Im späten 19. Jahrhundert machten französische Psychiater eine alarmierende Beobachtung: Bei Kindern, die während der preussischen Belagerung und der blutigen Revolten in Paris 1870/71 gezeugt worden waren, zeigten sich gehäuft körperliche und psychische Anomalien. Das liess aufhorchen: Wie hatten die turbulenten Ereignisse jener Zeit eine solch fatale Wirkung über Generationen hinweg entfaltet? Als mögliche Faktoren wurden neben den schwierigen Lebensumständen vor allem die traumatischen Erfahrungen der Schwangeren in Betracht gezogen. Ausgehend von dieser Episode untersucht Caroline Arni, wie Physiologen, Mediziner und Psychologen im 19. Jahrhundert ihren Blick auf das Geschehen vor der Geburt richteten, indem sie das "Leben" des Fötus zum Gegenstand von Experiment und Beobachtung machten. Aus diesen Forschungen ging zum einen das gesundheitspolitisch brisante Konzept der pränatalen Prägung hervor. Zum andern warf die Ergründung fötaler Entwicklung eine gewichtige Frage auf: Beginnt menschliche Subjektivität vor oder nach der Geburt? Pränatale Zeiten leistet einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften und der Schwangerschaft. Als sich im 19. Jahrhundert die Wissenschaften vom Leben und jene vom Menschen herausbildeten, wurde das Ungeborene nicht nur als "Embryo" Gegenstand biologischen Wissens, sondern forderte als "Vorgeburtliches" auch die Humanwissenschaften heraus. Indem das Buch diesen bisher wenig bekannten Aspekt in der Geschichte des Ungeborenen ausleuchtet, eröffnet es neue Blickwinkel auf heute virulente Fragen: Es verleiht den bioethischen Debatten um den Beginn menschlichen Lebens eine historische Dimension und skizziert die Anfänge aktueller Forschungen zur pränatalen Prägung, die heute neben genetischen und sozialen Faktoren als dritte eigenschaftsbildende Kraft gilt.