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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Rosi Braidotti freut sich auf den neuen Menschen
Es geht um Orientierung: "Der Mensch" - männlich, weiß, rational, selbstbewusst und eurozentrisch - ist schon lange nicht mehr das Maß aller Dinge, nun kommen weitere Erosionen dazu. Gentechnologie und Mensch-Maschine-Hybriden rütteln an den letzten Fundamenten, auf denen eine Orientierung noch beruhen könnte, dem Körper, den Artgrenzen. Wir erleben eine "unerbittliche Konsumierung alles Lebendigen", so Rosi Braidotti, Professorin für Philosophie zu Utrecht, in der auch der letzte Grashalm noch zur Energiegewinnung herhalten muss und die Genome längst zur Ausbeutung freigegeben sind. In diese Kategorie gehören für die Autorin aber ebenso die Frauen und Kinder der globalen Sexindustrie, die billiger zu haben seien als exotische Vögel.
Die aus diesen "Aufgewühltheiten und Schrecken" resultierende Verunsicherung hält uns in einem gedanklichen Jetlag fest, so Braidotti. Diesen mentalen Durchhänger könne keine nostalgische Rückbesinnung auf "den Menschen" überwinden. An ihre Stelle setzt die Autorin ihr Programm des kritischen Posthumanismus: ein mutiges und neugieriges Experimentieren mit unseren "ungeheuerlichen neuen Möglichkeiten" als "nicht-einheitliche", "nomadische", vernetzte und verkörperte Subjekte, die sich Roboter- und Biotechnologien zunutze machen und sich vor allem als im Werden begriffen betrachten.
Die neuen Technologien selbst sind erst einmal normativ neutral, so die Autorin, die sich selbst als technophil beschreibt. Entsprechend sind für sie die in Auflösung befindlichen Grenzen zwischen Mensch, Tier und Maschine weniger Grund zur Sorge als Ausdruck neuer Möglichkeiten. Möglichkeiten freilich, die unsere moralischen Intuitionen, die doch eher auf Individuen als auf vernetzte Hybriden aller Art eingestellt sind, auf eine harte Probe stellen. Braidottis optimistischer Zugriff beeindruckt: Bange machen gilt nicht. Was uns mit unseren neuen Handlungsmöglichkeiten bevorsteht, sind nicht die "schlimmsten Albträume der Moderne". Es ist nur eine neue Situation, aus der wir etwas machen können. Wie die posthumanen Subjekte sich über die Auswertung ihrer mutigen Experimente verständigen sollen, geht aber leider in der ausführlichen Diskussion zahlreicher Humanismen, Kolonialismen, Kommunismen, Universalismen und Feminismen unter. Am Ende steht dann wenig Spektakuläres: Wir sitzen alle im selben Boot und müssen gemeinsame Bezugspunkte und Werte identifizieren.
MANUELA LENZEN
Rosi Braidotti: "Posthumanismus". Leben jenseits des Menschen.
Aus dem Englischen von Thomas Laugstien. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2014. 215 S., br., 24,90 [Euro].
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