»Amerikas Ikone« DIE ZEIT – Allen Ginsbergs wichtigste Prosastücke, erstmals auf Deutsch. Allen Ginsberg war die große Leitfigur der Beat Generation. Mit seinen Werken sorgte er immer wieder für Kontroversen, indem er Drogen, Sex und Politik direkt thematisierte. Wie konnte aus einem gepeinigten jungen Mann einer der einflussreichsten Intellektuellen und Künstler der Nachkriegszeit werden? Ginsberg hat keine Autobiographie veröffentlicht in der Überzeugung, dass sein Werk alles Wesentliche enthält. Michael Kellner, der Allen Ginsberg selbst kannte, hat die wichtigsten Prosatexte in diesem Band zusammengestellt. Das vielschichtige Porträt, das sich so zusammensetzt, kann nicht alle Lebenswidersprüche auflösen, aber dem bisherigen Bild neue Facetten hinzufügen. Vor allem zeigt es, wie sehr es sich lohnt, sich neu mit Ginsberg und seinem herausragenden Werk zu beschäftigen. Die Prosa liegt erstmals auf Deutsch vor, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Michael Kellner. Mit bislang unveröffentlichten Fotos zum 25. Todestag des Dichters am 5. April 2022.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jan Wiele überlegt, ob bei Allen Ginsberg nicht alles Lyrik war. Der von Michael Kellner herausgegebene Band mit Prosa vom Beatpoeten enthält laut Wiele allerdings durchaus programmatische, politische Texte. So erinnert ihn Ginsberg an Revolutionäres, an Verirrungen und Homophobie-Erfahrungen. Ein Interview im Band hebt Wiele eigens hervor: 1965 vergleicht Ginsberg Lyrik und Musik, nennt literarische Vorbilder, erklärt die Muse zum Freiwild und die Unterscheidung von hohem und niedrigem Stil für obsolet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2022In den besten Köpfen stecken Jazz und Sex und Suppe
Allen Ginsberg neu übersetzen nach Carl Weissner, tut das not? Nicht unbedingt, es bringt aber einen großen Dichter in Erinnerung
Lässt sich bei diesem Autor Lyrik von Prosa eigentlich unterscheiden? War nicht alles Lyrik, was Allen Ginsberg, der Guru der Beatdichter, in die Schreibmaschine gehackt, auf öffentlichen Plätzen gesungen, im Rausch oder im Halbschlaf vor sich hin gesagt hat? So könnte man meinen, aber Ginsberg hat doch schon selbst zwischen Genres unterschieden. Zur Entstehung seines Epochengedichts "Howl" hat er einmal geschrieben, der erste Teil sei nicht als Lyrik gedacht gewesen. "I began typing, not with the idea of writing a formal poem, but stating my imaginative sympathies, whatever they were worth." Aus diesen "imaginativen Sympathien" oder vielmehr auch Antipathien wurde die Wut-Suada gegen ein als spießig, bigott und repressiv empfundenes Amerika, das die "besten Köpfe meiner Generation" irre gemacht und so zerstört hat.
Fortgesetzt und abgeschlossen wurde "Howl" aber dann doch mit der Vorstellung eines Gedichts - und dessen Vortrag im Oktober 1955 in San Francisco machte Ginsberg über Nacht berühmt. Es wurde "The Poem that Changed America" - so der durchaus nicht übertriebene Titel eines Bandes, in dem fünfzig Jahre später dessen grundstürzende Effekte auf Lyrik, Popmusik, Literaturwissenschaft und Gesellschaft festgehalten wurden. Vivian Gornick sieht es wie manch andere als Fortführung von Walt Whitmans "Leaves of Grass", als Gedicht, das im Sinne Ezra Pounds die Sprache völlig erneuert habe mit seinen stakkatohaften Phrasen, wilden Juxtapositionen, mal mit der Stimme des Dichters, dann mit der des Hipsters vorgetragen.
Auch in Deutschland, so zeichnet der Herausgeber der vorliegenden zwei Bände noch einmal nach, schlug "Howl" schnell ein und ebnete den Weg für die Begeisterung durch Beatdichtung - weil zwei deutsche Schriftsteller in Lederjacken einen Abstecher von Amsterdam nach Paris machten. Dieser Besuch von Günter Grass und Walter Höllerer im legendären "Beat-Hotel", wo "Ginsberg, Burroughs, Corso und zeitweise Kerouac auf engstem Raum zusammenwohnten", habe mit dafür gesorgt, so Michael Kellner, "dass die Beat-Literatur schon in den frühen sechziger Jahren auf Deutsch vorlag".
"Howl" wurde zuerst von Wolfgang Fleischmann und Rudolf Wittkopf übersetzt als "Das Geheul". Einflussreicher aber wurde die spätere Übersetzung von Carl Weissner, der ja zur deutschen Stimme der Beatliteratur sowie auch der Prosa eines Charles Bukowski geworden ist und dessen Bedeutung für einen bestimmen Sound und Duktus von Gegenwartssprache nicht nur um 1968, sondern noch heute kaum hoch genug einzuschätzen ist.
Von daher darf man auch die Frage stellen, ob es nach Weissner überhaupt noch einer Neuübersetzung von "Howl" bedurfte. Wenn sie von dem österreichischen Schriftsteller und Dichter Clemens J. Setz stammt, wird die Sache freilich interessant, denn der aktuelle Büchnerpreisträger ist seinerseits ein eigentümlicher Übersetzer, wie man vor Kurzem in Darmstadt hören konnte. Zu Beginn unterscheidet er sich kaum von Weissner. "Ich sah die besten Köpfe meiner Generation, zerstört vom Wahnsinn, hungernd, hysterisch und nackt": Das ist fast identisch, nur dass es bei Weissner "ausgemergelt" hieß. Aus dem "angry fix", den diese Leute suchen, macht Setz einen "elenden Schuss", was vielleicht eleganter ist und besser passt als eine "wütende Spritze" (Weissner), aus dessen "Negerstraßen" macht Setz "Schwarzenviertel". Im Großen und Ganzen kann und muss er Weissner nicht übertreffen bei dem Versuch, die "Sehnsucht nach Jazz oder Sex oder Suppe" unter einen Hut zu bringen - interessant sind allenfalls Unterschiede wie "Vision vom vollkommenen Fick" (Weissner) und "letzter Fickspasmus" (Setz). Beide neigen, selbst bei im Original einmal süßlicherer Sprache, zur derben Übersetzung.
Die Entscheidung Kellners, Ginsbergs Gedichte gleich durch eine ganze Reihe deutscher Gegenwartslyriker neu übersetzen zu lassen, darunter Monika Rinck mit dem ebenfalls bedeutenden "Kaddish", Nora Gomringer mit dem Kurzgedicht "Message", Durs Grünbein mit "A Supermarket in California" oder Arne Rautenberg mit "Don't Grow Old" , ist dennoch eine gute Idee gewesen - so wie die gesamte Veröffentlichung, auch des Prosabandes, ja vor allem zum Ziel haben dürfte, Ginsberg auch Jüngeren oder überhaupt wieder ins Gedächtnis zu bringen.
Das ist verbunden mit amüsanten, deftigen und irritierenden Eindrücken. Irritierend zum Beispiel, weil das Sado-Maso-Gedicht "Please Master", in dem ein Sklave um Erniedrigung fleht, heute wohl anstößiger ist denn je; amüsant auf der rein sprachlichen Ebene etwa, weil man daran erinnert wird, wie schier endlos der Vorrat von Genitalmetaphern der Beatliteratur wohl ist, und weil "Bohrkolben", "Hobelschwert" oder "süße warme Wurzel" dazuzählen. Als Wortneuschöpfung bietet der Übersetzer Alexander Graeff zudem "Pimmeltier" an.
Neben programmatischen Texten über die literarischen und politischen Revolutionen ("Watergate ist nur die Schaumblase auf dem Sumpf") konfrontiert der Prosaband einerseits mit Ginsbergs Erfahrungen von Homophobie, ruft aber andererseits auch ins Gedächtnis, wofür die Abkürzung NAMBLA stand: Es war die "North American Man/Boy Love Association", die sich "für die Legalisierung von Beziehungen zwischen älteren Männern und Sexualpartnern unterhalb des (in den jeweiligen Bundesstaaten unterschiedlich geregelten gesetzlichen) Schutzalters einsetzte". Dafür sind Allen Ginsberg ebenso wie Jean-Paul Sarte und Simone de Beauvoir öffentlich eingetreten.
Im Prosaband erfreut zudem ein Interview aus der "Paris Review" von 1965, in dem Ginsberg sein lyrisches Konzept im Lichte von literarischen Vorbildern und den Vergleich zur Musik erläutert. In Bezug auf Drastik, auf gewisse Hemmschwellen und die Unterscheidung von hohem und niedrigem Stil wirbt Ginsberg dafür, die "Abgrenzung zu durchbrechen: dich der Muse genauso offen zu nähern, wie du mit deinen Freunden oder dir selbst reden würdest". Das impliziert allerdings auch die Form der Musenbeschimpfung, eine Idee, die schon bei Nietzsche und den Expressionisten auftaucht und die Ginsberg der Literatur verstärkt eingeschrieben hat. JAN WIELE
Allen Ginsberg: "Prosa".
Hrsg. und aus dem Amerikanischen von Michael Kellner. Blumenbar Verlag, Berlin 2022. 248 S., geb., 25,- Euro.
Allen Ginsberg:
"Lyrik/Poetry".
Zweisprachige Ausgabe.
Hrsg. von Michael Kellner. Blumenbar Verlag, Berlin 2022. 284 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Allen Ginsberg neu übersetzen nach Carl Weissner, tut das not? Nicht unbedingt, es bringt aber einen großen Dichter in Erinnerung
Lässt sich bei diesem Autor Lyrik von Prosa eigentlich unterscheiden? War nicht alles Lyrik, was Allen Ginsberg, der Guru der Beatdichter, in die Schreibmaschine gehackt, auf öffentlichen Plätzen gesungen, im Rausch oder im Halbschlaf vor sich hin gesagt hat? So könnte man meinen, aber Ginsberg hat doch schon selbst zwischen Genres unterschieden. Zur Entstehung seines Epochengedichts "Howl" hat er einmal geschrieben, der erste Teil sei nicht als Lyrik gedacht gewesen. "I began typing, not with the idea of writing a formal poem, but stating my imaginative sympathies, whatever they were worth." Aus diesen "imaginativen Sympathien" oder vielmehr auch Antipathien wurde die Wut-Suada gegen ein als spießig, bigott und repressiv empfundenes Amerika, das die "besten Köpfe meiner Generation" irre gemacht und so zerstört hat.
Fortgesetzt und abgeschlossen wurde "Howl" aber dann doch mit der Vorstellung eines Gedichts - und dessen Vortrag im Oktober 1955 in San Francisco machte Ginsberg über Nacht berühmt. Es wurde "The Poem that Changed America" - so der durchaus nicht übertriebene Titel eines Bandes, in dem fünfzig Jahre später dessen grundstürzende Effekte auf Lyrik, Popmusik, Literaturwissenschaft und Gesellschaft festgehalten wurden. Vivian Gornick sieht es wie manch andere als Fortführung von Walt Whitmans "Leaves of Grass", als Gedicht, das im Sinne Ezra Pounds die Sprache völlig erneuert habe mit seinen stakkatohaften Phrasen, wilden Juxtapositionen, mal mit der Stimme des Dichters, dann mit der des Hipsters vorgetragen.
Auch in Deutschland, so zeichnet der Herausgeber der vorliegenden zwei Bände noch einmal nach, schlug "Howl" schnell ein und ebnete den Weg für die Begeisterung durch Beatdichtung - weil zwei deutsche Schriftsteller in Lederjacken einen Abstecher von Amsterdam nach Paris machten. Dieser Besuch von Günter Grass und Walter Höllerer im legendären "Beat-Hotel", wo "Ginsberg, Burroughs, Corso und zeitweise Kerouac auf engstem Raum zusammenwohnten", habe mit dafür gesorgt, so Michael Kellner, "dass die Beat-Literatur schon in den frühen sechziger Jahren auf Deutsch vorlag".
"Howl" wurde zuerst von Wolfgang Fleischmann und Rudolf Wittkopf übersetzt als "Das Geheul". Einflussreicher aber wurde die spätere Übersetzung von Carl Weissner, der ja zur deutschen Stimme der Beatliteratur sowie auch der Prosa eines Charles Bukowski geworden ist und dessen Bedeutung für einen bestimmen Sound und Duktus von Gegenwartssprache nicht nur um 1968, sondern noch heute kaum hoch genug einzuschätzen ist.
Von daher darf man auch die Frage stellen, ob es nach Weissner überhaupt noch einer Neuübersetzung von "Howl" bedurfte. Wenn sie von dem österreichischen Schriftsteller und Dichter Clemens J. Setz stammt, wird die Sache freilich interessant, denn der aktuelle Büchnerpreisträger ist seinerseits ein eigentümlicher Übersetzer, wie man vor Kurzem in Darmstadt hören konnte. Zu Beginn unterscheidet er sich kaum von Weissner. "Ich sah die besten Köpfe meiner Generation, zerstört vom Wahnsinn, hungernd, hysterisch und nackt": Das ist fast identisch, nur dass es bei Weissner "ausgemergelt" hieß. Aus dem "angry fix", den diese Leute suchen, macht Setz einen "elenden Schuss", was vielleicht eleganter ist und besser passt als eine "wütende Spritze" (Weissner), aus dessen "Negerstraßen" macht Setz "Schwarzenviertel". Im Großen und Ganzen kann und muss er Weissner nicht übertreffen bei dem Versuch, die "Sehnsucht nach Jazz oder Sex oder Suppe" unter einen Hut zu bringen - interessant sind allenfalls Unterschiede wie "Vision vom vollkommenen Fick" (Weissner) und "letzter Fickspasmus" (Setz). Beide neigen, selbst bei im Original einmal süßlicherer Sprache, zur derben Übersetzung.
Die Entscheidung Kellners, Ginsbergs Gedichte gleich durch eine ganze Reihe deutscher Gegenwartslyriker neu übersetzen zu lassen, darunter Monika Rinck mit dem ebenfalls bedeutenden "Kaddish", Nora Gomringer mit dem Kurzgedicht "Message", Durs Grünbein mit "A Supermarket in California" oder Arne Rautenberg mit "Don't Grow Old" , ist dennoch eine gute Idee gewesen - so wie die gesamte Veröffentlichung, auch des Prosabandes, ja vor allem zum Ziel haben dürfte, Ginsberg auch Jüngeren oder überhaupt wieder ins Gedächtnis zu bringen.
Das ist verbunden mit amüsanten, deftigen und irritierenden Eindrücken. Irritierend zum Beispiel, weil das Sado-Maso-Gedicht "Please Master", in dem ein Sklave um Erniedrigung fleht, heute wohl anstößiger ist denn je; amüsant auf der rein sprachlichen Ebene etwa, weil man daran erinnert wird, wie schier endlos der Vorrat von Genitalmetaphern der Beatliteratur wohl ist, und weil "Bohrkolben", "Hobelschwert" oder "süße warme Wurzel" dazuzählen. Als Wortneuschöpfung bietet der Übersetzer Alexander Graeff zudem "Pimmeltier" an.
Neben programmatischen Texten über die literarischen und politischen Revolutionen ("Watergate ist nur die Schaumblase auf dem Sumpf") konfrontiert der Prosaband einerseits mit Ginsbergs Erfahrungen von Homophobie, ruft aber andererseits auch ins Gedächtnis, wofür die Abkürzung NAMBLA stand: Es war die "North American Man/Boy Love Association", die sich "für die Legalisierung von Beziehungen zwischen älteren Männern und Sexualpartnern unterhalb des (in den jeweiligen Bundesstaaten unterschiedlich geregelten gesetzlichen) Schutzalters einsetzte". Dafür sind Allen Ginsberg ebenso wie Jean-Paul Sarte und Simone de Beauvoir öffentlich eingetreten.
Im Prosaband erfreut zudem ein Interview aus der "Paris Review" von 1965, in dem Ginsberg sein lyrisches Konzept im Lichte von literarischen Vorbildern und den Vergleich zur Musik erläutert. In Bezug auf Drastik, auf gewisse Hemmschwellen und die Unterscheidung von hohem und niedrigem Stil wirbt Ginsberg dafür, die "Abgrenzung zu durchbrechen: dich der Muse genauso offen zu nähern, wie du mit deinen Freunden oder dir selbst reden würdest". Das impliziert allerdings auch die Form der Musenbeschimpfung, eine Idee, die schon bei Nietzsche und den Expressionisten auftaucht und die Ginsberg der Literatur verstärkt eingeschrieben hat. JAN WIELE
Allen Ginsberg: "Prosa".
Hrsg. und aus dem Amerikanischen von Michael Kellner. Blumenbar Verlag, Berlin 2022. 248 S., geb., 25,- Euro.
Allen Ginsberg:
"Lyrik/Poetry".
Zweisprachige Ausgabe.
Hrsg. von Michael Kellner. Blumenbar Verlag, Berlin 2022. 284 S., geb., 25,- Euro.
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»Wir müssen Michael Kellner auf ewig dankbar sein, er hat Allen Ginsberg neu übersetzt und mit Prosa ein essenzielles Werk vorgelegt, das Ginsberg Platz in der Gegenwart definiert.« kulturexpresso.de 20220728