Der Geruch von Kunstnebel und Schweiß, dröhnende Bässe und besetzte Häuser – ein angepasstes bürgerliches Leben war für Bey, Bassistin einer Avantgarde-Punkband, früher undenkbar gewesen. Nach der Geburt ihres Sohnes wohnt sie jetzt am Rand von Amsterdam, umgeben von gutsituierten Eltern ohne spätjugendliche Exzesse. Als ein kalkweißes Kuvert sie erreicht, gerät ihr Alltag aus dem Takt: Ihr Ex-Freund Iggy ist gestorben. Bey fährt zur Beerdigung nach Berlin, wo sie in Iggys Nachlass eine Tonaufnahme findet, die sie an den Umständen seines Todes zweifeln lässt. Ihre Nachforschungen stoßen auf Widerstand beim Rest der Alt-Punks, und als Karina, ihre verschollen geglaubte Erzfeindin, auftaucht, beginnt ein atemloser Wettlauf um alte Datenträger. Eine ungeheuerliche Wahrheit kommt ans Licht, die alles ins Wanken bringt, woran Bey und ihre Punk-Clique jemals geglaubt haben. PUNKED führt in dunkle Kellerclubs der Neunziger und geheime Hackersalons der Zweitausender, streift durch gentrifizierte Stadtlandschaften in Hannover, Berlin und Amsterdam und dringt vor ins schwarze Herz einer lebendigen Subkultur. Yasmin Sibai lässt eine Utopie implodieren und setzt ihre Protagonistin auf die Spur eines Kriminalfalls, der neues Licht auf ihre Punk-Vergangenheit wirft.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Katrin Doerksen nimmt Yasmin Sibai jeden Hinweis auf den Spirit des Punk der 90er, aber auch jede Selbstkritik ab in diesem Krimi, der - Playlist inklusive - tief in die Cliquenkultur einer Avantgarde-Band und die "Traditionsprobleme" der Linken führt, wie Doerksen feststellt. Woran und wieso der Ex der Erzählerin sterben musste, enträtselt der Roman laut Doerksen ganz unnostalgisch, temporeich und mit einer Vielfalt der Formen, vom Telefonprotokoll bis zum Wikipedia-Eintrag. Wenn Sibai eine Traditionslinie vom Punk bis zur Hackerszene der Nullerjahre zieht, findet Doerksen das durchaus glaubwürdig: Hier wie dort gescheiterte Utopien.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2023Eine Überdosis Utopie
Keine Zukunft, das gab's damals schon: Yasmin Sibais Debüt "Punked" ist alles andere als ein bierseliges Nostalgiefest.
Wozu ist das ganze Lebensgefühl, das Punk ausmachte, am Ende gut gewesen?", fragt sich Bey in einem resignativen Moment. "Eine Haltung, die nie weggeht, die für immer bleibt. Trotz Deichhaus und Hypothek." Für die Hauptfigur eines Krimis, der vordergründig ziemlich klare Fronten aufeinanderprallen lässt, vereint sie beachtlich viele Gegensätze in sich: Bey, gebürtige Beyrouth, Deutsch-Libanesin, in den Neunzigerjahren noch als Punk unterwegs und 2011 schon Möbeldesignerin, Ehefrau und Mutter in besagtem Deichhaus in der Amsterdamer Peripherie.
Als Bassistin einer Avantgarde-Band damals mitten im Zentrum der Szene und als "Straight Edge"-Drogenverweigerin dennoch ewige Außenseiterin. Ein Kontrollfreak, aber praktisch willenlos angesichts des honigblonden Haares ihrer alten Freundin Stella. "Was hat man an einer solchen Haltung, wenn sie im entscheidenden Moment versagt?" Es ist das leidige Traditionsproblem der Linken: Irgendwie stehen zwar alle auf derselben Seite, aber die meiste Energie wird trotzdem darauf verwandt, sich wegen grundsätzlicher Haltungsfragen gegenseitig auf die Nerven zu fallen - oder Schlimmeres.
Eine Todesanzeige bringt den Stein in Yasmin Sibais Debüt "Punked" ins Rollen: Unerwartet ist Beys Ex-Freund Iggy verstorben. Der Ehemann weilt auf Dienstreise im Ausland, also parkt sie ihren Sohn bei befreundeten Nachbarn und fährt kurzentschlossen zur Beerdigung nach Berlin. Am Ende dieser Reise in ihre Jugendjahre steht sie wie damals mit ihren schwarz gekleideten Freunden Bierpullen umklammernd in versifften Clubs. Aber irgendetwas hat sich verschoben: Dass Iggy an einer Überdosis gestorben sein soll, kann Bey sich einfach nicht vorstellen, und ihre vorsichtigen Nachforschungen scheinen selbst in der engsten Clique Abwehr hervorzurufen.
Yasmin Sibai verknüpft in "Punked" die eher unfreiwillige Ermittlungsarbeit ihrer fiktiven Protagonistin über drei Ecken mit dem realen Fall eines Erziehers, der sich in den Nullerjahren an Kindern in Amsterdamer Krippen verging und Videomaterial verbreitete. Sibai war selbst Teil der Punkszene, Frontfrau einer Band in Hannover, diesen Geruch dünstet ihr Erstling auf jeder Seite aus. Man merkt es an den flammenden Reden auf den Spirit des Punks, die sie Bey halten lässt, an ihrer treffsicheren Selbstkritik an der gelegentlich erstaunlichen Engstirnigkeit der Community in ideologischen und musikalischen Punkten.
Vor allem Letzteres: Wenn sie ihren inneren Musiknerd heraushängen lassen darf, kennt Bey kein Halten. Songzitate von Bands wie Youth Brigade, Siouxsie and the Banshees, Minor Threat setzen einen Schlussakkord unter jeden Kapitelabschnitt, und die letzten Seiten des Buches ziert eine umfangreiche Playlist, die denkbar passendste Alternative zum klassischen Glossar.
Aber der Verweis auf die reale Inspiration der Geschichte lässt es schon erahnen, "Punked" ist alles andere als ein bierseliges Nostalgiefest: In der Rückschau müssen die Neunzigerjahre gern als hedonistisches Partyjahrzehnt herhalten - Sibai zeigt deutlich, wie weit diese Einschätzung nur ein paar Kilometer Luftlinie abseits der Love Parade danebenlag. Eine Jugend unter der bleiernen Schwere der Kohl-Ära, Arbeitslosigkeit, Drogen, Aids und überall Nazis - der ideale Nährboden für die Versprechen der Subkulturen, die allseits an Bedeutung gewannen. Im ursprünglichen Sinne mag der Punk da längst tot gewesen sein, trotzdem bedeutete er für viele Teenager nicht weniger als eine Utopie, eine willkommene Alternative zu Kapitalismus, Konservatismus und dem kleinen Glück.
Eine Utopie, die krachend scheitern muss, aber das lässt sich fürs Erste verdrängen. Mit sichtlicher Experimentierfreude lässt Sibai diese Gemütslage aufleben: Zeitsprünge durchsetzen den Plot, gelegentliche Perspektivwechsel unterbrechen Beys auf Tempo hin geschriebenen Stakkato-Tonfall, später puzzelt sie einzelne Kapitel aus Telefonprotokollen, Wikipedia-Artikeln, Sendungsmanuskripten zusammen. Nur wenn sich die Autorin von ihrem mutmaßlichen Erfahrungshorizont entfernt, leidet ein wenig die Glaubwürdigkeit.
Bey kommt einer internationalen Verbrecherorganisation auf die Schliche, einem Adelskult sinistren Ritualen; eine holzschnittartige "Eyes Wide Shut"-Phantasie, die der Geschichte eine grelle Note verleiht, die sie nicht bräuchte. Schließlich ist sie sonst so stark darin, Nuancen zuzulassen, Stereotypen aufzuweichen. Anfänglich eindimensional scheinende Figuren erlangen mit fortschreitender Handlung erstaunliche Tiefe, simpel geglaubte Tatbestände und Feindeslinien weiten sich zu komplexen Sozialdramen.
Von den Punks der Neunzigerjahre zieht Yasmin Sibai letztlich eine direkte Linie zur Hackerszene der Nullerjahre, zur nächsten gescheiterten Utopie vom universell verbindenden, Gerechtigkeit bringenden Internet. Beys Ermittlungsversuche im Milieu verlagern sich hin zu einer Spurensuche in der Mediengeschichte, in obsoleten Technologien, in den digitalen und analogen Datenträgern selbst. Schrammelige VHS-Kassetten mit Konzertmitschnitten von Black Flag und Hüsker Dü enthüllen ihre vielschichtigen Geheimnisse erst, als Bey und ihre mehr oder weniger freiwilligen Mitstreiter lernen genau hinzuschauen, über ihre eigene Nostalgiebrille hinaus und an den Störgeräuschen vorbei auf die Mikroebene zu blicken, buchstäblich jedes Pixel einzeln umzudrehen. "Punked" ist nicht einfach eine Geschichte, es ist selbst ein Wissensspeicher für ein ganz spezifisches Lebensgefühl. KATRIN DOERKSEN
Yasmin Sibai: "Punked". Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2023. 384 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine Zukunft, das gab's damals schon: Yasmin Sibais Debüt "Punked" ist alles andere als ein bierseliges Nostalgiefest.
Wozu ist das ganze Lebensgefühl, das Punk ausmachte, am Ende gut gewesen?", fragt sich Bey in einem resignativen Moment. "Eine Haltung, die nie weggeht, die für immer bleibt. Trotz Deichhaus und Hypothek." Für die Hauptfigur eines Krimis, der vordergründig ziemlich klare Fronten aufeinanderprallen lässt, vereint sie beachtlich viele Gegensätze in sich: Bey, gebürtige Beyrouth, Deutsch-Libanesin, in den Neunzigerjahren noch als Punk unterwegs und 2011 schon Möbeldesignerin, Ehefrau und Mutter in besagtem Deichhaus in der Amsterdamer Peripherie.
Als Bassistin einer Avantgarde-Band damals mitten im Zentrum der Szene und als "Straight Edge"-Drogenverweigerin dennoch ewige Außenseiterin. Ein Kontrollfreak, aber praktisch willenlos angesichts des honigblonden Haares ihrer alten Freundin Stella. "Was hat man an einer solchen Haltung, wenn sie im entscheidenden Moment versagt?" Es ist das leidige Traditionsproblem der Linken: Irgendwie stehen zwar alle auf derselben Seite, aber die meiste Energie wird trotzdem darauf verwandt, sich wegen grundsätzlicher Haltungsfragen gegenseitig auf die Nerven zu fallen - oder Schlimmeres.
Eine Todesanzeige bringt den Stein in Yasmin Sibais Debüt "Punked" ins Rollen: Unerwartet ist Beys Ex-Freund Iggy verstorben. Der Ehemann weilt auf Dienstreise im Ausland, also parkt sie ihren Sohn bei befreundeten Nachbarn und fährt kurzentschlossen zur Beerdigung nach Berlin. Am Ende dieser Reise in ihre Jugendjahre steht sie wie damals mit ihren schwarz gekleideten Freunden Bierpullen umklammernd in versifften Clubs. Aber irgendetwas hat sich verschoben: Dass Iggy an einer Überdosis gestorben sein soll, kann Bey sich einfach nicht vorstellen, und ihre vorsichtigen Nachforschungen scheinen selbst in der engsten Clique Abwehr hervorzurufen.
Yasmin Sibai verknüpft in "Punked" die eher unfreiwillige Ermittlungsarbeit ihrer fiktiven Protagonistin über drei Ecken mit dem realen Fall eines Erziehers, der sich in den Nullerjahren an Kindern in Amsterdamer Krippen verging und Videomaterial verbreitete. Sibai war selbst Teil der Punkszene, Frontfrau einer Band in Hannover, diesen Geruch dünstet ihr Erstling auf jeder Seite aus. Man merkt es an den flammenden Reden auf den Spirit des Punks, die sie Bey halten lässt, an ihrer treffsicheren Selbstkritik an der gelegentlich erstaunlichen Engstirnigkeit der Community in ideologischen und musikalischen Punkten.
Vor allem Letzteres: Wenn sie ihren inneren Musiknerd heraushängen lassen darf, kennt Bey kein Halten. Songzitate von Bands wie Youth Brigade, Siouxsie and the Banshees, Minor Threat setzen einen Schlussakkord unter jeden Kapitelabschnitt, und die letzten Seiten des Buches ziert eine umfangreiche Playlist, die denkbar passendste Alternative zum klassischen Glossar.
Aber der Verweis auf die reale Inspiration der Geschichte lässt es schon erahnen, "Punked" ist alles andere als ein bierseliges Nostalgiefest: In der Rückschau müssen die Neunzigerjahre gern als hedonistisches Partyjahrzehnt herhalten - Sibai zeigt deutlich, wie weit diese Einschätzung nur ein paar Kilometer Luftlinie abseits der Love Parade danebenlag. Eine Jugend unter der bleiernen Schwere der Kohl-Ära, Arbeitslosigkeit, Drogen, Aids und überall Nazis - der ideale Nährboden für die Versprechen der Subkulturen, die allseits an Bedeutung gewannen. Im ursprünglichen Sinne mag der Punk da längst tot gewesen sein, trotzdem bedeutete er für viele Teenager nicht weniger als eine Utopie, eine willkommene Alternative zu Kapitalismus, Konservatismus und dem kleinen Glück.
Eine Utopie, die krachend scheitern muss, aber das lässt sich fürs Erste verdrängen. Mit sichtlicher Experimentierfreude lässt Sibai diese Gemütslage aufleben: Zeitsprünge durchsetzen den Plot, gelegentliche Perspektivwechsel unterbrechen Beys auf Tempo hin geschriebenen Stakkato-Tonfall, später puzzelt sie einzelne Kapitel aus Telefonprotokollen, Wikipedia-Artikeln, Sendungsmanuskripten zusammen. Nur wenn sich die Autorin von ihrem mutmaßlichen Erfahrungshorizont entfernt, leidet ein wenig die Glaubwürdigkeit.
Bey kommt einer internationalen Verbrecherorganisation auf die Schliche, einem Adelskult sinistren Ritualen; eine holzschnittartige "Eyes Wide Shut"-Phantasie, die der Geschichte eine grelle Note verleiht, die sie nicht bräuchte. Schließlich ist sie sonst so stark darin, Nuancen zuzulassen, Stereotypen aufzuweichen. Anfänglich eindimensional scheinende Figuren erlangen mit fortschreitender Handlung erstaunliche Tiefe, simpel geglaubte Tatbestände und Feindeslinien weiten sich zu komplexen Sozialdramen.
Von den Punks der Neunzigerjahre zieht Yasmin Sibai letztlich eine direkte Linie zur Hackerszene der Nullerjahre, zur nächsten gescheiterten Utopie vom universell verbindenden, Gerechtigkeit bringenden Internet. Beys Ermittlungsversuche im Milieu verlagern sich hin zu einer Spurensuche in der Mediengeschichte, in obsoleten Technologien, in den digitalen und analogen Datenträgern selbst. Schrammelige VHS-Kassetten mit Konzertmitschnitten von Black Flag und Hüsker Dü enthüllen ihre vielschichtigen Geheimnisse erst, als Bey und ihre mehr oder weniger freiwilligen Mitstreiter lernen genau hinzuschauen, über ihre eigene Nostalgiebrille hinaus und an den Störgeräuschen vorbei auf die Mikroebene zu blicken, buchstäblich jedes Pixel einzeln umzudrehen. "Punked" ist nicht einfach eine Geschichte, es ist selbst ein Wissensspeicher für ein ganz spezifisches Lebensgefühl. KATRIN DOERKSEN
Yasmin Sibai: "Punked". Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2023. 384 S., geb., 26,- Euro.
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