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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Kann man mit diverseren, friedlicheren Pornos die Sexualität verbessern? Oder gar die Welt?
Zu den Thesen von Soziologin Madita Oeming und Produzentin Paulita Pappel
Stellen Sie sich vor: Die „Tagesthemen“ berichten, wer in der vergangenen Nacht mit dem genderneutral vergebenen „Academy Award“ für den heißesten Cumshot ausgezeichnet wurde. Kontrovers diskutiert man, wie es zu bewerten sei, wenn sich Schauspieler des Hollywoodkinos bemühen, authentische Sexszenen zu performen. Gilt als trendy, aber ist es nicht eher etwas arg gewollt? Nur Tom Cruise bleibt von Anfeindungen verschont. Er hat seine Stunts schließlich schon immer selbst gemacht. Satire?
Nicht unbedingt, wenn man gerade in einem Rutsch Madita Oemings, nun ja, Einführung „Porno – eine unverschämte Analyse“ gelesen hat und Paulita Pappels fast zeitgleich erscheinendes Manifest „Porno Positiv“. Keine der Autorinnen entwirft das eingangs beschriebene Szenario. Es ist wichtig, das zu betonen, um sie vor Anfeindungen von stets nach dem nächsten Empörungstrigger geifernden Moralwächtern zu bewahren, denen sie ja schon genug ausgesetzt sind.
Also, liebe Penispolizisten: Dass eine erhabene Institution unserer liberalen demokratischen Öffentlichkeit wie die „Tagesthemen Sex vor der Kamera würdigen könnte, entstammt allein der Fantasie der Rezensentin. Aber eine Welt, in der gelassen und informiert mit expliziten Darstellungen von Sex umgegangen wird, erscheint einem nach der Lektüre beider Bücher plausibler. Madita Oeming bezeichnet sich als Pornowissenschaftlerin. Das bedeutet, sie widmet sich der Rezeption von Pornografie in all ihren Facetten. Es ist kein Naturgesetz, dass offen gezeigter Sex als anstößig empfunden wird: „Pornografie als Kategorie ist in vielfacher Hinsicht ein Kind der Moderne.“ Schon die Geschichte des Begriffs (aus dem Griechischen etwa: „Darstellung von Prostituierten“) spiegelt die Genese eines Tabus. Stellt sich die Frage, ob sie denn all die schädlichen Wirkungen hat, die ihr zugeschrieben werden.
Oeming argumentiert überzeugend, dass es sich bei den zahlreichen Gefahren größtenteils um Konstruktionen handelt, die auf eine konservative, patriarchale Sexualmoral zurückgehen. Sie lassen sich entweder empirisch nicht belegen (etwa der angeblich negative Einfluss aufs Beziehungsleben), sie sind klar widerlegt (Masturbation schade der Gesundheit – das Gegenteil ist der Fall), oder sie können als Chance begriffen werden (man entdeckt vermeintlich abseitige Vorlieben oder sieht das Verhältnis von Liebe und Sex lockerer). Vor allem sorgt die Tabuisierung selbst für viel Leid. Darstellende werden stigmatisiert, Konsumenten gleich mit. Der Umgang mit Pornografie ist im Strafgesetzbuch geregelt. Sie gilt offenbar als etwas, wovor der Staat die Bevölkerung schützen muss. Warum?
Je genauer man hinsieht, desto weniger überzeugend ist das. Aus feministischer Sicht wird die angebliche Degradierung von Frauen zum Objekt skandalisiert. Passiert, aber Männern auch. Meist sind Männer in diesen Filmen kaum mehr als Penisse. Und ist das schlecht, wenn es einvernehmlich geschieht? Auch Frauen produzieren und konsumieren Pornos aktiv. Warum sollten sie nur in Liebe gebetteten Blümchensex haben wollen? Die Zuschreibung traditioneller Genderrollen diskriminiert sie. Dem Markt für schwule, lesbische und queere Pornos wird das binäre Geschlechtsparadigma eh nicht gerecht.
Eine kurze Suche auf einer der Tube-Seiten reicht, um festzustellen, wie verschieden die gezeigten Körper und Praktiken sind. Nicht zuletzt der inzwischen riesige Anteil von Amateurfilmen trägt dazu bei. Klischees? Natürlich, die Welt der sexuellen Fantasien ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Aber sie lässt mehr Diversität zu, als etwa die allgemein akzeptierte Unterhaltungskultur.
Ausbeutung tritt man am effektivsten entgegen, so die These beider Bücher, indem man die Performance von Sex in all seinen Spielarten nicht mit sexualisierter Gewalt vermischt. Um Gewalt strafrechtlich zu sanktionieren, braucht es keine Regulierung von Pornografie. Ein Übergriff ist ein Übergriff, egal ob er mit oder ohne Kamera geschieht.
Aber die Jugend verroht? Quatsch. Sie geht reflektierter mit Sex um denn je. Der in Deutschland extrem restriktive, reformbedürftige Jugendschutz zwingt gerade alternative ambitionierte Pornoproduzierende, ihr Geschäft ins Ausland zu verlegen. Jungen Menschen hilft man am meisten, indem man ihnen Medienkompetenz vermittelt. Ihre Entdeckungsfreude ist absolut okay. In Oemings charmanten Worten: „Jugendliche sind neugierige, gewiefte, horny Wesen mit einem großen sexuellen Wissensdurst, und das ist auch genau richtig so.“ Oemings wichtigstes Anliegen ist deshalb, Pornos von Zuschreibungen – ob aus feministischer, reaktionärer oder vermeintlich wissenschaftlicher Perspektive – zu befreien und einen entspannteren Umgang zu fördern. Sie können vieles sein, auch Kunst, müssen aber fast nichts. In erster Linie dienen sie dazu, Lust zu bereiten.
Wie aber steht es um die Produktion? Hier knüpft Paulita Pappel an, die als Darstellerin gearbeitet hat und inzwischen auch Produzentin und Intimkoordinatorin ist. Sie engagiert sich für einen intersektionalen, „pornopositiven“ Feminismus. Ihr Buch liest sich wie das Pendant zu Oemings Überblick, die Autorinnen nehmen wertschätzend aufeinander Bezug.
Pappel beschreibt ihren Werdegang und verbindet ihre Erfahrungen mit Reflexionen über den gesellschaftlichen Umgang mit Pornografie, woraus sie politische Forderungen ableitet, die sich weitgehend mit denen Oemings decken. Viele Einsichten des Vierte-Welle-Feminismus werden biografisch beglaubigt, man liest sich flott durch ihren Grundkurs „Gelebte Emanzipation“. Besonders interessant ist ihr Buch dort, wo sie aus dem Maschinenraum der Pornografie berichtet.
Gedreht wird demnach oft unter besseren Bedingungen, als viele glauben. Verbindliche Absprachen seien die Regel. Beide Autorinnen thematisieren, dass Mainstreampornos oft nicht schlechter seien als feministischer Porno, die Unterscheidung greife zu kurz, die Darstellerinnen verdienten gleichermaßen Respekt. Pappel erzählt, wie die „technische“, genaue Kommunikation über Sex am Set und ein bewusster Umgang mit dem eigenen Körper helfen können, ein aufgeklärteres Verhältnis zur eigenen Sexualität zu entwickeln. Dabei romantisiert sie jedoch nichts. Manche Praktiken erfordern Vorbereitungen wie beim Leistungssport. Und es bestehe ein kommerzieller Druck, weshalb beide Autorinnen betonen: Wer Pornos will, die unter ethisch einwandfreien Bedingungen entstehen, muss bewusst wählen, was man ansieht – und dafür bezahlen, statt auf kostenlosen Seiten zu schauen.
Müssen wir also explizite Darstellungen von Sex umfassend enttabuisieren, um in einem pornopositiven Utopia zu landen? Ganz so einfach ist es nicht. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass beide Autorinnen den Freiheitsraum der Pornografie, deren Reiz ja nicht zuletzt ausmacht, ein Jenseits der geltenden Moralvorstellungen zu bieten, emphatisch feiern und ihn im selben Atemzug mit allerlei hohen ethischen Erwartungen vollstellen. Porno muss zwar gar nichts, aber er sollte schon queer, antirassistisch, empowernd für marginalisierte Gruppen usw. sein. Man muss darin keinen Widerspruch sehen, denn die gewünschten Effekte können sich ja aus der Vielfalt der gezeigten Szenarien von allein ergeben. Aber sowohl Oeming als auch Pappel mogeln sich ein wenig um das anarchische Potenzial ihres Sujets herum.
Sex ist ja auch eine begrenzte, begehrte Ressource. Und sehr ungleich verteilt. Diese fundamentale Tatsache spielt in beiden Streitschriften kaum eine Rolle. Pappel schreibt in ihrer Einleitung, Pornos könnten uns helfen herauszufinden, „was wir wirklich wollen und wie wir das auch noch bekommen“. Aber viele Menschen bekommen nicht, was sie wollen. Sexualität hat immer eine kompetitive Komponente, und je offener sie in einer Gesellschaft stattfindet, desto größer der Wettbewerbsdruck.
Es bleibt zweifelhaft, ob „Bodypositivity“ und mehr Diversität dieses Problem lösen. Schaut man sich die Akteure von Pappels Filmen für das Gangbang-Label Hardwerk an, fällt auf, dass sie zwar eine Vielzahl an Ethnien, Genderidentitäten und sexuellen Orientierungen repräsentieren, aber alle überdurchschnittlich stylish und hübsch sind (was sie selbst reflektiert). Begehrenswert in einem anschlussfähigen Sinn. An Sex dürfte es ihnen eh nicht mangeln, wenn sie ihn wünschen.
Fraglich bleibt also, wie positiv die Effekte einer Normalisierung von Pornografie sein können. Klar ist: Der Status quo – fast alle gucken, kaum einer gibt es zu, und Pornos gelten irgendwie als gefährlich – lässt sich schwer verteidigen, wenn man sich unvoreingenommen den Fakten stellt. Viele Menschen finden es erregend, anderen Menschen (aus sicherer Distanz) beim Sex zuzuschauen. Vielleicht sollte man das endlich als eine im Grunde rührende Eigenschaft betrachten und den kulturellen Reichtum darin entdecken.
JULIANE LIEBERT
Den Umgang mit Pornografie
regelt das Strafgesetzbuch –
warum eigentlich?
Korrekter Sex, wie ihn sich porn-better.com vorstellt, eine Website für ethische Pornografie.
Foto: Pexels, dpa
Paulita Pappel:
Porno Positiv. Was
Pornografie mit Feminismus, Selbstbestimmung und gutem Sex zu tun hat. Ullstein, Berlin 2023.
208 Seiten, 17 Euro.
Madita Oeming:
Porno. Eine unverschämte Analyse. Rowohlt,
Hamburg 2023.
256 Seiten, 20 Euro.
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