Nachdem Richard Rorty Ende der 1970er Jahre die westlich-neuzeitliche Philosophie einer grundstürzenden Kritik unterzogen hatte, setzte er sich sogleich an die Spitze einer intellektuellen Bewegung, die unter dem Label »Neopragmatismus« auch außerhalb der Philosophie enorm einflussreich geworden ist. Über die Jahrzehnte hat Rorty seine Version des Pragmatismus ständig erweitert und verfeinert, unter anderem in legendären Vorlesungen an der Universität von Girona. Sie bilden das Kernstück dieses Buches, das nicht weniger bietet als die finale Version von Rortys Spätphilosophie.
In ihrem Zentrum steht der Begriff des Antiautoritarismus, den Rorty als Hauptimpuls seines Denkens ausweist. Es gibt keine Autorität, die vorgibt, was wahr und richtig ist. Es gibt nur uns und unsere Meinungen, Ideen und Traditionen. Gute Ideen erkennt man daran, dass sie zum Wohl aller beitragen. Und um festzustellen, worin dieses Wohl besteht, muss man sich mit dem, was andere meinen und wollen, beschäftigen und bereit sein, die eigenen Ansichten zu revidieren. Der Antiautoritarismus, wie Rorty ihn versteht, fängt bei jedem Einzelnen an. Seine Währung ist Vertrauen, sein Medium ist das Gespräch, sein Ziel ist Emanzipation. Das ist die politische Botschaft von Pragmatismus als Antiautoritarismus.
In ihrem Zentrum steht der Begriff des Antiautoritarismus, den Rorty als Hauptimpuls seines Denkens ausweist. Es gibt keine Autorität, die vorgibt, was wahr und richtig ist. Es gibt nur uns und unsere Meinungen, Ideen und Traditionen. Gute Ideen erkennt man daran, dass sie zum Wohl aller beitragen. Und um festzustellen, worin dieses Wohl besteht, muss man sich mit dem, was andere meinen und wollen, beschäftigen und bereit sein, die eigenen Ansichten zu revidieren. Der Antiautoritarismus, wie Rorty ihn versteht, fängt bei jedem Einzelnen an. Seine Währung ist Vertrauen, sein Medium ist das Gespräch, sein Ziel ist Emanzipation. Das ist die politische Botschaft von Pragmatismus als Antiautoritarismus.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Dieter Thomä staunt über die Unnachgiebigkeit und die Sanftmut in den Girona-Vorlesungen von Richard Rorty aus dem Jahr 1996. Gut lesbar und virtuos in der Führung virtueller Dialoge mit Zeitgenossen wie Habermas oder Rawls erweist sich Rorty hier laut Thomä einmal mehr als Pragmatist. Wie Rorty gegen allmächtige Autoritäten und für die Lust am Spiel und das Gefühl als Basis für friedlichen Umgang optiert, wie er auch gegnerische Argumente erkenntnistheoretisch angeht und den Fundamentalismus verachtet, scheint dem Kritiker sehr lesens- und bedenkenswert und mitunter "beängstigend aktuell".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Obgleich das Buch bereits vor fast 20 Jahren entstanden ist, bieten seine Überlegungen eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten für heutige Debatten, etwa darüber, wie wir globalen Krisen begegnen können, auf die es keine einfachen Antworten gibt und wo jeder Lösungsansatz mit neuen Konflikten einhergeht.« Eva Murasov tagesspiegel.de 20230730
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2023Die Vorteile des Vatermords
Letzte Versicherungen stehen nicht zu Gebot: Richard Rortys
Vorlesungen aus dem Jahr 1996 hatten eigentlich das Zeug zu einem Hauptwerk.
Kaum war die Trauer über seinen Tod 2007 verkraftet und verklungen, wurde es ruhig um Richard Rorty. Galt er um die Jahrtausendwende noch als einflussreichster amerikanischer Philosoph neben John Rawls, hat die Debatte um sein Werk inzwischen an Schwung eingebüßt. Vielleicht liegt dies daran, dass man inzwischen weiß, woran man bei ihm ist: Rorty schreibt so lakonisch und elegant, dass sich der Bedarf an Auslegeware irgendwann erschöpft. Oder vielleicht hat die Borniertheit der akademischen Philosophen, die Rorty jahrzehntelang beklagt und bekämpft hat, inzwischen weiter zugenommen, sodass für jemanden wie ihn kein Forum mehr offensteht.
An den Themen jedenfalls, die Rorty in seinen Schriften verhandelt hat, kann das Nachlassen des Interesses kaum liegen. Der Liberalismus, zu dessen Verteidigung er pünktlich zum Mauerfall sein Buch "Kontingenz, Ironie, Solidarität" vorgelegt hat, steht im Wind - und zwar heftig. Den aktuellen Streit um die Lifestyle-Linke hat er in seinem Buch "Stolz auf unser Land" von 1998 vorweggenommen. Von seinem ersten Buch "Der Spiegel der Natur" von 1979 bis zu seinen spätesten Schriften hat er seiner Skepsis gegenüber letzten Wahrheiten Ausdruck verliehen und damit die Diskussion um das postfaktische Zeitalter vorweggenommen.
In seinen letzten Lebensjahren wurde Rorty derart mit Ehrungen und Einladungen überschüttet, dass er einer Neigung frönte, die er in früheren Jahren tapfer bekämpft hatte: die Neigung zur kleinen Form, zu einem Essay hier und einem Aufsatz dort, mit denen er Freunde und Interessierte zufriedenstellte. Da er dem großen System sowieso misstrauisch gegenüberstand, störte es ihn nicht, einen dicken Stapel Papier, der das Zeug zum Hauptwerk hatte, in der Schublade verstauben zu lassen und für kürzere Veröffentlichungen auszuschlachten. Bei diesem Stapel handelt es sich um Vorlesungen, die Rorty 1996 in Girona hielt und die seinerzeit in katalanischer und spanischer Übersetzung erschienen, aber erst 2021 auf Englisch - und jetzt eben auf Deutsch unter dem Titel "Pragmatismus als Antiautoritarismus". Das originale Manuskript wirkt, wie der Herausgeber und Rorty-Kenner Eduardo Mendieta schreibt, "erstaunlich vollendet, so als könne es sofort in die Setzerei gehen. Es liest sich wie am Schnürchen." Das stimmt.
Als Vertreter des Pragmatismus hat sich Rorty einen Namen gemacht - also als Denker, der die Theorie der Praxis nachordnet und für den die Stunde der Wahrheit dann schlägt, wenn etwas sich bewährt, gut läuft, dem guten Leben dient. Was dies mit Antiautoritarismus zu tun hat, erfährt man nun in einem Abschnitt, der den Titel "Pragmatismus als Befreiung vom Urvater" trägt und sich auf Sigmund Freuds Ödipus-Theorie stützt.
Rorty teilt die Menschen - und die Denker - in zwei Gruppen ein. Die einen seien darauf aus, "sich mit einer Autoritätsfigur zu verbünden", "sich an etwas ankuscheln, was zu rein und gut ist, um wirklich menschlich zu sein". Sie sehnten sich "nach einem Ruhepol in der sich drehenden Welt, nach etwas, worauf man sich stets verlassen kann". Zu denken sei an Platon, Descartes, Kant oder - aktuell - an Thomas Nagel. Die anderen jagten diese Autoritäts- oder Vaterfigur vom Hof und hofften auf eine "bessere Zukunft, die durch ein höheres Maß an brüderlicher Zusammenarbeit zwischen den Menschen erreicht werden soll". "Ausschließlich der Pragmatismus" - vertreten durch John Dewey und seinen Schüler Richard Rorty - "erntet die Gesamtheit der Vorteile des Vatermords."
Als Freud-Interpretation ist Rortys Konstruktion der "zwei Menschentypen" ziemlich einsturzgefährdet. Als Schlüssel zu seinem "Antiautoritarismus" taugt sie ausgezeichnet. Er hält es für eine "Notwendigkeit, der Menschheit zur vollen Reife zu verhelfen, indem man das Bild der grimmigen Vaterfigur abserviert" - und damit meint er nicht einen fiesen Papa, sondern eine Instanz, die als "außermenschliche Autorität" dem Zugriff entzogen ist, "Gehorsam" fordert oder "Erlösung" verspricht. Für diese autoritäre Instanz nennt Rorty sehr verschiedene - man muss sagen: allzu verschiedene - Beispiele: Der Bogen reicht vom allmächtigen "Gott", der sich letztes Wort und erste Tat vorbehält, über das "Erhabene", das sich dem Verstehen entzieht, bis zur "Realität", an der alles Herumdeuteln wie von einer Felswand abprallen soll.
Rorty meint, dass die "nichtmenschliche Kraft" dieser verschiedenen Formen von Autorität erschlichen sei und die Menschen dazu verleite, als denkende, freiheitsdurstige Wesen abzudanken. Sein philosophisches Großreinemachen mündet in den Appell, im positiven Sinne "schamlos" zu sein, "im Wandelbaren und Vergänglichen zu schwelgen" und an der "utopischen Hoffnung auf eine vom Menschen selbst gemachte Zukunft" festzuhalten. Seine Devise könnte lauten: Keine Angst vor dem Spiel.
In seinen Vorlesungen führt Rorty virtuose virtuelle Dialoge mit philosophischen Zeitgenossen (etwa mit Habermas, Wellmer, McDowell, Rawls und Brandom, welch Letzterer ein eindringliches Vorwort zu diesem Band beigesteuert hat). Jeweils erwägt er nicht nur Argumente, die ihm in den Kram passen, sondern auch solche, die ihn in die Enge treiben. Seine Position wird erkenntnistheoretisch, moralphilosophisch und politisch ausbuchstabiert.
Ein erkenntnistheoretisches Glanzstück ist die Vorlesung zum "Panrelationalismus", in der Rorty sich für die These starkmacht, dass unser Weltbezug nicht im empirischen Aufspießen von "Elementarteilchen" besteht, sondern immer und überall mit Verbindungen oder eben "Relationen" operiert. Ein moralphilosophisches Rührstück ist sein - bereits aus anderen Schriften geläufiges - Plädoyer für die Erziehung des Gefühls als Voraussetzung friedlichen Umgangs. Ein politisches Lehrstück ist schließlich sein Vorschlag, wie am besten mit Fundamentalisten und Demagogen umzugehen sei. Hier setzt er sich unter anderem mit Habermas auseinander, der ihnen vorwirft, sich als kommunikationsfähige Wesen der Rechtfertigung ihrer Thesen zu entziehen und universale Minimalstandards der Rationalität zu missachten. Von diesem Vorwurf hält Rorty nichts: Er meint, dass Ideologen ein derartiger performativer Selbstwiderspruch gar nicht juckt, und will sie stattdessen damit ärgern, dass er ihnen einen Mangel an "Neugier" vorwirft. So setzt er bei der Überschreitung gedanklicher Borniertheit eher auf affektive als auf rationale Fähigkeiten. Nach Rorty hat "dieser Drang", die Neugier also, "Kosmopolitismus und demokratische Politik im Schlepptau". Beängstigend aktuell ist sein Fallbeispiel, dass fundamentalistische Eltern sich beschweren, ihre Kinder müssten an der Universität Bücher "von Schwarzen, Juden, Homosexuellen" lesen. Heutzutage werden solche Kampagnen nicht nur von Eltern, sondern auch von fundamentalistischen Politikern gefahren, und Rorty hätte dafür nur Verachtung übrig.
Diese Vorlesungen sind von einer irritierenden Mischung aus Brutalität und Sanftmut getragen. Rücksichtslos demontiert Rorty philosophische Geltungsansprüche, hingebungsvoll verteidigt er die fragile Errungenschaft der Demokratie. Unbarmherzig bringt er Gewissheiten ins Schwanken, unermüdlich versucht er, uns mit diesem Schwanken auszusöhnen. DIETER THOMÄ
Richard Rorty: "Pragmatismus als Antiautoritarismus".
Hrsg. v. Eduardo Mendieta. Vorwort Robert Brandom. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 454 S., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Letzte Versicherungen stehen nicht zu Gebot: Richard Rortys
Vorlesungen aus dem Jahr 1996 hatten eigentlich das Zeug zu einem Hauptwerk.
Kaum war die Trauer über seinen Tod 2007 verkraftet und verklungen, wurde es ruhig um Richard Rorty. Galt er um die Jahrtausendwende noch als einflussreichster amerikanischer Philosoph neben John Rawls, hat die Debatte um sein Werk inzwischen an Schwung eingebüßt. Vielleicht liegt dies daran, dass man inzwischen weiß, woran man bei ihm ist: Rorty schreibt so lakonisch und elegant, dass sich der Bedarf an Auslegeware irgendwann erschöpft. Oder vielleicht hat die Borniertheit der akademischen Philosophen, die Rorty jahrzehntelang beklagt und bekämpft hat, inzwischen weiter zugenommen, sodass für jemanden wie ihn kein Forum mehr offensteht.
An den Themen jedenfalls, die Rorty in seinen Schriften verhandelt hat, kann das Nachlassen des Interesses kaum liegen. Der Liberalismus, zu dessen Verteidigung er pünktlich zum Mauerfall sein Buch "Kontingenz, Ironie, Solidarität" vorgelegt hat, steht im Wind - und zwar heftig. Den aktuellen Streit um die Lifestyle-Linke hat er in seinem Buch "Stolz auf unser Land" von 1998 vorweggenommen. Von seinem ersten Buch "Der Spiegel der Natur" von 1979 bis zu seinen spätesten Schriften hat er seiner Skepsis gegenüber letzten Wahrheiten Ausdruck verliehen und damit die Diskussion um das postfaktische Zeitalter vorweggenommen.
In seinen letzten Lebensjahren wurde Rorty derart mit Ehrungen und Einladungen überschüttet, dass er einer Neigung frönte, die er in früheren Jahren tapfer bekämpft hatte: die Neigung zur kleinen Form, zu einem Essay hier und einem Aufsatz dort, mit denen er Freunde und Interessierte zufriedenstellte. Da er dem großen System sowieso misstrauisch gegenüberstand, störte es ihn nicht, einen dicken Stapel Papier, der das Zeug zum Hauptwerk hatte, in der Schublade verstauben zu lassen und für kürzere Veröffentlichungen auszuschlachten. Bei diesem Stapel handelt es sich um Vorlesungen, die Rorty 1996 in Girona hielt und die seinerzeit in katalanischer und spanischer Übersetzung erschienen, aber erst 2021 auf Englisch - und jetzt eben auf Deutsch unter dem Titel "Pragmatismus als Antiautoritarismus". Das originale Manuskript wirkt, wie der Herausgeber und Rorty-Kenner Eduardo Mendieta schreibt, "erstaunlich vollendet, so als könne es sofort in die Setzerei gehen. Es liest sich wie am Schnürchen." Das stimmt.
Als Vertreter des Pragmatismus hat sich Rorty einen Namen gemacht - also als Denker, der die Theorie der Praxis nachordnet und für den die Stunde der Wahrheit dann schlägt, wenn etwas sich bewährt, gut läuft, dem guten Leben dient. Was dies mit Antiautoritarismus zu tun hat, erfährt man nun in einem Abschnitt, der den Titel "Pragmatismus als Befreiung vom Urvater" trägt und sich auf Sigmund Freuds Ödipus-Theorie stützt.
Rorty teilt die Menschen - und die Denker - in zwei Gruppen ein. Die einen seien darauf aus, "sich mit einer Autoritätsfigur zu verbünden", "sich an etwas ankuscheln, was zu rein und gut ist, um wirklich menschlich zu sein". Sie sehnten sich "nach einem Ruhepol in der sich drehenden Welt, nach etwas, worauf man sich stets verlassen kann". Zu denken sei an Platon, Descartes, Kant oder - aktuell - an Thomas Nagel. Die anderen jagten diese Autoritäts- oder Vaterfigur vom Hof und hofften auf eine "bessere Zukunft, die durch ein höheres Maß an brüderlicher Zusammenarbeit zwischen den Menschen erreicht werden soll". "Ausschließlich der Pragmatismus" - vertreten durch John Dewey und seinen Schüler Richard Rorty - "erntet die Gesamtheit der Vorteile des Vatermords."
Als Freud-Interpretation ist Rortys Konstruktion der "zwei Menschentypen" ziemlich einsturzgefährdet. Als Schlüssel zu seinem "Antiautoritarismus" taugt sie ausgezeichnet. Er hält es für eine "Notwendigkeit, der Menschheit zur vollen Reife zu verhelfen, indem man das Bild der grimmigen Vaterfigur abserviert" - und damit meint er nicht einen fiesen Papa, sondern eine Instanz, die als "außermenschliche Autorität" dem Zugriff entzogen ist, "Gehorsam" fordert oder "Erlösung" verspricht. Für diese autoritäre Instanz nennt Rorty sehr verschiedene - man muss sagen: allzu verschiedene - Beispiele: Der Bogen reicht vom allmächtigen "Gott", der sich letztes Wort und erste Tat vorbehält, über das "Erhabene", das sich dem Verstehen entzieht, bis zur "Realität", an der alles Herumdeuteln wie von einer Felswand abprallen soll.
Rorty meint, dass die "nichtmenschliche Kraft" dieser verschiedenen Formen von Autorität erschlichen sei und die Menschen dazu verleite, als denkende, freiheitsdurstige Wesen abzudanken. Sein philosophisches Großreinemachen mündet in den Appell, im positiven Sinne "schamlos" zu sein, "im Wandelbaren und Vergänglichen zu schwelgen" und an der "utopischen Hoffnung auf eine vom Menschen selbst gemachte Zukunft" festzuhalten. Seine Devise könnte lauten: Keine Angst vor dem Spiel.
In seinen Vorlesungen führt Rorty virtuose virtuelle Dialoge mit philosophischen Zeitgenossen (etwa mit Habermas, Wellmer, McDowell, Rawls und Brandom, welch Letzterer ein eindringliches Vorwort zu diesem Band beigesteuert hat). Jeweils erwägt er nicht nur Argumente, die ihm in den Kram passen, sondern auch solche, die ihn in die Enge treiben. Seine Position wird erkenntnistheoretisch, moralphilosophisch und politisch ausbuchstabiert.
Ein erkenntnistheoretisches Glanzstück ist die Vorlesung zum "Panrelationalismus", in der Rorty sich für die These starkmacht, dass unser Weltbezug nicht im empirischen Aufspießen von "Elementarteilchen" besteht, sondern immer und überall mit Verbindungen oder eben "Relationen" operiert. Ein moralphilosophisches Rührstück ist sein - bereits aus anderen Schriften geläufiges - Plädoyer für die Erziehung des Gefühls als Voraussetzung friedlichen Umgangs. Ein politisches Lehrstück ist schließlich sein Vorschlag, wie am besten mit Fundamentalisten und Demagogen umzugehen sei. Hier setzt er sich unter anderem mit Habermas auseinander, der ihnen vorwirft, sich als kommunikationsfähige Wesen der Rechtfertigung ihrer Thesen zu entziehen und universale Minimalstandards der Rationalität zu missachten. Von diesem Vorwurf hält Rorty nichts: Er meint, dass Ideologen ein derartiger performativer Selbstwiderspruch gar nicht juckt, und will sie stattdessen damit ärgern, dass er ihnen einen Mangel an "Neugier" vorwirft. So setzt er bei der Überschreitung gedanklicher Borniertheit eher auf affektive als auf rationale Fähigkeiten. Nach Rorty hat "dieser Drang", die Neugier also, "Kosmopolitismus und demokratische Politik im Schlepptau". Beängstigend aktuell ist sein Fallbeispiel, dass fundamentalistische Eltern sich beschweren, ihre Kinder müssten an der Universität Bücher "von Schwarzen, Juden, Homosexuellen" lesen. Heutzutage werden solche Kampagnen nicht nur von Eltern, sondern auch von fundamentalistischen Politikern gefahren, und Rorty hätte dafür nur Verachtung übrig.
Diese Vorlesungen sind von einer irritierenden Mischung aus Brutalität und Sanftmut getragen. Rücksichtslos demontiert Rorty philosophische Geltungsansprüche, hingebungsvoll verteidigt er die fragile Errungenschaft der Demokratie. Unbarmherzig bringt er Gewissheiten ins Schwanken, unermüdlich versucht er, uns mit diesem Schwanken auszusöhnen. DIETER THOMÄ
Richard Rorty: "Pragmatismus als Antiautoritarismus".
Hrsg. v. Eduardo Mendieta. Vorwort Robert Brandom. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 454 S., geb., 34,- Euro.
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