Bahnhofsviertel, Straßenstrich, Sperrbezirk ? hören wir das Wort »Prostitution«, denken wir auch in topographischen Kategorien. Das Feld ist insofern ein vorzüglicher Forschungsgegenstand der Raumsoziologie. Martina Löw und Renate Ruhne haben über Jahre hinweg das Frankfurter Bahnhofsviertel untersucht. In Interviews mit Prostituierten und Freiern, mit Anwohnern und Sozialarbeitern haben sie danach gefragt, welche Emotionen mit bestimmten Räumen verbunden sind und über welche subtilen sozialen Mechanismen das Gewerbe immer wieder neu als Feld des »Anderen«, des »Anormalen« konstruiert wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2012Zum Raum wird hier der Sex
Zu den Merkwürdigkeiten Frankfurts zählt, dass von dieser Stadt immer wieder als Metropole die Rede ist. Der aus einer wirklich großen Großstadt, ja vielleicht sogar einer Metropole an den Main übersiedelte Neufrankfurter hält das zuerst für Ironie. Aber irgendwann fällt ihm auf, dass in dieser Redeweise doch mehr mitschwingt. Dass sie sich nicht so sehr der Gegenwart dieser Stadt verdankt, auf die bezogen sie komisch wirkt, als vielmehr der Nachklang einer nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden Vergangenheit ist.
Wilhelm Genazino hat diesen metropolitanen Glanz Frankfurts in den siebziger und achtziger Jahren unlängst in einem sehr schönen Text auf fast ein wenig nostalgische Weise gestreift ("Die Gewöhnung der Hunde an die Parfümerien. Frankfurter Ausschweifungen", in: Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft V, Herbst 2011. 12,90 [Euro]). Wobei nicht verwunderlich ist, dass er dabei sofort auf das Bahnhofsviertel kam. Denn zumindest dort meint auch der erst Jahrzehnte später Angekommene noch etwas von dieser Vergangenheit zu spüren. Einer lokaltypischen jüngeren Geschichte überdies, die sich in den fließenden Übergängen vom Rotlichtbezirk zu den Bankentürmen zeigt - zu denen in diesen Wochen noch der kleine Randakzent der Zelte der Occupy-Bewegung kommt.
Aber mittlerweile, so Genazino, sei selbst "das Wort Rotlicht-Viertel eine Übertreibung aus alten Zeiten", das bloß noch in ahnungslosen Stadtführern überlebe. Die hohe Zeit dort seien die siebziger Jahre gewesen. Damals habe man sogar die Banken davor gewarnt, durch Ansiedlung im Viertel in Verruf zu kommen. Aber natürlich sei es anders gekommen: Die Banken schafften, was den besorgten Stadtvätern bis dahin nicht gelungen war, und hinterließen ein nahezu antiseptisches Viertel mit ein paar übrig gebliebenen kleinen Bordellen.
Diese Geschichte möchte der späte Zuzügler aber doch ein wenig genauer vor Augen haben. Eine gerade erschienene Studie bietet sich dazu an, die zwar schlicht die Prostitution im Titel führt, tatsächlich aber eine größere Feldstudie im Frankfurter Bahnhofsviertel resümiert (Martina Löw und Renate Ruhne: "Prostitution". Herstellungsweisen einer anderen Welt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 216 S., br., 15,- [Euro]). Ihre konzeptuelle und terminologische Hochrüstung im Zeichen der sozialen Kategorien Raum und Geschlecht ist nicht ohne komische Effekte, die Erkenntnisse über die Mechanismen der räumlichen Separierung des trotz aller Normalisierungen immer noch als anstößig empfundenen Sexgewerbes sind nicht unbedingt überraschend. Aber man erfährt dabei viel über die Veränderungen des Gewerbes und des Viertels in den letzten fünfzig Jahren. Was dann übrigens doch weniger auf die Wirkung der Banken als auf jene der Stadtverantwortlichen hinausläuft, die von früh an auf geschlossene Häuser aus waren.
Im Gegensatz zu den Banken bleiben übrigens viele zahlenmäßige Abschätzungen des Gewerbes trotz der Recherchen im Ungefähren. Erst recht zur jeden Herbst gern aufgeworfenen Frage, wie sich der einschlägige Umsatzeffekt der Frankfurter Buch- zu jener der Automobilmesse verhalte, sind auch hier - wie bei den Frankfurter Taxifahrern - nur Vermutungen zu finden.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu den Merkwürdigkeiten Frankfurts zählt, dass von dieser Stadt immer wieder als Metropole die Rede ist. Der aus einer wirklich großen Großstadt, ja vielleicht sogar einer Metropole an den Main übersiedelte Neufrankfurter hält das zuerst für Ironie. Aber irgendwann fällt ihm auf, dass in dieser Redeweise doch mehr mitschwingt. Dass sie sich nicht so sehr der Gegenwart dieser Stadt verdankt, auf die bezogen sie komisch wirkt, als vielmehr der Nachklang einer nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden Vergangenheit ist.
Wilhelm Genazino hat diesen metropolitanen Glanz Frankfurts in den siebziger und achtziger Jahren unlängst in einem sehr schönen Text auf fast ein wenig nostalgische Weise gestreift ("Die Gewöhnung der Hunde an die Parfümerien. Frankfurter Ausschweifungen", in: Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft V, Herbst 2011. 12,90 [Euro]). Wobei nicht verwunderlich ist, dass er dabei sofort auf das Bahnhofsviertel kam. Denn zumindest dort meint auch der erst Jahrzehnte später Angekommene noch etwas von dieser Vergangenheit zu spüren. Einer lokaltypischen jüngeren Geschichte überdies, die sich in den fließenden Übergängen vom Rotlichtbezirk zu den Bankentürmen zeigt - zu denen in diesen Wochen noch der kleine Randakzent der Zelte der Occupy-Bewegung kommt.
Aber mittlerweile, so Genazino, sei selbst "das Wort Rotlicht-Viertel eine Übertreibung aus alten Zeiten", das bloß noch in ahnungslosen Stadtführern überlebe. Die hohe Zeit dort seien die siebziger Jahre gewesen. Damals habe man sogar die Banken davor gewarnt, durch Ansiedlung im Viertel in Verruf zu kommen. Aber natürlich sei es anders gekommen: Die Banken schafften, was den besorgten Stadtvätern bis dahin nicht gelungen war, und hinterließen ein nahezu antiseptisches Viertel mit ein paar übrig gebliebenen kleinen Bordellen.
Diese Geschichte möchte der späte Zuzügler aber doch ein wenig genauer vor Augen haben. Eine gerade erschienene Studie bietet sich dazu an, die zwar schlicht die Prostitution im Titel führt, tatsächlich aber eine größere Feldstudie im Frankfurter Bahnhofsviertel resümiert (Martina Löw und Renate Ruhne: "Prostitution". Herstellungsweisen einer anderen Welt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 216 S., br., 15,- [Euro]). Ihre konzeptuelle und terminologische Hochrüstung im Zeichen der sozialen Kategorien Raum und Geschlecht ist nicht ohne komische Effekte, die Erkenntnisse über die Mechanismen der räumlichen Separierung des trotz aller Normalisierungen immer noch als anstößig empfundenen Sexgewerbes sind nicht unbedingt überraschend. Aber man erfährt dabei viel über die Veränderungen des Gewerbes und des Viertels in den letzten fünfzig Jahren. Was dann übrigens doch weniger auf die Wirkung der Banken als auf jene der Stadtverantwortlichen hinausläuft, die von früh an auf geschlossene Häuser aus waren.
Im Gegensatz zu den Banken bleiben übrigens viele zahlenmäßige Abschätzungen des Gewerbes trotz der Recherchen im Ungefähren. Erst recht zur jeden Herbst gern aufgeworfenen Frage, wie sich der einschlägige Umsatzeffekt der Frankfurter Buch- zu jener der Automobilmesse verhalte, sind auch hier - wie bei den Frankfurter Taxifahrern - nur Vermutungen zu finden.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die nüchtern wertneutrale und analytische, ... gut lesbare Sprache dieser Studie kontrastiert reizvoll mit der Atmosphäre des Schummrigen und Gefährlichen, in welche die Prostitution als ›ältestes Gewerbe der Welt‹ immer wieder getaucht wird.«