In der Vergangenheit haben viele historische Studien Ehe und Sexualität auf kommunaler Ebene thematisiert. Dabei blieben die sich während der sogenannten ,Sattelzeit' rasant wandelnden Haltungen der übergeordneten Zentralgewalten jedoch vernachlässigt. Letztere rissen in einem gipfelnden Staatsbildungsprozess das Gewaltmonopol immer vehementer an sich und wiesen Interessen von Partikularmächten zunehmend energisch zurück. Die vorliegende Arbeit begegnet dem genannten Desiderat, indem sie Eheschließungen als Aushandlungsprozesse zwischen ehewilligem Eigensinn, kommunaler und familiärer Ressourcenpolitik sowie obrigkeitlicher Biopolitik analysiert. Exemplarischer Untersuchungsraum ist das Gebiet der ehemals großen Stadtrepublik Bern, die sich am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert in einer Transformation von einem der mächtigsten alteidgenössischen Bundesglieder zu einem gleichberechtigten bundesstaatlichen Kanton befand. Die Quellengrundlage für die Erforschung des wechselseitigen Beziehungsdreiecks von ehebegehrenden Paaren, sozialem Umfeld (Familien, Verwandte, Gemeinden sowie Korporationen) und obrigkeitlichem Ehegericht bilden Ehegerichtsakten und Petitionen um Eheerlaubnis, aber auch Ehegesetze und bevölkerungspolitische Debatten, die die Aushandlungsprozesse beeinflussten.