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Das eigene Stück Grün ist der Inbegriff von Privatsphäre – an ihm lässt sich vorbildlich zeigen, wie das Private immer mehr verloren geht
SIEGFRIED LAMNEK / MARIE–THERES TINNEFELD (Hrsg.): Privatheit, Garten und politische Kultur. Leske + Budrich-Verlag, Opladen 2003.
Der Datenschutz scheint eines jener sperrigen Themen zu sein, die sich zwar einen festen Platz in der politischen und gesellschaftlichen Agenda erobert haben, deren genaue Konturen aber nur schwer zu bestimmen sind. Für viele Bürger, vor allem der jüngeren Generation, haftet dem Begriff etwas leicht Angestaubtes, Fremdes und mit der eigenen Lebensgestaltung offenbar nicht direkt Zusammenhängendes an. Datenschutz – das ist anscheinend eine Sache für Experten, Informatiker und Juristen, politisch höchst umstritten, allgegenwärtig und doch irgendwie nicht zur Stelle, wenn man ihn braucht.
Aber jeder Mensch braucht Datenschutz, und jeder Mensch nimmt ihn tagtäglich in Anspruch. Dass der Datenschutz vielen Menschen so merkwürdig fremd geblieben ist, mag damit zusammenhängen, dass seinen Akteuren zumeist die unnachgiebige Prinzipienreiterei und die Perfektion bis ins Detail wichtiger erscheinen, als direkt an den Bedürfnissen der Menschen anzusetzen. Wer auch nur einen Augenblick Gesetze und Verordnungen beiseite legt und aufmerksam beobachtet, wie Menschen sich im realen Leben Tag für Tag verhalten, wird unschwer feststellen, wie stark in Wirklichkeit der Datenschutz im Leben aller Menschen verankert ist.
Neugierige Nachbarn
Unter der Überschrift „Der vernetzte Garten” warnte beispielsweise vor kurzem ein Online-Magazin vor den Risiken für die Privatsphäre bei der Internetnutzung per Wireless LAN vom heimischen Garten aus und gab Tipps, wie man sich dabei vor dem neugierigen Nachbarn schützen kann. Solche Zusammenhänge kann nur entdecken, wer den Tellerrand des Bundesdatenschutzgesetzes übersteigt und sich auf das reale Leben einlässt.
Siegfried Lamnek und Marie-Theres Tinnefeld verwenden in ihrem Buch nirgendwo die üblichen datenschutzrechtlichen Sprechblasen und haben doch ein Werk herausgebracht, das von vorne bis hinten vom Datenschutz handelt. In Form einer gut gemischten Sammlung von Aufsätzen ganz unterschiedlicher Autoren werden die Zusammenhänge von Garten, Gartengestaltung und Gartenkultur mit den Fragen der privaten Lebensgestaltung, der Autonomie und dem Schutz der Privatsphäre aufgedeckt.
Um es vorweg zu nehmen: Das Bild des privaten Gartens als Inbegriff der Privatheit einerseits – und des öffentlichen Raums andererseits – stimmt in beiden Richtungen nicht mehr uneingeschränkt. Die Grenzen von Privatem und Öffentlichem sind längst fließend geworden. Nacktbader in öffentlichen Parks, Sex vor der Fernsehkamera und viele andere Formen eines noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbaren Exhibitionismus zerren Privates in das Licht der Öffentlichkeit.
Andererseits dringen die Medien und der Staat mit dem Argument der Bekämpfung der „organisierten Kriminalität” oder des „Terrorismus” immer tiefer in die räumliche Privatsphäre ein. Was sollte nach der Einführung von Abhörwanzen in Haus und Garten im Zuge des „Großen Lauschangriffs” von der Privatsphäre im Privatgarten noch übrig geblieben sein?
Und doch, auch unter diesen Bedingungen ist die Differenzierung von Staat und Gesellschaft, Allgemeinheit und Einzelnem, von Privatheit und Öffentlichkeit nicht völlig aufgehoben. Hinter der bunten Fassade der aufgezeigten Verschiebungen an der Oberfläche existieren die Kategorien von Privat und Öffentlich sehr wohl – und werden zumindest solange existieren, wie es eine bürgerliche Gesellschaft gibt. In „Privatheit, Garten und politische Kultur” wird diesen Zusammenhängen nachgegangen und dargelegt, welche Bedeutung der Garten als Raum für Freiheit hatte und heute noch hat.
Gewiss: Der Garten in seiner Gleichsetzung mit dem Paradies, das in allen drei monotheistischen Weltreligionen eine besondere Rolle innehat, der Garten als Sinnbild einer untergehenden Epoche (in Form der französischen „absolutistischen” Gärten), als Symbol der Freiheit (in Form des englischen Gartens, der für die „natürliche Freiheit” stand), als Förderer der Revolution gar, davon hat man schon öfter einmal gehört. Auch die Anlage von öffentlichen Parks und Gärten, die Öffnung der Schlossgärten für das „gemeine Volk” als Triumph der Demokratie ist ein unmittelbar einleuchtendes Bild.
Wenig bekannt war bislang der Garten als Hort der Geborgenheit, als Ort der stillen Emigration, der Zuflucht vor Verfolgern und der Entwicklung von Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus. Klar, dass dem totalitären Anspruch der NS-Diktatur uneinsehbare Orte der Privatheit ein Dorn im Auge sein mussten. Und ebenso zwangsläufig, dass den allseits entrechteten Juden die Gärten als Chance des Atemholens, der kurzfristigen Linderung des Verfolgungsdrucks, genommen werden „mussten” und zur gleichen Zeit hässliche Schilder die Nutzung öffentlicher Gärten durch Juden untersagten.
Wie sehr der Garten ein Raum für die Ermöglichung des privaten Lebensstils für viele Menschen ist, zeigte sich nicht ohne Zufall in der Entwicklung der „Schrebergartenkultur” mit all ihren Eigenheiten und schrulligen Auswüchsen. Das Buch spürt auch diesen Zusammenhängen nach und zeichnet die Entwicklungslinien vom Gärtlein der 50er Jahre bis zu den von der Baumarkt-Kultur geprägten Gärten heutiger Tage nach, in denen Kaufen statt Selber-Machen angesagt ist.
Der Bogen des Buches ist von der „Ambivalenz von Öffentlichkeit und Privatheit” (Lamnek) über „die Unverletzlichkeit der räumlichen Privatsphäre” (Tinnefeld), den „heimlichen Garten” (Zerboni di Sposetti) bis hin zu „Europa als Paradiesgarten” (Schmale) weit gespannt. Nicht zu weit gleichwohl, denn in der Kombination von Beiträgen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln, die nicht schon auf den ersten Blick unter das Joch einer einheitlichen Buchlinie gezwungen wurden, liegt der besondere Reiz dieses Bandes. In ihrem Vorwort rücken Lamnek und Tinnefeld ihr Buch in aktuelle Zusammenhänge und fragen bewusst nach räumlicher Privatsphäre im Spannungsfeld von, Totalitarismus, „Big Brother”, „1984” oder der Reaktion des Westens auf den Anschlag vom 11. September 2001.
Das Schöne ist nun, dass trotz dieser Anknüpfung an tagesaktuelle Vorgänge mit diesem kleinen Werk vor allem eine feine Sammlung von Denkanstößen entstanden ist, die dem Leser keine Schlussfolgerungen aufzwingt. Gut geschrieben, angenehm zu lesen, ist es ein wirklich lebendiger Farbklecks im grauen Einerlei der datenschutzrechtlichen Literatur: ein Buch über den Datenschutz, in dem dieses Wort so gut wie gar nicht vorkommt. Auch oder gerade das macht den Reiz des Buches aus.
HELMUT BÄUMLER
Der Autor ist Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz von Schleswig-Holstein in Kiel.
Der Garten als Hort der Geborgenheit, als Ort der stillen Emigration. Aber wer schaut durch die Hecke, starrt durch den Zaun?
Foto: Schapowalow
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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