'Reading the book feel[s] like gaining privileged access to Miller ... Fascinating and salutary' Daily Telegraph
During his lifetime the great American playwright Arthur Miller published two highly regarded collections of stories: I Don't Need You Any More (1967) and Homely Girl, a Life (1995). Shortly after his death in 2005 a final collection, Presence (2007), appeared. Now, all eighteen of these stories are gathered together in one volume for the first time, including the six from Presence.
In his plays Miller took on the big themes of the day, putting stories of the Depression, wartime deceit and the McCarthy era on stage with an energy and passion not seen before and rarely since. In these stories he turns his attention to smaller, more intimate themes, informed by an unusual sensuality and delicacy. This essential collection offers a fresh perspective of the great writer and his work, with his famously profound insight, humanism, empathy and wit.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Andauernde Intensität: Arthur Miller war einer der großen Dramatiker des zwanzigsten Jahrhunderts. Postum lässt sich jetzt auch die Könnerschaft des Amerikaners als Erzähler erleben.
Der vor einem Jahrzehnt verstorbene Arthur Miller gilt unbestritten als der herausragende Autor sozialkritischer Dramen in den Vereinigten Staaten im zwanzigsten Jahrhundert und zugleich als einer der bedeutenden Essayisten seiner Zeit. Aber als Erzähler ist Arthur Miller zumindest in Deutschland mittlerweile so gut wie unbekannt. Man sollte sich freilich daran erinnern, dass Millers einziger Roman "Focus" ("Brennpunkt"), seine 1945 erschienene erzählerische Erkundung von Rassenhass und Zivilcourage am Beispiel des Antisemitismus in Amerika, in den fünfziger und sechziger Jahren in Deutschland große Beachtung fand. Und zumindest eine Erzählung Millers ist auch bei uns zu Ruhm gelangt: "Misfits", eine Geschichte, die Miller zu einem die Akzente gründlich verlagernden Drehbuch verarbeitete, das seiner damaligen Frau Marilyn Monroe eine ihrer eindrucksvollsten Rollen lieferte; es war freilich ihre letzte. Der deutsche Titel "Nicht gesellschaftsfähig" hat sich indes vor den Originaltitel "Misfits" geschoben, der die Akteure von Erzählung und Film direkt als Außenseiter charakterisiert.
Jetzt sind Millers sämtliche Erzählungen - die späten erstmals in deutscher Übersetzung - in der Reihe "Fischer Klassik" erschienen. Überrascht von diesem Klassizitätsanspruch, nimmt der deutsche Leser den Band zur Hand und lässt sich erst einmal von Miller selbst in einem 1966 entstandenen Vorwort bestätigen, dass die Erzählung ein "freundliches, familiäres Genre" ist, das im Unterschied zum Drama Ereignisse und Entwicklungen nicht beschleunige und konzentriere, sondern sie stillstelle, "um in aller Ruhe einzelne Aspekte in den Blick nehmen zu können". Die short story ist damit für Miller eine Gattung der Präzisierung im Detail und der Verdichtung der Aussage; sie erlaubt es dem Erzähler, "seine Wahrheit in einem Atemzug zu sagen". Hier spricht sich also kein gesteigertes Klassizitätsverlangen aus, wohl aber ein präzises Gattungsbewusstsein, das Miller genau erkennen ließ, welche seiner Stoffe fürs Drama und welche für die Erzählung geeignet waren. Als Nebenarbeiten wollte Miller jedenfalls seine Erzählungen nicht gewertet wissen.
Es spannt sich ein großer thematischer Bogen von der 1959 entstandenen ersten Erzählung des Bandes bis zur letzten, die der postum erschienenen Sammlung "Presence" (2007) den Titel gab. Beide sind Strandszenen; sie spielen also an einem Ort, der symbolisch elementare Grenzerfahrungen des Daseins repräsentiert: den Eintritt ins Leben in der ersten Geschichte, die Nähe des Todes in der letzten. Die frühe Erzählung "Ich brauche dich nicht mehr" wird erzählt aus der Perspektive eines noch nicht sechs Jahre alten Knaben aus jüdischem Elternhaus, die letzte aus der Perspektive eines alten Mannes, der auf das "geheiligte, heimatliche Gewässer seiner lange zurückliegenden Kindheit, das Meer, das ihn damals liebte und trotz der Angst lockte", blickt und dabei ungewollt ein junges Paar beim Liebesakt beobachtet. Hier erfährt ein alter Mensch die volle Gegenwart ("presence") der Liebe in dem sicheren Bewusstsein, an ihr keinen Anteil mehr zu haben, während in der ersten Geschichte, einer großen Kindheitsstudie von schmerzhafter Eindringlichkeit, ein Junge in der panischen Furcht, ein Außenseiter zu sein, in verzweifelter Aggressivität um die Liebe seiner Eltern kämpft, und bei seiner Selbstfindung ist ihm die Konfrontation mit dem Meer eine große Hilfe. Wer dieses Spannungsbogens innegeworden ist, wird nicht anders können, als in der Folge dieser Erzählungen auch eine innere Biographie ihres Autors Arthur Miller zu lesen. Das verleiht dieser Sammlung eine erstaunliche Geschlossenheit.
Die Stärken dieses Erzählers decken sich mit denen des Dramatikers Miller: die Kunst der präzisen Charakterisierung, Prägnanz der Dialoge, atmosphärische Verdichtung, sozialpsychologisches Gespür. Hinzu kommt in den Erzählungen eine staunenswerte Genauigkeit in der Beschreibung nicht nur von Räumen und Landschaften, sondern auch von technischen und handwerklichen Abläufen, in der sich die künstlerischen Ansprüche eines großen Realisten zu erkennen geben. Die Story "Schiffschlossers Stunde" erzählt von Tony Calabrese, einem Kleingangster und auch menschlich ziemlich miesen Typ, der während des Zweiten Weltkriegs zwangsverpflichtet ist zur Schiffsreparatur im New York Naval Shipyard, wobei er im eiskalten Januar jede Gelegenheit nutzt, um sich vor der Arbeit zu drücken. Dann aber kommt die große Herausforderung: die Reparatur der Ablaufschienen für Wasserbomben auf einem Zerstörer bei eisiger Kälte und ständiger Absturzgefahr, die Tony gegen den eigenen Willen, gefesselt nur von der Ausstrahlung des jungen Schiffskommandanten, bravourös bewältigt: eine Geschichte sehr amerikanischer Prägung über das Heldentum des kleinen Mannes, die Miller, wie andere Erzählungen auch, mit einem keineswegs unangenehmen Hauch von Sentimentalität sanft überpudert. Miller erzählt all dies mit einem eminenten Sachverstand in den technischen Details, die im Übrigen nicht allein Tony, sondern auch der Übersetzerin dieses Bandes eine Menge an Präzisionsarbeit abverlangen; sie bewältigt sie nicht weniger bravourös als Tony die seinige.
Und so geht auch der Zauber von "Misfits", Millers Meistererzählung, von der Sicherheit aus, mit der er dies seelische Kammerspiel zwischen drei Männern atmosphärisch einbettet in eine mit äußerster Präzision erfasste Wüstenlandschaft, aber auch von der tierpsychologischen Sensibilität, mit der er die Reaktionen der von den drei Außenseitern Gay, Perce und Guido, die sich in keine Gesellschaft und keinen Beruf mehr einpassen wollen, gejagten Wildpferde erfasst. "Misfits" sind sie alle, die Pferde wie die Männer, und wenn Gay, während er eine Lassoschlinge um die Vorhand eines Pferdes legt, sagt: "Sind armselige Klepper, die nirgends hinpassen", dann charakterisiert er damit zugleich sich selbst und seine Freunde. Das Drama um Gays Freundin Roslyn, das sich zwischen Gay, dem Mittvierziger, und dem jungen Perce abspielen könnte, belässt Miller in der Erzählung anders als im Film noch ganz in der Verhaltenheit erinnerter Gesten und sparsam angedeuteter Ängste und Wünsche der Männer, und auch das trägt zum Zauber der Erzählung bei.
Die atmosphärische Dichte von "Misfits" und manchen anderen der früheren Erzählungen erreichen Millers späte Storys nicht mehr; sie wirken konstruierter und programmatischer und geben auch der in Millers Erzählungen ohnehin spürbaren Neigung, die Bedeutung des Geschehens eindeutiger zu benennen, als dies nötig wäre, allzu bereitwillig nach. Aber auch hier folgt Miller seiner Überzeugung, dass Kunstwerke, wie es in der anrührenden Erzählung "Unansehnliche Frau, ein Leben" heißt, jenseits ihrer historisch-politischen Anlässe ihre "eigene Spiritualität" schaffen müssen, und das gelingt ihm bei der Mehrzahl seiner Erzählungen außerordentlich gut. Ich denke, dass ihre Eigenschaft, gleichsam Kapitel der inneren Biographie des Autors und Medien seiner seelisch-geistigen Selbstverständigung zu sein, erheblich dazu beiträgt, ihnen ihre andauernde Intensität zu sichern. Manche der späteren Erzählungen legen auch über die in einem langen Leben enttäuschten politischen Hoffnungen und Irrtümer dieses großen sozialkritischen Dichters Rechenschaft ab, dem aber keine politische Desillusionierung die Liebe zu den Menschen, von denen jede dieser Geschichten kündet, hat austreiben können.
Arthur Miller, der heute vor hundert Jahren in Harlem, New York City, geboren wurde, ein Klassiker also? Als Dramatiker sowieso. Aber seine Erzählungen bieten doch auch eine ganz vorzügliche Möglichkeit, ihn kennenzulernen und ihm auf manchmal erstaunlich persönliche Weise nahezukommen.
ERNST OSTERKAMP
Arthur Miller: "Presence". Sämtliche Erzählungen.
Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 414 S., geb., 22,99 [Euro].
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