Mehr als die Hälfte aller Patienten weist Krankheiten mit seelischen Störungen oder mit einer psychosomatischen Ätiologie auf. Daher ist es für Studierende wie Ärzte wichtig, die Grundlagen der psychosomatischen Medizin zu kennen. Im "Klußmann" werden die wichtigsten Krankheitsbilder aus psychosomatischer Sicht behandelt. Einleitungen und Definitionen erleichtern den Einstieg, zahlreiche Fallbeispiele stellen den Bezug zur Praxis her. Die 6. Auflage wurde auf Basis der neuesten Ergebnisse aus der psychosomatischen Forschung aktualisiert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2010Was ist nicht psychosomatisch?
Wohin mit der Psyche? Zur Psychiatrie, zur Psychotherapie oder zu dem aufstrebenden neuen Bereich, der seit dem Jahr 2003 "Psychosomatische Medizin und Psychotherapie" heißt? Tatsächlich ist der psychosomatische Sektor von der Psychiatrie und der Psychotherapie nur vage abgegrenzt und sucht daher mit einschlägigen Buchtiteln den Eindruck einer fachlichen Selbständigkeit zu unterstreichen (Rudolf Klußmann, Marius Nickel: "Psychosomatische Medizin und Psychotherapie". Ein Kompendium für alle medizinischen Teilbereiche. Springer Verlag, Berlin 2009. 608 S., geb., 49,95 [Euro]). Hinter nüchternen Titeln wie diesem spielt sich ein handfester zunftpolitischer Streit ab, ohne den die derzeitige Konjunktur vorgeblich psychosomatischer Sachbuchliteratur nicht zu verstehen ist - also der Aufschwung von Büchern über "Neuro-Psychosomatik" bis hin zu eher blumigen Fibeln namens "Wenn die Seele durch den Körper spricht".
Worum es in diesem Zunftstreit hinter der Psychosoma-Literatur geht, und was es mit dem neuen Fach "Psychosomatische Medizin und Psychotherapie" auf sich hat, legt der Psychiatrieprofessor Asmus Finzen, einer der bekanntesten Vertreter der deutschen Reformpsychiatrie, im neuen Heft von "Psychologie heute" dar. Finzen sieht in der Neuschaffung der ärztlichen psychosomatischen Fachdisziplin eine "Zweiklassenpsychiatrie durch die Hintertür" kommen: "Es sind die Gebildeteren, die verbal und sozial Kompetenteren, die Durchsetzungsfähigen, die in der Krankheit noch Handlungsfähigen, die Jüngeren, die mit einer stützenden Familie im Hintergrund, die die Kliniken für Psychosomatische Medizin aufsuchen und die deren Indikationskriterien am ehesten erfüllen. Es sind die Entwurzelten, die Vereinsamten, die Verwirrten und Verworrenen, die ,Störenden' und in Ängsten und Manie Aggressiven, die Behandlungsunwilligen, die die Aufnahmepflicht ausschließlich in die Kliniken für Psychiatrie (und Psychotherapie) führt."
Mit anderen Worten: Durch die Aufspaltung von Psychiatrie und Psychosomatik wird "die Diskriminierung und Stigmatisierung bestimmter Patienten- und Bevölkerungsgruppen" gebahnt. Weil die Psychosomatik hierzulande über rund 25 000 Klinikbetten gebiete und fast alle Rechte, aber nicht die Pflichten der Versorgungspsychiatrie habe, sei die Konkurrenz zwischen psychosomatisch-psychotherapeutischer Medizin und Psychiatrie "vergiftet".
Über solche Hintergründe erfährt man in der boomenden Psychosoma-Literatur naturgemäß nichts. Im Verlagstext zum erwähnten Buch von Rudolf Klußmann heißt es in aller Unschuld: "Im ,Klußmann' werden die wichtigsten Krankheitsbilder aller klinischen Fachgebiete aus psychosomatischer Sicht behandelt." Ob sich in dieser Sicht etwas sehen lässt, das nicht schon in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Sicht sichtbar wird, ob es überhaupt eine Störung gibt, die nicht psychosomatisch ist - darüber könnte ein fesselndes Buch von Asmus Finzen Auskunft geben.
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wohin mit der Psyche? Zur Psychiatrie, zur Psychotherapie oder zu dem aufstrebenden neuen Bereich, der seit dem Jahr 2003 "Psychosomatische Medizin und Psychotherapie" heißt? Tatsächlich ist der psychosomatische Sektor von der Psychiatrie und der Psychotherapie nur vage abgegrenzt und sucht daher mit einschlägigen Buchtiteln den Eindruck einer fachlichen Selbständigkeit zu unterstreichen (Rudolf Klußmann, Marius Nickel: "Psychosomatische Medizin und Psychotherapie". Ein Kompendium für alle medizinischen Teilbereiche. Springer Verlag, Berlin 2009. 608 S., geb., 49,95 [Euro]). Hinter nüchternen Titeln wie diesem spielt sich ein handfester zunftpolitischer Streit ab, ohne den die derzeitige Konjunktur vorgeblich psychosomatischer Sachbuchliteratur nicht zu verstehen ist - also der Aufschwung von Büchern über "Neuro-Psychosomatik" bis hin zu eher blumigen Fibeln namens "Wenn die Seele durch den Körper spricht".
Worum es in diesem Zunftstreit hinter der Psychosoma-Literatur geht, und was es mit dem neuen Fach "Psychosomatische Medizin und Psychotherapie" auf sich hat, legt der Psychiatrieprofessor Asmus Finzen, einer der bekanntesten Vertreter der deutschen Reformpsychiatrie, im neuen Heft von "Psychologie heute" dar. Finzen sieht in der Neuschaffung der ärztlichen psychosomatischen Fachdisziplin eine "Zweiklassenpsychiatrie durch die Hintertür" kommen: "Es sind die Gebildeteren, die verbal und sozial Kompetenteren, die Durchsetzungsfähigen, die in der Krankheit noch Handlungsfähigen, die Jüngeren, die mit einer stützenden Familie im Hintergrund, die die Kliniken für Psychosomatische Medizin aufsuchen und die deren Indikationskriterien am ehesten erfüllen. Es sind die Entwurzelten, die Vereinsamten, die Verwirrten und Verworrenen, die ,Störenden' und in Ängsten und Manie Aggressiven, die Behandlungsunwilligen, die die Aufnahmepflicht ausschließlich in die Kliniken für Psychiatrie (und Psychotherapie) führt."
Mit anderen Worten: Durch die Aufspaltung von Psychiatrie und Psychosomatik wird "die Diskriminierung und Stigmatisierung bestimmter Patienten- und Bevölkerungsgruppen" gebahnt. Weil die Psychosomatik hierzulande über rund 25 000 Klinikbetten gebiete und fast alle Rechte, aber nicht die Pflichten der Versorgungspsychiatrie habe, sei die Konkurrenz zwischen psychosomatisch-psychotherapeutischer Medizin und Psychiatrie "vergiftet".
Über solche Hintergründe erfährt man in der boomenden Psychosoma-Literatur naturgemäß nichts. Im Verlagstext zum erwähnten Buch von Rudolf Klußmann heißt es in aller Unschuld: "Im ,Klußmann' werden die wichtigsten Krankheitsbilder aller klinischen Fachgebiete aus psychosomatischer Sicht behandelt." Ob sich in dieser Sicht etwas sehen lässt, das nicht schon in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Sicht sichtbar wird, ob es überhaupt eine Störung gibt, die nicht psychosomatisch ist - darüber könnte ein fesselndes Buch von Asmus Finzen Auskunft geben.
CHRISTIAN GEYER
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