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Eine Boomtown am Rande der bewohnten Welt wird aufgerieben durch Gier und Gewalt, Rassismus und Rache: Dem Australier Alan Carter gelingt mit "Prime Cut" ein überzeugendes Debüt.
Hopetoun also. Sogar das China-Restaurant nennt sich "The Taste of Toun". Wie spricht man das also aus - Hopetoon wie in Cartoon, oder wie Hopetown? Der Volksmund sagt einfach Hopey. "Die älteren Einheimischen sagen Hopet'n, sie verschlucken also den letzten Vokal. Aber die Zugezogenen sind ihnen inzwischen zahlenmäßig überlegen, deswegen kannst du ihn aussprechen wie du willst, Hauptsache, du zahlst." So weit Tess Maguire, eine traumatisierte Ortspolizistin, zu Philipp "Cato" Kwong, auch er ein Polizist mit Blessuren. Einst war er wegen seines asiatischen Migrationshintergrundes das Plakatmotiv für die Polizeiwerbung, dann kegelte er sich durch eigenes Unvermögen aus der Karrierebahn: Nun schiebt er Dienst im Viehdezernat. Man hofft, dass er von selbst kündigt.
Dann spült es in Hopey einen Kadaver an Land, der sich als menschlicher Torso entpuppt. Dem nicht Haie, sondern ein scharfes Messer den Kopf abtrennte. Der wird dann in einer Felsenhöhle von einem Ranger gefunden. Wenig später gibt es eine zweite Leiche, die aber auf eine ganz andere Spur führt, einen "cold case" aus dem Jahr 1973 in England. Der ehemalige Polizist Stuart Miller, zwischenzeitlich nach Australien ausgewandert, jagt seit vierzig Jahren den Mörder seiner Frau und seines Sohnes. Als die australische Polizei einen Fall aus dem Jahr 1981 wiederaufnimmt, ahnt Miller dass er dem Serienmörder, der seine Opfer mit Strom tötet, auf der Spur ist. Aber der Täter ist ziemlich abgebrüht.
Hopetoun. Das Kaff. Das frühere Fischerdorf. Jetzt wird es zugemüllt mit "wuchernden, gesichtslosen Legoland-Neubausiedlungen" und Gewerbegebieten. Es hat das Zeug zur Verbrechenshauptstadt im entlegenen Südwesten Australiens. Sechshundert Kilometer südöstlich von Perth, eine Boomtown im Zangengriff von Geldgier und Gewaltbereitschaft. Eine Nickelmine in der Nachbarschaft verspricht Reichtum für mindestens fünf Jahrzehnte - aber nur für wenige Auserwählte, die anderen sind die Opfer des immer gleichen Sklaven- und Ausbeutersystems: chinesische Wanderarbeiter mit befristeter Arbeitsgenehmigung. Sie werden von allen Seiten ausgenommen und geprellt; zu ihnen gehörte offenbar auch der Ermordete. Die Umstände seines Ablebens darf Cato nur deswegen ermitteln, weil die nächste Mordkommission nicht abkömmlich ist. Dass er einst ein Verhältnis mit Tess abrupt beendete, macht die Sache nicht einfacher.
Alan Carter, 1959 im nordenglischen Sunderland geboren und 1991 nach Australien ausgewandert, reiht sich ein in die Riege von zugezogenen Autoren, angeführt von Peter Temple, die auf der Weltkarte des Krimis Ehre für Down Under einlegen. Zumal es sich um sein Debüt handelt. Zwar hat Carter Erfahrung als Autor der aus England importierten Fernsehserie "Who do you think you are?" gesammelt, in der Prominente den Verzweigungen ihres Stammbaums nachforschen. Zum Romancier aber wurde er erst, als seine Frau eine Lehrerstelle in Hopetoun annahm. Sein Roman gewann vor vier Jahren den Ned Kelly Crimewriting Award, ein zweiter Roman mit Cato Kwong ("Getting Warmer") ist 2013 erschienen, der dritte ("Bad Seed") folgt in diesem Jahr. Cato bleibt, Fremantle ersetzt Hopetoun, weil das Kaff nicht noch mehr fiktive Morde aushalten würde.
Und auch wenn Carter bei seinem Debüt mit erstaunlicher Übersicht und Routine zu Werk geht, ist bei der sprachlichen Ausdruckskraft noch Luft nach oben. Dialoge kann er, die Figuren und ihr Innenleben beherrscht er auch, die Schilderung von Landschaft und Ozean ist verbesserungsfähig. Ein ums andere Mal kommt Carter auf "das leuchtend blaue Südpolarmeer" zu sprechen, das sich bis zur Antarktis spannt, und auch der Nationalpark Fitzgerald River und die Barren Mountains bergen mehr Drohpotential. Denn der Mensch ist in dieser Szenerie nur Beiwerk, so weit und groß ist die Leere.
Aber das sind Einwände, die Alan Carters Leistung, Bilder zu schaffen, die man nicht sofort vergisst, nicht schmälern. Er zeichnet das Bild einer unfertigen Gesellschaft, die das Ausleben ihrer verrohten Sitten als Wertevermittlung für die eigenen Nachkommen begreift. Immer wieder läuft Cato aufgrund seines Aussehens in die gezückten Messer des Rassismus, da geht es ihm nicht besser als den wenigen Maori. Die Polizei ist den Umständen angepasst und also korrupt, und der örtliche Geldadel behindert die Ermittlungen, wo er kann. So ist "Prime Cut" auch das Porträt einer Gesellschaft, deren Nahrungskette klare Hierarchien kennt.
HANNES HINTERMEIER
Alan Carter: "Prime Cut". Kriminalroman. Aus dem Englischen von Sabine Schulte. Edition Nautilus, Hamburg 2015. 368 S., br., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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