Ulrich Bröckling nimmt diese Gleichzeitigkeit heroischer und postheroischer Leitbilder zum Anlass, den Platz des Heroischen in der Gegenwartsgesellschaft auszuloten. Dazu zeichnet er die Reflexionsgeschichte des Heroismus in der Moderne nach, besichtigt das Figurenkabinett zeitgenössischer Heldinnen und Helden und fragt nach den affektuellen und normativen Dimensionen von Heldenerzählungen sowie nach den Aspekten ihrer Relativierung und Verabschiedung. Sein Fazit: Der Held lebt. Aber unsterblich ist er nicht! Warum das eine gute Nachricht ist, zeigt dieses fulminante Buch.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ausnahmegestalten sind so interessant wie verdächtig: Ulrich Bröckling hat an Helden und Heroismus nicht viel Vergnügen.
Von Stephan Speicher
Der Held ist eine fremde Gestalt geworden. Der Missbrauch von Heldentum oder auch nur heldischem Gerede hat dazu beigetragen, man hat es nicht mehr mit dem Helden. Ihn macht wesentlich der Einsatz für ein großes, den Einzelnen überragendes Ziel aus oder das Opfer für andere, doch unsere Welt ist utilitaristisch. Heldentum wirkt leicht verschwitzt.
Dass der Held in der Gegenwart keinen rechten Platz mehr habe, ist allerdings kein neuer Gedanke. "Im Staat kann es keine Heroen mehr geben: diese kommen nur im ungebildeten Zustande vor", schrieb Hegel. Sie sind "Individuen, welche aus der Selbständigkeit ihres Charakters und ihrer Willkür heraus das Ganze einer Handlung auf sich nehmen und vollbringen und bei denen es daher als individuelle Gesinnung erscheint, was das Rechte und Sittliche ist." Das markiert den Konflikt, den Jahrzehnte zuvor Goethes "Götz von Berlichingen" zeigt: die Heroennatur, die der neuen, der "policierten" Zeit weichen muss. Damit ist aber auch angedeutet, was das fortlebende Interesse am Helden ausmacht. Der Ritter mit der eisernen Hand ist lebensvoller als die moderne Staatlichkeit. Der junge Friedrich Engels, begeistert von Nibelungenlied, notiert 1840: "Wir fühlen alle denselben Tatendurst, denselben Trotz gegen das Herkommen in uns, der Siegfrieden aus der Burg seines Vaters trieb; das ewige Überlegen, die philiströse Furcht vor der frischen Tat ist uns von ganzer Seele zuwider, wir wollen hinaus in die freie Welt."
So denkt Ulrich Bröckling, Professor für Kulturanthropologie in Freiburg, allerdings nicht. Sein Buch hat an Helden und Heroismus nicht viel Vergnügen. Er macht demokratische Vorbehalte geltend: Der Held als Ausnahmegestalt ist elitär; Heldentum ist hierarchisch; geschlechterpolitisch bedenklich, weil männlich; naiv, weil auf den großen Mann setzend und damit die Komplexität der Probleme verkennend. Zunächst werden "Bausteine einer Theorie des Heroischen" gezeigt, dann geht es zum Heroischen beziehungsweise Postheroischen in der Moderne.
In den "Bausteinen" wird schon viel von dem angesprochen, was dem Autor quer sitzt, und man kann ihm auch leicht zustimmen. Man kann ihm aber auch leicht widersprechen. Und das liegt nicht allein daran, dass viele seiner kritischen Einwände gut bekannt sind. Das Problem des Lesers ist, dass der Problembestand, über den Bröckling redet, so undeutlich ist. Wohl spricht er aus, dass eine Theorie des Heroischen "nur historisierend vorgehen" kann und Heldentum eine ästhetische Dimension hat, dass es erzählt und inszeniert wird. Es soll auch ausdrücklich um Helden der Wirklichkeit wie der Fiktion gehen. Aber der Autor interessiert sich trotzdem nicht für Geschichte und Kunst. Die homerischen Epen, "Äneis", die Ritterromane des Mittelalters, "Rolands"- und "Nibelungenlied" - was macht sie aus, was unterscheidet sie? Wie steht es mit dem Kult der Persönlichkeit in der Renaissance und dem Bezug auf die römischen Tugendhelden? Wie sieht das neunzehnte Jahrhundert den Helden? Das interessiert hier nur sporadisch. Stattdessen lässt der Autor eine Fülle allgemeiner Aussagen abschnurren, die man mit Beispielen bestätigen, aber auch bestreiten kann.
Heldengeschichten "generieren Sinn", heißt es etwa, aber das ist nicht unbedingt so. Zum Heldenepos gehört oft das Motiv der Vergeblichkeit, und diese Vergeblichkeit hat nicht unbedingt den matten Glanz des Edeltums. Nach dem Tode Hektors, des größten der trojanischen Kämpfer, steht seiner Witwe die Zukunft ihres Kindes vor Augen. Man wird ihm sein Erbe schmälern, die Freunde seines Vaters begegnen ihm gelangweilt, selbst die Altersgenossen wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Die "Ilias" wirft einen Blick nicht nur ins Elend eines kleinen Jungen, sie blickt ins Nichts, und das lässt sich auch vom "Nibelungenlied" sagen. Aber weil Bröckling sich für die künstlerische Qualität der Heldenbilder so wenig interessiert, hat er auch keinen Sinn für deren reflektierende Qualitäten.
Reflexivität spricht er dem postheroischen Helden zu. Postheroisch, das bedeutet für Bröckling nicht ein simples Danach oder ein Verschwinden des Helden, das ist eine neue, etwa durch Psychologie reflektierte Art, sich zum Heldenideal zu verhalten. Aber auch die Untersuchungen zum modernen Helden oder Heldenersatz diskutieren keine Beispiele. Ist der Held, verstanden als Ausnahmepersönlichkeit, vielleicht doch verschwunden? Der heroische Unternehmer, bahnbrechend, schöpferisch zerstörend, scheint jedenfalls nicht Konjunktur zu haben. Gelobt wird die integrative Persönlichkeit, die auf die Mitarbeit aller setzt. Selbst das amerikanische Militär, obwohl aus Freiwilligen rekrutiert, lässt sich kaum mehr in Krisengebiete schicken. Verletzungen und Todesrisiko werden als "Skandal, nicht als Berufsrisiko" betrachtet.
Was also sollte uns heute am Helden interessieren? In Bröcklings "Zeitbild" scheint er ein flacher Gegenstand. Vielleicht liegt es daran, dass der Autor so unbeteiligt wirkt, sich nicht selbst auf die Suche nach Helden, wahren und falschen, macht, sondern im Wesentlichen aus der Sekundärliteratur berichtet. Auch die Helden und Superhelden der populären Kultur haben ihn nicht zu begeisterter, irritierter, spöttischer Wahrnehmung verlockt und zu eigenem Urteil. Er zitiert eine Reihe einander widersprechender Autoritäten und resümiert: "All das trifft zu."
Der Heldenallergiker könnte sich also beruhigen. Doch was den jungen Engels begeisterte, der Wunsch nach Durchbrechung der Routinen, wird sich nicht einfach auflösen. Der Held ist ein Produkt der Krise, aber krisenfreie Entwicklungen sind selten. Gerade gewinnt man den Eindruck, dass in der Politik selbst maßvolle Reformen, etwa in der Renten- oder Steuerpolitik, geradezu heldenhafte Anstrengungen verlangen. Auf ermäßigtem Niveau dürfte die "frische Tat" selten und wünschenswert bleiben.
Ulrich Bröckling: "Postheroische Helden".
Ein Zeitbild.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 277 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main