Prana Extrem ist ein Versuch, die sich überstürzend verändernde Welt vielschichtig abzubilden; es ist das Wagnis, durch Liebe, Aufmerksamkeit und Humor Raum für ein anderes Miteinander entstehen zu lassen; ein Buch, das vom Gelingen tiefer Verbundenheit erzählt, und ein Ort, der für die Dauer der Lektüre als magisch erhabener Gegenraum zu unserer Wirklichkeit entsteht.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Zur Transzendenz des Skispringens: Joshua Groß erzählt in seinem Roman "Prana Extrem" von der Conditio humana im Angesicht der Klima-Apokalypse.
Offenbar scheidet sich die Welt in Müslikracher und Müslimatscher. Joshua, der Erzähler von Joshua Groß' Roman "Prana Extrem", löffelt auf jeden Fall nicht sofort los, sondern wartet lieber ab, bis "die Milch zuckrig wird und überhaupt alles ein bisschen verklumpt". Ja, klar, sagt seine Freundin Lisa, genauso sei er. "Labbrig?", fragt Joshua, erhält aber keine Antwort.
Tatsächlich ist Joshua kein kerniger Typ. Immerhin schon dreißig Jahre alt, isst er nicht nur gerne breiige Nahrung, verehrt Milchschnitte und lutscht, auch wenn eine Bekannte extra für ihn einen Blog mit Zahnfäule-Fotos einrichtet, zahllose Chupa Chups. Nein, sein Widerstand gegen wirklich feste Nahrung ist vor allem Ausdruck eines transzendentalen Strebens nach Selbstauflösung und Einswerdung mit dem Universum, das in einer James-Turrell-Ausstellung für einen Moment Erfüllung findet. "Es war, wie Lisa einmal gefordert hat: Wir machten eine Kollektivkur, wir befanden uns inmitten eines rituellen Aufweichungsprogramms, umgeben von fluoreszierenden Weichspülern, die leuchtend um uns herumschwappten und langsam in uns einsickerten. Alles war lila und horizontlos; wir badeten quasi in einer Behandlung."
Klingt das abgehoben? Dazu passt auf jeden Fall, dass Joshua Skispringen besonders faszinierend findet. Lisa hat ein Schreibstipendium in Hall bei Innsbruck, und Joshua, der sie begleitet, verbringt seine Zeit damit, alte Skisprungwettbewerbe auf Youtube anzuschauen und vom Fenster seines Hotelzimmers aus die Bergiselschanze zu betrachten.
Eines Tages fährt er dorthin und lernt Michael kennen, einen jungen, superehrgeizigen Skispringer. Der lädt ihn ein, mit Lisa zu ihm und seiner Schwester für den Sommer ins nahe (fiktive) Kurbruck zu ziehen. Der Sommer ist heiß, in den Thermalquellen am Ort fliegen riesige offenbar mutierte Libellen durch die Gegend, und es scheint, als würde sich Joshua in seinem Bestreben, flüssig und biegsam zu werden wie die glibberige Masse in einer Lavalampe, auf eine Zeit einstellen, in der alle Verhältnisse sich auflösen. "Wir bestiegen harmlose Gipfel im Umland - dabei schaute ich oft stundenlang auf das Kurbrucker Sumpfgebiet, das sich Hunderte Meter unter mir befand, dampfend, glitzernd, grün: Es kam mir wie ein Überbleibsel vor. Es wird bestehen bleiben, dachte ich, auch wenn außenrum alles unbewohnbar ist."
In "Prana Extrem" hat die Dystopie längst begonnen, nur sieht diese Dystopie, die in so vielen der von Joshua gelesenen Science-Fiction-Romanen beschrieben wird, immer noch schön aus, schöner vielleicht als jede Utopie: Man geht in ihr besonders achtsam miteinander um, führt Gespräche über Tribals und Maggi-Fix und versucht, auch wenn längst alles verloren ist, seinen Kick aus supercrispy Brotecken zu ziehen und in die Dämmerung hineinzudiffundieren.
Aus diesem Moment bezieht der Roman seine unterschwellige, aber enorme Spannung. Scheint es so, als sei dieser Joshua ein furchtbar oberflächlicher Typ, auf eine substanzlose Art gefühlig und ohne das, was man ein inneres Zentrum oder eben einen Kern nennt, ein Kiffer, der mit seinen Freunden in einem eisgekühlten SUV durch einen der letzten Sommer vorm Klimakollaps gondelt, als würde es auf das bisschen Kohlendioxid auch nicht mehr ankommen - so ist all das doch durchgehend als Inszenierung, als literarisches Werk kenntlich, als äußerst konsequent erzähltes Werk, das geschickt mit dem Kontrast zwischen Wunsch und Wirklichkeit arbeitet. Auch die Sprache in ihrer scheinbaren Kunstlosigkeit zeugt gerade in den Momenten kalkulierten Ungeschicks von jener Welt aus Täuschung und Selbsttäuschung, in der wir uns so virtuos bewegen.
Der Roman selbst ist eine Art Wahrnehmungsinstrument, in dem die Spannungen unserer unmittelbaren Gegenwart sichtbar werden, fernab jener Materialität von Temperaturen und sonstigen Messwerten, die uns aufzeigen, wie schnell die Gletscher schmelzen oder wie stark der Meeresspiegel steigt. All das kann man konstatieren, aber damit ist nichts darüber gesagt, wie diese Veränderungen auf uns selbst, auf unser Weltverhältnis, auf unser Bewusstsein einwirken. "Prana Extrem" handelt von genau diesen Interferenzen, auch wenn der Roman vordergründig nur von einem ereignisarmen Sommer erzählt, in dem Joshua dreißig wird und von seinen Freunden einen Meteoriten geschenkt bekommt, den ältesten Meteoriten Deutschlands, den sie ihm in seiner Heimatstadt Nürnberg aus dem Museum geklaut haben.
Joshua transportiert den Meteoriten nach Innsbruck und deponiert ihn dort in einer angemieteten Garage, um ihn hin und wieder zu besuchen und seine fluoreszierende Energie zu spüren. Bald gesellt sich zu ihm und Lisa noch Oma Suzet, die vor Geld strotzt, aber unter dem Verlust ihres Partners leidet. So kommt es gerade recht, dass in Innsbruck ein Dokumentarfilm über die von Joshua verehrte Science-Fiction-Autorin Gertrude Rhoxus Premiere hat (die ominöse Rhoxus-Foundation spielt schon in Groß' Debütroman "Flexen in Miami" eine wichtige Rolle). Zur Premiere ist der Mann von Gertrude Rhoxus, ein Videokünstler mit dem kunstvollen Namen Ignar Dragh, angereist, und ihn möchte Joshua nun mit seiner Oma verkuppeln. Dafür schlägt er ihm ein Minigolfturnier vor: Siegt Joshua, soll Ignar Dragh Oma Suzet daten, siegt Dragh, überlässt Joshua ihm den Meteoriten für eine Kunstinstallation.
Überflüssig zu sagen, dass Minigolf der passende Sport für jemanden wie Joshua ist, der, wenn überhaupt, nur die ganz kleinen Widerstände überwinden mag. Dass er mit dem winzigen Golfball aber den riesigen Meteoriten in seiner eigenen österreichischen Umlaufbahn hält, ist nur eine der vielen ironischen Volten in "Prana Extrem".
Bleibt der Meteorit auch in Innsbruck, so verliert Joshua zusammen mit seinem Autor doch nie dessen himmlischen Ursprung aus dem Auge. Ein ganzes Motivfeld ist mit Himmelserscheinungen verknüpft, und als Lisa bei einem weiteren Besuch der Ausstellung den Lichtkünstler James Turrell zitiert ("I am not an Earth artist, I'm totally involved in the sky"), hat der obsessive Skispringer Michael die Erleuchtung seines Lebens: "Genau wie ich, sagte Michael, fast fassungslos. Genau wie ich, wiederholte er, verstrickt in den Himmel, das bin doch ich."
So schlummert auch in der Banalität des Sports enormes transzendentales Potential. Wo und wie genau das Prana, die Lebensenergie, fließt, lässt sich zwar nicht mit Bestimmtheit sagen, aber dass sie irgendetwas mit Meteoriten und anderen Himmelserscheinungen zu tun hat, womöglich mit einer mit der Schwester des Skispringers durch Liebe verbundenen Astronautin an Bord der ISS, liegt nahe. Joshua Groß hat mit seinem sehr ernsten und dabei höchst vergnüglichen Roman auf jeden Fall bewiesen, dass Spiritualität, Monsterlibellen und Minigolf einander nicht ausschließen, ja dass sie zwischen zwei Buchdeckeln sogar entscheidende Knotenpunkte eines bedeutenden literarischen Werk bilden können. TOBIAS LEHMKUHL
Joshua Groß: "Prana Extrem". Roman.
Matthes & Seitz, Berlin 2022. 304 S., geb., 24,- Euro.
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