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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Russland führt seit Jahren einen hybriden Krieg, nicht nur in der Ukraine. Die Journalistin
Jessikka Aro seziert die Methoden des Kremls.
Hackerangriffe, Falschnachrichten, Verleumdungen: Seit Jahrzehnten führt Russland Krieg auch über das Internet. Das Ziel ist einfach formuliert: demokratische Gesellschaften spalten. Dafür steht in Wladimir Putins Reich eine ganze Armee an Computerkriegern bereit. Sie fluten die sozialen Netzwerke mit Hasskommentaren, klonen seriöse Nachrichtenseiten, verbreiten Propaganda und Lügen. Schon 2013 flog in Sankt Petersburg nach Recherchen der regierungskritischen Zeitung "Nowaja Gaseta" die erste Trollfabrik auf.
Das System der russischen Desinformation ist also bekannt; auch deutsche Medien berichten regelmäßig darüber. Nun ist auf Deutsch das Buch "Putins Armee der Trolle" der finnischen Journalistin Jessikka Aro erschienen. Auf fast 400 Seiten zeigt sie, wie russische Desinformation funktioniert. Dafür hat die Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Finnland Beispiele gesammelt, von Rufmordkampagnen gegen unliebsame Diplomaten über Eingriffe in die redaktionelle Freiheit eines norwegischen Mediums bis zur Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten.
Manche der Fälle sind bekannter, andere kaum. Aros erstes Beispiel im Buch zeigt, dass Moskau schon früh ehemalige Sowjetrepubliken als Testgelände für Geheimdienstoperationen ausmachte. Zielperson war der litauische Diplomat Renatas Juska, der sich seit den Neunzigerjahren für Oppositionelle und Menschenrechte in Belarus einsetzte - zum Missfallen Moskaus. Als Juska Botschafter in Ungarn werden sollte, berichteten litauische Medien über die Verschwendung von Steuergeldern in Afghanistan. Verantwortlich sollte eine von Juska in Vilnius geleitete Abteilung im Außenministerium sein. Die Geschichte stimmte nicht, doch es dauerte Monate, bis alles geklärt war und der Litauer seinen Posten antreten konnte.
Später wurden seine Telefonate abgehört, mitgeschnitten und manipuliert. Die gefälschten Anrufe wurden auf Youtube veröffentlicht, als Litauen die EU-Ratspräsidentschaft innehatte. Sie sorgten für Misstöne im Verhältnis zwischen Vilnius und den Staaten der Östlichen Partnerschaft, Juska wurde als Botschafter abberufen. Monate danach kam der litauische Geheimdienst zum Schluss, dass Russland hinter der Kampagne gegen den Diplomaten steckte.
Kapitel für Kapitel reiht Aro die Formen des russischen Propagandakrieges auf, verflochten mit ihrer eigenen Geschichte. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, ins Visier russischer Trolle zu geraten. Zweieinhalb Jahre erlebte sie, wie Verfehlungen aus ihrer Vergangenheit ausgegraben, Gerüchte und Verleumdungen gestreut wurden. Schließlich erhielt sie einen Anruf ihres verstorbenen Vaters und Morddrohungen. 2017 floh die Journalistin aus Finnland, weil sie fürchtete, dass die Gewaltphantasien aus dem Netz real werden könnten.
Finnland ist ein besonders interessantes Land, wenn es um Moskaus Einflussnahme geht. Das jüngste Mitglied der NATO teilt eine 1340 Kilometer lange Grenze mit Russland, für etwa 70.000 Menschen in Finnland ist Russisch die Muttersprache. Die Außenpolitik Helsinkis gegenüber der Sowjetunion war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von politischer Neutralität und guten Handelsbeziehungen geprägt. Kritisches war in diesen Jahren kaum über den großen Nachbarn zu lesen. Vor diesem Hintergrund begann Aro über russische Desinformation zu recherchieren.
Ursprünglich hatte sie "Putins Armee der Trolle" schon 2018 geschrieben, doch erst vor einigen Monaten erschien es in Deutschland. Dazu beigetragen haben dürfte Russlands Überfall auf die Ukraine. Staaten, die der Ukraine helfen, werden zwar nicht mit Raketen angegriffen, aber online attackiert. Mitte März mahnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Die Bedrohung Deutschlands durch Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und Spionage hat eine komplett neue Dimension erreicht."
Aro gilt als Spezialistin für russische Desinformation. An mindestens einer Stelle hätte sie jedoch ihre Quellen kritischer hinterfragen müssen. So ist das mit Abstand längste Kapitel im Buch dem "Geschäftsmann" Bill Browder und seinem Einsatz für den "Magnitsky Act" gewidmet. Das amerikanische Gesetz ermöglicht es, die Vermögenswerte derjenigen einzufrieren, die Menschenrechte verletzen, und ihnen die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verweigern; etliche Staaten haben es übernommen. Aro stellt Browder als aufrechten Kämpfer dar, der sich Putin zum Feind gemacht hat. Der Fall des in einem Moskauer Gefängnis verstorbenen Russen Sergej Magnitski hat Browder bekannt gemacht, sein Buch wurde zum "New York Times"-Bestseller. Mittlerweile ist allerdings bekannt, dass seine Darstellungen voller Widersprüche sind.
Russlands Trolle nutzen Themen wie die Migrationskrise, vermischen echte Nachrichten mit gefälschten und schüren so Panik. Unternehmen wie Alphabet, zu dem Google gehört, und Facebook tun wenig gegen Hasskommentare und Fake News. Der Informationskrieg geht weiter. Aro kehrte Ende 2018 nach Finnland zurück. Sie ging gegen die Anführer der Hetzkampagne gegen sie juristisch vor, mit Erfolg. Aufgehört haben die Attacken auf sie nicht. OTHMARA GLAS
Jessikka Aro: Putins Armee der Trolle. Der Informationskrieg des Kreml gegen die demokratische Welt.
Goldmann Verlag, München 2022. 400 S., 24,- Euro.
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