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Günter de Bruyn bürgt für die Reize Königin Luises
Herrscherporträts gibt es, weil es sie geben muß. Die Galerie der Könige, Machthaber, Repräsentanten folgt den Geboten der Opportunität und der Chronistenpflicht, meist auch dem Geltungsdrang der Dargestellten. Bei Königin Luise von Preußen scheint der Fall anders zu liegen; hier forderte Ausstrahlung ihren Tribut. Die mecklenburgische Prinzessin, die 1793 als Braut des preußischen Kronprinzen in Berlin Einzug hielt, des vier Jahre später zum König gekrönten Friedrich Wilhelm III., beeindruckte schon bei der nach altem Hofzeremoniell abgehaltenen Hochzeitsfeier durch ihr unprätentiöses Auftreten. Ihre vielgerühmte "Natürlichkeit" ließ sie zum Kunstgegenstand werden, zur Ikone Preußens schlechthin.
Die junge Königin war förmlich umringt von Künstlern und Dichtern, die ihr Huldigungen im Übermaß darbrachten. Schadows "Prinzessinnengruppe", noch von Luises Schwiegervater Friedrich Wilhelm II. bestellt, zeigt sie mit ihrer Schwester Friederike; zärtlich aneinandergeschmiegt, mit hochgegürteten Gewändern, für deren figurbetonende Formen der Bildhauer "nach der Natur" hatte Maß nehmen dürfen. Sogar die von Schadow ersonnene Kinnbinde Luises, mit der eine vorübergehende Schwellung am Hals kaschiert werden sollte, wurde von anderen Porträtisten übernommen und verbreitete sich bald als elegante Modeerscheinung. Doch auch auf spirituell empfängliche Gemüter wirkte die Königin anziehend. Luises Bild in deutschen Wohnzimmern könne, so schwärmt Novalis, "das gewöhnliche Leben veredeln" wie sonst nur "ächte Religiosität", an deren Stelle nun "ächter Patriotismus" entstehen werde. Sein Dichterkollege Jean Paul, der sich des Vorzugs von Luises persönlicher Bekanntschaft erfreute, pries nach dem frühen Tod der Königin 1810 ihre Seelenschönheit und Frömmigkeit.
Postum zog Königin Luise eine beständig wachsende Zahl von Porträts und biographischen Miniaturen auf sich. Gedichte und Schauspiele wurden ihr gewidmet, Gemälde und Standbilder verherrlichten ihre Gestalt. Mit der Trauer verband sich die Stilisierung der Verstorbenen zur patriotischen Märtyrerin. Daß sie nach Preußens Niederlage 1806 vor den anrückenden französischen Truppen nach Ostpreußen hatte fliehen müssen und erst kurz vor ihrem Tod wieder zurückkehren konnte, wurde mit ihrem überraschenden Ableben in ursächlichen Zusammenhang gebracht. Sie konnte nicht an Lungenentzündung gestorben sein, sondern nur an gebrochenem Herzen. Zur Schutzpatronin der Gegenoffensive erkor sie der König höchstselbst durch die Stiftung des Eisernen Kreuzes, die er 1813 auf den Geburtstag Luises rückdatierten ließ. Doch nicht eine martialische Brünhild, sondern die mariengleiche Gestalt der edlen Dulderin wurde für die Luisen-Ikonographie prägend. Noch gefragter waren die mütterlichen Züge, nachdem Luises Sohn Wilhelm zum deutschen Kaiser gekrönt wurde. Fritz Schapers Statue von Mutter und Kind, die als "Preußische Madonna" populär wurde, gab 1897 das Pestalozzi-Fröbel-Haus in Auftrag. Mit Luise sollten nun, schon weitab von der dynastischen Tradition, die Ideale der Pflege und Fürsorge beworben werden. Caritative Stiftungen führten ihren Namen ebenso wie Schulen und Krankenhäuser.
Wo die Darstellung das Dargestellte überwiegt, wo die Überlieferungsgeschichte ihren einstigen Gegenstand längst aus der Sicht verloren hat, da gedeihen die Mythen. Ein Preußen ohne Legende kann und will Günter de Bruyn in seinem Essay über die berühmte Königin nicht bieten. Die Dominanz des Bildes über die Person reflektierend, spricht de Bruyn gelegentlich von der "Legendengestalt" Luise, öfter von ihrem Mythos. Legenden umranken die Lebensläufe von Heiligen, der "Mythos" trägt die Hypothek politischen Mißbrauchs und ideologischer Verblendung. Beiden Begriffen gemeinsam ist, daß sie, für gewöhnlich mit abschätzigem Unterton, auf Geschichten gemünzt werden, deren ungeregelte Fortpflanzung jeder besseren Einsicht trotzt.
Günter de Bruyn gestaltet sein Porträt Luises und ihrer öffentlichen Wirkung mit wohlwollender, fast zärtlicher Aufmerksamkeit, ohne sich von den Ranken des Legendenkranzes bestricken zu lassen. Gefahr droht heute kaum mehr von der Verklärung patriotischer Mütterlichkeit, eher schon von der Indifferenz gegenüber der Wirkungsgeschichte nationaler Mythen. Auf die Selbstglorifizierung Preußens und seine "Verdammung" durch die Siegermächte folgte mit der "Bilanz"-Ausstellung von 1981 die Attitüde der Versachlichung, in der Luise keinen Platz fand und "die Bedeutung von Individuen für die Geschichte" als "suspekt" galt, wie de Bruyn beklagt. Seine konzise Studie demonstriert, daß sich ein analytisches Interesse für mythenbeladene Figuren mit verständnisvoller Einfühlsamkeit auf charmante Weise verbinden läßt.
"Preußens Luise" ist das noble Bekenntnis eines Sympathisanten. Mit knappen Strichen läßt de Bruyn widersprüchliche Empfindungen und Lebenslagen plastisch hervortreten, trifft den ungewöhnlichen Ton einer argumentierenden Warmherzigkeit. Einzig die Diskretion läßt ihn gelegentlich etwas gestelzt formulieren, wenn das Thema droht, der Heldin zu nahe zu treten, wie bei den "durch regelmäßige Niederkünfte" erfüllten "Mutterpflichten". Bei aller Kritik am mythischen Nachleben Luises läßt de Bruyn keinen Zweifel daran, daß er die Popularität dieser preußischen Legende für authentisch und wohlverdient hält. Als Luises tiefstes Geheimnis erkennt er jene grandiose Unwahrscheinlichkeit, die sie in der Welt Preußens verkörperte: "Schönheit und Anmut mußten selten gewesen sein auf preußischen Thronen", um solche Verehrung hervorzubringen.
Durfte die Regentin einer soldatischen Nation "beliebt" sein? Konnten deutsche Künstler und Dichter ernstlich darauf hoffen, in Luise die langersehnte Stifterin eines preußischen Musenhofes gefunden zu haben, von ihr gar, wie Kleist, die Beflügelung des nationalen Gedankens zur befreienden Tat erwarten? In den Mythos Luises ist in erstaunlichem Maße gelebte Literatur eingegangen. Von den jugendlichen Besuchen im Hause der Mutter Goethes über Luises spätere Schwärmerei für Schiller bis zu den Jahren ihres ostpreußischen Exils ziehen sich Dichterspuren zuhauf durch diese Biographie, und noch mehr erbauliche Episoden über die Nützlichkeit der Dichtung. Einmal gar soll Luise in einer Notunterkunft auf der Flucht Goethes "Wer nie sein Brot mit Tränen aß" mit ihrem Diamantenring in die kältestarrende Fensterscheibe geritzt haben. Fromme Lügen, ohne die nicht leben kann, was eine Legende sein will. Aber Preußens Luise, diese allzu geduldige Ikone, ist nicht die Schutzheilige der Literatur. Besser bekommt es ihr, mit Liebhaberblicken betrachtet zu werden; im Porträt Günter de Bruyns oder in Schinkels Friedrichwerderscher Kirche, wo ihr nach der Natur gemodelter kesser Faltenwurf wieder zu sehen ist.
ALEXANDER HONOLD
Günter de Bruyn: "Preußens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende". Siedler Verlag, Berlin 2001. 144 S., Abb., geb., 28,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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