The ideas at the root of quantum theory remain stubbornly, famously bizarre: a solid world reduced to puffs of probability; particles that tunnel through walls; cats suspended in zombielike states, neither alive nor dead; and twinned particles that share entangled fates. For more than a century, physicists have grappled with these conceptual uncertainties while enmeshed in the larger uncertainties of the social and political worlds around them, a time pocked by the rise of fascism, cataclysmic world wars, and a new nuclear age. In Quantum Legacies, David Kaiser introduces readers to iconic episodes in physicists' still-unfolding quest to understand space, time, and matter at their most fundamental. In a series of vibrant essays, Kaiser takes us inside moments of discovery and debate among the great minds of the era-Albert Einstein, Erwin Schrdinger, Stephen Hawking, and many more who have indelibly shaped our understanding of nature-as they have tried to make sense of a messy world. Ranging across space and time, the episodes span the heady 1920s, the dark days of the 1930s, the turbulence of the Cold War, and the peculiar political realities that followed. In those eras as in our own, researchers' ambition has often been to transcend the vagaries of here and now, to contribute lasting insights into how the world works that might reach beyond a given researcher's limited view. In Quantum Legacies, Kaiser unveils the difficult and unsteady work required to forge some shared understanding between individuals and across generations, and in doing so, he illuminates the deep ties between scientific exploration and the human condition.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2020Gleichungen sind einfach nicht alles
Von Hippies, Quanten und dem Kalten Krieg: David Kaiser schreibt präzise und hinreißend gut über die Physik der Nachkriegszeit.
Ein Ende der siebziger Jahre aufgenommenes Bild zeigt den späteren Nobelpreisträger Val Fitch vor sämtlichen bis dahin erschienen Bänden der amerikanischen Fachzeitschrift "Physical Review" - aufgetürmt nach Jahrzehnten. Bis 1940 ergeben sich dabei Stapel, die jeweils noch in einer größeren Aktentasche Platz fänden. Doch dann blähen sich die publizierten neuen Erkenntnisse aus der Physik schnell auf. Schon die fünfziger Jahre reichen Fitch bis zum Knie, die Sechziger bis zur Brust und die noch gar nicht abgeschlossenen Siebziger drohen den Forscher gar zu erschlagen. Das sei eines seiner Lieblingsfotos, schreibt David Kaiser vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der Einleitung zu seiner Essaysammlung "Quantum Legacies".
Im Buch findet der Leser dann allerdings auch eine Grafik, die zu dem exponentiell wachsenden Output der Nachkriegsphysik nicht ganz passen will. Sie zeigt die Entwicklung der pro Jahr von amerikanischen Universitäten verliehenen Doktortitel im Fach Physik zwischen den Jahren 1900 und 2005. Zunächst stimmt das Bild: Nach langsamem Wachstum in der Vorkriegszeit und einem zeithistorisch leicht interpretierbaren Einbruch um das Jahr 1945 schnellt die Zahl der jährlich in Amerika promovierten Physiker steil in die Höhe, bis sie etwa 1970 ein Maximum von mehr als anderthalbtausend erreicht - und dann abrupt abfällt. Erst in den achtziger Jahren geht sie wieder nach oben - um dann Mitte der Neunziger erneut zu fallen.
Das Besondere an "Quantum Legacies" ist, dass hier auf eine zugleich präzise und hinreißend gut geschriebene Weise verschiedene Aspekte beider Dynamiken thematisiert werden: der Physik als Wissensbestand und der Physik als soziales Phänomen. Tatsächlich ist David Kaiser eine echte Doppelbegabung. Der 1971 geborene Amerikaner hat nicht nur zwei Doktortitel - einen in theoretischer Physik und einen in Wissenschaftsgeschichte -, sondern vertritt am MIT auch beide Fächer als Professor. Als Physiker forscht er in dem besonders haarigen, weil nicht allein mit mathematischen Mitteln bestellbaren Feld der Grundlagen der Quantenphysik. Als Historiker wiederum ist sein Thema die amerikanische Physikgeschichte der Nachkriegszeit. Beide Interessen hat er auch schon kombinieren können. So zeigt er in seinem 2011 erschienenen Buch "How the Hippies Saved Physics", wie arbeitslose Physiker mit spekulativen Interessen im Umfeld der kalifornischen Gegenkultur der frühen siebziger Jahre das Interesse an den philosophischen Fragen der Quantentheorie erneuerten, das in Kriegs- und Nachkriegszeiten verlorengegangen war.
Die Essays in der vorliegenden Sammlung sind alle bereits einmal irgendwo veröffentlicht worden, etliche etwa im "London Review of Books", und einige sind gewissermaßen Parerga und Paralipomena zu Kaisers Hippie-Buch. Einer etwa erzählt die Geschichte des Physikers Fritjof Capra, der eigentlich ein Quantenmechanik-Lehrbuch schreiben wollte, woraus dann aber 1975 der Esoterik-Bestseller "Das Tao der Physik" wurde. Ein anderer Beitrag geht der Frage nach, wie es zu der märchenhaften Konjunktur der Physik in den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg kam, als die staatliche Förderung physikalischer Grundlagenforschung ebenso durch die Decke ging wie deren gesellschaftliches Ansehen. "Keine Dinner-Party wird ein Erfolg, unter deren Gästen nicht mindestens ein Physiker ist", stellte etwa die Zeitschrift "Harper's Magazine" bereits 1946 fest.
Wie Kaiser zeigen kann, setzte diese Konjunktur schon vor dem Beginn des Manhattan-Projekts zum Bau der ersten Nuklearwaffe ein und wurde nach 1945 nicht zuletzt durch eine Fehlinterpretation sowjetischer Statistiken beflügelt, welche ein amerikanisches Defizit an Naturwissenschaftlern vortäuschte. Den faktischen Zusammenbruch des Arbeitsmarktes für frisch promovierte Physiker in den Vereinigten Staaten am Ende der sechziger Jahre sieht Kaiser denn auch als Platzen einer "Spekulationsblase", zu der sich die Physikerausbildung in den Hochzeiten des westöstlichen Rüstungs- und Prestigewettlaufs herausgebildet hatte; ein Prozess, der sich wiederholte, als Verteidigungsausgaben wie Physikdoktorandenzahlen unter der Reagan-Administration erneut anstiegen - bis die Sowjetunion zusammenbrach.
Der Kalte Krieg und sein plötzliches Ende sind wiederkehrende Szenerien hinter etlichen der Geschichten, die hier erzählt werden, beispielsweise auch dort, wo es um Teilchenbeschleuniger geht oder sogar die Suche nach Außerirdischen. Doch David Kaiser hat noch andere Themen. Regelmäßigen Lesern populärwissenschaftlicher Bücher und Zeitungsartikel werden sie zumeist vertrauter sein als beispielsweise die Quanten-Hippies. Doch auch was Kaiser über die Suche nach dem Higgs-Teilchen oder nach Gravitationswellen zu berichten weiß sowie über den absonderlichen Charakter des großen Physikers Paul Dirac, erscheint hier frisch und ungemein kurzweilig.
Wenn einen die Lektüre irgendwo unbefriedigt zurücklässt, dann höchstens weil man gerne noch mehr erfahren hätte - etwa zur Geschichte hinter den Penrose-Diagrammen. Das sind Skizzen, mit denen Gravitationsphysiker sich gerne ein Bild ihrer theoretischen Gegenstände machen, beispielsweise der schwarzen Löcher. Ähnlich wie die Konjunktur der sogenannten Feynman-Graphen in der Elementarteilchenphysik - übrigens auch ein Forschungsthema David Kaisers - zeigen sie, dass theoretische Physiker bei aller Liebe zu mathematischen Gleichungen doch auch Augentiere sind. Solche Diagramme haben dann vielleicht nicht unerheblich zur Produktivitätssteigerung der Physiker beigetragen - und damit am Ende auch dazu, dass die Bände der "Physical Review" auch in Krisenzeiten ungebremst dicker wurden.
ULF VON RAUCHHAUPT
David Kaiser: "Quantum Legacies". Dispatches from an Uncertain World.
University of Chicago Press, Chicago 2020.
360 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Hippies, Quanten und dem Kalten Krieg: David Kaiser schreibt präzise und hinreißend gut über die Physik der Nachkriegszeit.
Ein Ende der siebziger Jahre aufgenommenes Bild zeigt den späteren Nobelpreisträger Val Fitch vor sämtlichen bis dahin erschienen Bänden der amerikanischen Fachzeitschrift "Physical Review" - aufgetürmt nach Jahrzehnten. Bis 1940 ergeben sich dabei Stapel, die jeweils noch in einer größeren Aktentasche Platz fänden. Doch dann blähen sich die publizierten neuen Erkenntnisse aus der Physik schnell auf. Schon die fünfziger Jahre reichen Fitch bis zum Knie, die Sechziger bis zur Brust und die noch gar nicht abgeschlossenen Siebziger drohen den Forscher gar zu erschlagen. Das sei eines seiner Lieblingsfotos, schreibt David Kaiser vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der Einleitung zu seiner Essaysammlung "Quantum Legacies".
Im Buch findet der Leser dann allerdings auch eine Grafik, die zu dem exponentiell wachsenden Output der Nachkriegsphysik nicht ganz passen will. Sie zeigt die Entwicklung der pro Jahr von amerikanischen Universitäten verliehenen Doktortitel im Fach Physik zwischen den Jahren 1900 und 2005. Zunächst stimmt das Bild: Nach langsamem Wachstum in der Vorkriegszeit und einem zeithistorisch leicht interpretierbaren Einbruch um das Jahr 1945 schnellt die Zahl der jährlich in Amerika promovierten Physiker steil in die Höhe, bis sie etwa 1970 ein Maximum von mehr als anderthalbtausend erreicht - und dann abrupt abfällt. Erst in den achtziger Jahren geht sie wieder nach oben - um dann Mitte der Neunziger erneut zu fallen.
Das Besondere an "Quantum Legacies" ist, dass hier auf eine zugleich präzise und hinreißend gut geschriebene Weise verschiedene Aspekte beider Dynamiken thematisiert werden: der Physik als Wissensbestand und der Physik als soziales Phänomen. Tatsächlich ist David Kaiser eine echte Doppelbegabung. Der 1971 geborene Amerikaner hat nicht nur zwei Doktortitel - einen in theoretischer Physik und einen in Wissenschaftsgeschichte -, sondern vertritt am MIT auch beide Fächer als Professor. Als Physiker forscht er in dem besonders haarigen, weil nicht allein mit mathematischen Mitteln bestellbaren Feld der Grundlagen der Quantenphysik. Als Historiker wiederum ist sein Thema die amerikanische Physikgeschichte der Nachkriegszeit. Beide Interessen hat er auch schon kombinieren können. So zeigt er in seinem 2011 erschienenen Buch "How the Hippies Saved Physics", wie arbeitslose Physiker mit spekulativen Interessen im Umfeld der kalifornischen Gegenkultur der frühen siebziger Jahre das Interesse an den philosophischen Fragen der Quantentheorie erneuerten, das in Kriegs- und Nachkriegszeiten verlorengegangen war.
Die Essays in der vorliegenden Sammlung sind alle bereits einmal irgendwo veröffentlicht worden, etliche etwa im "London Review of Books", und einige sind gewissermaßen Parerga und Paralipomena zu Kaisers Hippie-Buch. Einer etwa erzählt die Geschichte des Physikers Fritjof Capra, der eigentlich ein Quantenmechanik-Lehrbuch schreiben wollte, woraus dann aber 1975 der Esoterik-Bestseller "Das Tao der Physik" wurde. Ein anderer Beitrag geht der Frage nach, wie es zu der märchenhaften Konjunktur der Physik in den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg kam, als die staatliche Förderung physikalischer Grundlagenforschung ebenso durch die Decke ging wie deren gesellschaftliches Ansehen. "Keine Dinner-Party wird ein Erfolg, unter deren Gästen nicht mindestens ein Physiker ist", stellte etwa die Zeitschrift "Harper's Magazine" bereits 1946 fest.
Wie Kaiser zeigen kann, setzte diese Konjunktur schon vor dem Beginn des Manhattan-Projekts zum Bau der ersten Nuklearwaffe ein und wurde nach 1945 nicht zuletzt durch eine Fehlinterpretation sowjetischer Statistiken beflügelt, welche ein amerikanisches Defizit an Naturwissenschaftlern vortäuschte. Den faktischen Zusammenbruch des Arbeitsmarktes für frisch promovierte Physiker in den Vereinigten Staaten am Ende der sechziger Jahre sieht Kaiser denn auch als Platzen einer "Spekulationsblase", zu der sich die Physikerausbildung in den Hochzeiten des westöstlichen Rüstungs- und Prestigewettlaufs herausgebildet hatte; ein Prozess, der sich wiederholte, als Verteidigungsausgaben wie Physikdoktorandenzahlen unter der Reagan-Administration erneut anstiegen - bis die Sowjetunion zusammenbrach.
Der Kalte Krieg und sein plötzliches Ende sind wiederkehrende Szenerien hinter etlichen der Geschichten, die hier erzählt werden, beispielsweise auch dort, wo es um Teilchenbeschleuniger geht oder sogar die Suche nach Außerirdischen. Doch David Kaiser hat noch andere Themen. Regelmäßigen Lesern populärwissenschaftlicher Bücher und Zeitungsartikel werden sie zumeist vertrauter sein als beispielsweise die Quanten-Hippies. Doch auch was Kaiser über die Suche nach dem Higgs-Teilchen oder nach Gravitationswellen zu berichten weiß sowie über den absonderlichen Charakter des großen Physikers Paul Dirac, erscheint hier frisch und ungemein kurzweilig.
Wenn einen die Lektüre irgendwo unbefriedigt zurücklässt, dann höchstens weil man gerne noch mehr erfahren hätte - etwa zur Geschichte hinter den Penrose-Diagrammen. Das sind Skizzen, mit denen Gravitationsphysiker sich gerne ein Bild ihrer theoretischen Gegenstände machen, beispielsweise der schwarzen Löcher. Ähnlich wie die Konjunktur der sogenannten Feynman-Graphen in der Elementarteilchenphysik - übrigens auch ein Forschungsthema David Kaisers - zeigen sie, dass theoretische Physiker bei aller Liebe zu mathematischen Gleichungen doch auch Augentiere sind. Solche Diagramme haben dann vielleicht nicht unerheblich zur Produktivitätssteigerung der Physiker beigetragen - und damit am Ende auch dazu, dass die Bände der "Physical Review" auch in Krisenzeiten ungebremst dicker wurden.
ULF VON RAUCHHAUPT
David Kaiser: "Quantum Legacies". Dispatches from an Uncertain World.
University of Chicago Press, Chicago 2020.
360 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main