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Wichtige Darstellung der russischen Protestbewegung
Die Protestbewegung gegen die Wahlfälschungen in Russland ist schon im Moment ihres Entstehens im Dezember 2011 zum Forschungsgegenstand geworden - und zwar nicht nur durch Sozialwissenschaftler, sondern auch durch Teilnehmer der Demonstrationen, die in improvisierten Umfragen herausfinden wollten, wer eigentlich mit ihnen protestierte. Es war keine klar definierbare soziale Schicht mit einer gewachsenen Identität, keine gesellschaftliche Gruppe mit einem schon vorher bestehenden Gefühl der Zusammengehörigkeit, die da auf die Straße ging. Die Massenproteste waren für die meisten Protestierenden selbst eine Überraschung - ebenso wie für die Bürgerrechtler und Oppositionellen, die bis dahin bei ihren Demonstrationen meist nur ein kleines, versprengtes Häuflein waren, und wie für die Staatsmacht, die einige Monate brauchte, bis sie wusste, wie sie reagieren wollte.
Einer, der sowohl Sozialwissenschaftler als auch Teilnehmer der Proteste ist, legt nun einen "Zwischenbericht über eine Bewegung im Wandel" vor. Aber dem in Moskau geborenen und in Potsdam forschenden Mischa Gabowitsch ist mit "Putin kaputt!?" weit mehr gelungen: Sein Buch könnte zu einem der wichtigsten Werke über die nach dem Ende der Sowjetunion bisher größten Proteste in Russland werden. Seine klare Sympathie für die Demonstranten hindert ihn nicht daran, analytisch nüchtern und reflektierend zu schreiben. Zeitlicher Dreh- und Angelpunkt der Darstellung ist die Demonstration in Moskau am 6. Mai 2012, dem Vorabend der Amtseinführung von Präsident Putin, die - obwohl genehmigt - von den Sicherheitskräften gewaltsam zerschlagen wurde. Damit war die erste, enthusiastische Phase des Protests vorüber. Zugleich wurde deutlich, dass Putin sich entschieden hatte, mit Repression zu reagieren. Mehrere der damals willkürlich aus der Menge heraus festgenommenen Demonstranten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt; zugleich wird gegen einige Oppositionsführer wegen des Vorwurfs ermittelt, sie hätten versucht, Massenunruhen zu provozieren - auch ihnen drohen lange Haftstrafen.
Das Buch ist keine chronologische Nacherzählung des Bürgerprotests. Ausgehend von einer Analyse des "Systems Putin", beschreibt Gabowitsch die gesellschaftlichen Veränderungen, die den Protesten vorausgingen, die Bedingungen, unter denen oppositionelle Milieus vor dem Dezember 2011 agierten, welche Diskurse dort stattfanden, wie sich mit neuen Formen des Protests ein neues Selbstverständnis zu entwickeln begann. Weil dies alles in einen weit gefassten historischen und kulturellen Hintergrund eingebettet und zudem gut geschrieben ist, ist das Buch auch für Leser ohne große Vorkenntnisse leicht verständlich.
Ganz frei von Schwächen ist "Putin kaputt!?" nicht. An einigen Stellen verliert sich Gabowitsch in den Windungen von Diskussionen kleiner Oppositionsgruppen, während die Rolle prominenter Schriftsteller, Musiker und Journalisten eine ausführlichere Behandlung verdient hätte. Im Kapitel über Pussy Riot geht er nur am Rande auf das Wechselspiel zwischen extremen Äußerungen des Protests und ihrer Instrumentalisierung durch die Machthaber ein, was - in Ergänzung zu dem äußerst lesenswerten Kapitel über die staatlichen Gewaltapparate - wünschenswert gewesen wäre.
REINHARD VESER
Mischa Gabowitsch: Putin kaputt!? Russlands neue Protestkultur. Edition Suhrkamp, Berlin 2013. 438 S., 16,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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