liegt dem Buch kein Stadtplan bei, wie er dem Besucher mitgegeben wird. Gegenüber dem Original ist die Kapitelfolge leicht verändert, auch sind einige Nachlässigkeiten durchgerutscht: So wird "statali" (staatliche) mit "stattlicher Ineffizienz" und "malgoverno" (Misswirtschaft) mit "schlechter Regierungsführung" übersetzt. Die Gefahr, sich für seine Verdienste selbst zu loben, umschifft Osanna mit Takt und Ironie, Kritik an strukturellen Defiziten und einem Bekenntnis zum Teamwork, von dem das Buch Zeugnis ablegt.
Als es herauskam, war noch nicht absehbar, dass Osanna im Sommer 2020 zum Generaldirektor der Staatlichen Museen im Kulturministerium berufen würde. Das "Grande Progetto Pompei", das er auf den Weg gebracht hat, bleibt unter seinem Nachfolger, dem deutschen Archäologen Gabriel Zuchtriegel, "ein Beispiel für Exzellenz und Experimentierfreudigkeit". Dass es auch ein gesellschaftliches Paradigma dafür sein könnte, was im Süden Italiens, der als Synonym für Krise gilt, möglich ist - das auszusprechen, hütet sich Osanna. Aber die Lektüre seines Buches legt es nahe. ANDREAS ROSSMANN.
Massimo Osanna: "Pompeji". Das neue Bild der untergegangenen Stadt. Aus dem Italienischen von A. Heinemann u. a. WBG/Philipp von Zabern, Darmstadt 2021. 412 S., Abb., geb., 50,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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