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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Florian Huber sucht in einer Geschichte des Rechtsterrors Parallelen zwischen damals und heute
Es waren blutige Zeiten, diese ersten Jahre von Weimar. Der Krieg hatten dem Reich eine Generation junger Männer hinterlassen, die - an Gewalt gewöhnt und mit Waffen vertraut - nun nutzlos in den Schankräumen des Reiches saßen. Die Republik konnte ihnen wenig bieten als wirtschaftliche Misere, Arbeitslosigkeit und eine schwache Regierung. Halt fanden die Männer in den Freicorps, die national gesinnte Warlords überall auf eigene Rechnung aufstellten. Hier konnten sie vom großen Gestern schwärmen und von der Kraft der Tat, die nur eine mutige Hand brauchte. Geeint wurden sie von dem Gefühl, dass etwas passieren musste.
354 politische Morde von rechts hat der sozialdemokratische Statistiker Emil Julius Gumbel in den ersten vier Jahren der Weimarer Republik gezählt. Der Höhepunkt dieses frühen rechtsextremen Terrors kam im Frühjahr 1922 mit den Anschlägen auf die republikanischen Symbolfiguren Matthias Erzberger und Philip Scheidemann und schließlich, am 24. Juni, mit dem Mord an Außenminister Walther Rathenau. Die Täter gehörten allesamt einem Untergrundnetzwerk an, das über Helferstrukturen im ganzen Reich verfügte und teils mit Wissen und unter dem Schutz der Sicherheitsbehörden agierte: Es war die berüchtigte Organisation Consul unter der Führung des früheren Korvettenkapitäns, Weltkriegshelden und Freicorpsgründers Hermann Ehrhardt.
Der Historiker und Dokumentarfilmer Florian Huber hat sich diese frühen Strukturen des rechtsextremen Terrors vorgenommen und zu einem Buch über die ersten Jahre von Weimar verdichtet. Mit viel Gefühl für dramatische Gestaltung verflechtet Huber die persönlichen Geschichten der Protagonisten: Der Schulversager Hermann Ehrhardt, der in der kaiserlichen Marine Heimat und Lebenssinn findet und dann alles verliert, bis er in den Wirren nach dem Krieg sein "Marine-Brigade"-Freicorps aufbaut und zum Faktor in der großen Politik wird; der deutsch-nationale Träumer Ernst von Salomon, der sein junges Leben in der Kadettenschule ganz auf die wilhelminische Welt ausgerichtet hatte und durch Niederlage und Revolution ins Bodenlose fällt; daneben die späteren Attentäter wie Heinrich Tillessen, Hermann Fischer oder Erwin Kern.
Nah an den Figuren lässt Huber die emotional geladene Zeit wiedererstehen. Die Lebenswege der Mörder verwebt er mit den letzten Jahren Walther Rathenaus, der mit seinem unermüdlichen, aber auch von Zweifeln geplagten Streiten für die Republik zur Projektionsfläche des Hasses wurde. Hier der Reichsaußenminister, ein Intellektueller, Ästhet und vermögender Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau, der sich trotz aller Warnungen jeden Morgen im offenen Wagen von seiner Villa im Grunewald ins Ministerium fahren ließ, dort der verhinderte Soldat Ehrhardt, der mit seinem Freicorps beim Kapp-Putsch mitmarschierte und später - zur Fahndung ausgeschrieben - in München unter dem Schutz des örtlichen Polizeipräsidenten lebte, unter anderen Namen zwar und zeitweise als "Konsul" getarnt, aber alles in allem keineswegs versteckt. Im noblen Schwabing richtete seine "Organisation Consul" ihr Büro mit einer ganzen Reihe von Angestellten ein. Von hier aus steuerte Erhardt seine konterrevolutionären Strukturen im ganzen Reich.
Doch dass es Huber mit seinem Buch auf mehr anlegt als nur auf eine spannend geschriebene historische Rückschau, deutet schon der Untertitel an: "Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland". Huber geht es darum, eine Linie ins Jetzt zu ziehen, zu den geistigen Brandstiftern unserer Tage. Den Kapiteln stellt er aktuelle Zitate voran, von den AfD-Politikern Alexander Gauland und Björn Höcke über den Christchurch-Attentäter Brenon Tarrant bis zu Anders Breivik. Als Nachwort fungiert eine Gegenüberstellung von Bildern - damals und heute: links der Trauerakt für Rathenau im Reichstag 1924, rechts die Gedenkfeier für den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Jahr 2019; links der Prozess gegen Rathenaus Mörder vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig, rechts Beate Zschäpe auf der Anklagebank in München. Und noch deutlicher: links der Rathenau-Gegner und deutschnationale Abgeordnete Karl Helfferich mit den reaktionären Gallionsfiguren Hindenburg und Ludendorff, rechts AfD-Mann Höcke mit den Pegida-Funktionären Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz.
Spätestens an diesem Punkt dünkt es dem Leser, dass der Autor den Bezug zum Heute etwas überstrapaziert. Keine Frage, dass es Kontinuitäten und Parallelen gibt, im Denken wie im Handeln der rechtsradikalen Kräfte. Doch bleibt die Frage, was es für das Verständnis der Neonazis unserer Zeit bringt, einzelne Parallelen zu Weimar symbolisch aufzuladen, als ein vom Krieg gebeuteltes Land mit seinen alten Eliten rang. Und auch der Topos des "Verlierers", der sich durch das Buch zieht, hilft da nicht weiter. Sicher trifft er noch heute auf die zu kurz Gekommenen der Globalisierung und taugt als Beschreibung für manchen rechtsradikalen Idioten. Aber er greift sehr kurz, wenn man etwa auf die Strukturen ostdeutscher Neonazis blickt, die lange in die DDR-Zeit zurückreichen und gegenüber dem damaligen System keineswegs den Kürzeren zogen. Und die Beschreibung als Verlierer birgt die Gefahr, dass sie vor allem dem Wohlbefinden des Lesers dient, dem so bestätigt wird, dass er auf der richtigen Seite der Geschichte steht.
Dass der Blick auf damals lehrreich ist, mit dem Heute aber wenig zu tun hat, zeigt auch ein Bild, das sich nicht als Foto im Buch findet, sondern als Beschreibung in Hubers Vorwort: Es sind die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die nach einem Feuergefecht mit der Polizei leblos in ihrem Wohnmobil in Eisenach liegen. Nur 50 Kilometer entfernt, auf der Burg Saaleck, fand man fast 90 Jahre zuvor die Rathenau-Mörder Hermann Fischer und Erwin Kern tot auf einem Bett. Doch so symbolstark diese Parallele der Terroristen-Duos ist, sie fördert noch mehr die Unterschiede zutage. Denn auch wenn der NSU Unterstützer in der rechtsradikalen Szene im ganzen Land hatte, so waren diese Netzwerke doch sehr weit weg von eigentlichen Zentren der Macht. Die Rathenau-Mörder hingegen fanden nicht in einem Wohnmobil ihr Ende, sondern in einem Schlafgemach der Burg als Gäste des Herren, der gerade aus Bayern zurückeilte mit einem großzügigen Fluchtpaket für die Attentäter. Wären die beiden nicht durch Zufall entdeckt worden, sie hätten mit neuen Pässen und ausreichend Geld ein unbehelligtes Leben unter dem Schutz der alten Netzwerke genießen können. Am Ende erfährt Hubers Leser viel Interessantes von damals mit überschaubarem Mehrwert für das Heute.
ALEXANDER HANEKE
Florian Huber: "Rache der Verlierer". Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland.
Berlin Verlag, Berlin 2020. 288 S., 24,- [Euro].
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