Julia Ebner verfolgt hauptberuflich Extremisten. Undercover mischt sie sich unter Hacker, Terroristen, Trolle, Fundamentalisten und Verschwörer, sie kennt die Szenen von innen, von der Alt-Right-Bewegung bis zum Islamischen Staat, online wie offline. Ihr Buch macht Radikalisierung fassbar, es ist Erfahrungsbericht, Analyse, unmissverständlicher Weckruf.
Als Extremismusforscherin stellen sich ihr folgende Fragen: Wie rekrutieren, wie mobilisieren Extremisten ihre Anhänger? Was ist ihre Vision der Zukunft? Mit welchen Mitteln wollen sie diese Vision erreichen? Um Antworten zu finden, schleust sich Julia Ebner ein in zwölf radikale Gruppierungen quer durch das ideologische Spektrum. Sozusagen von der anderen Seite beobachtet sie Planungen terroristischer Anschläge, Desinformationskampagnen, Einschüchterungsaktionen, Wahlmanipulationen. Sie erkennt, Radikalisierung folgt einem klaren Skript: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Mobilisierung, Angriff.
Als Extremismusforscherin stellen sich ihr folgende Fragen: Wie rekrutieren, wie mobilisieren Extremisten ihre Anhänger? Was ist ihre Vision der Zukunft? Mit welchen Mitteln wollen sie diese Vision erreichen? Um Antworten zu finden, schleust sich Julia Ebner ein in zwölf radikale Gruppierungen quer durch das ideologische Spektrum. Sozusagen von der anderen Seite beobachtet sie Planungen terroristischer Anschläge, Desinformationskampagnen, Einschüchterungsaktionen, Wahlmanipulationen. Sie erkennt, Radikalisierung folgt einem klaren Skript: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Mobilisierung, Angriff.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Im Maschinenraum des Extremismus
Verdeckte Ermittlerin: Julia Ebner berichtet von ihren Erfahrungen in den Online-Foren radikaler Gruppen.
Von Nora Sefa
Inhalte aus Kunst, Musik, Film und Literatur werden häufig zur Unterstützung politischer Ideologien herangezogen. So beschreibt die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner in ihrem neuen Buch eine Szene aus dem ersten Teil des kultigen Science-Fiction-Films "Matrix", der für die Propaganda der internationalen Neuen Rechten zum Symbol geworden ist. Darin muss sich der Protagonist "Neo" zwischen einer blauen und einer roten Kapsel entscheiden. Schluckt er die blaue, lebt er auf ewig verblendet in einer Traumwelt. Nimmt er die rote Kapsel ein - die der "Wahrheit" -, erlangt er schmerzhafte Erkenntnis über die Welt, in der er lebt.
In rechtsextremen Kreisen steht die rote Kapsel für die Befreiung von den Mainstream-Wahrheiten. Man verschafft sich Zugang zum vermeintlich eigentlichen Wissen, was meist auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien hinausläuft. Etwa auf die in der Alt-Right-Bewegung gepflegte Erzählung vom "Großen Bevölkerungsaustausch", nach der die weiße Rasse verdrängt werde und um ihre Erhaltung kämpfen müsse. In ihren Recherchen begegnen Julia Ebner viele solcher Verschwörungstheorien.
Ebner forscht am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) und berät internationale Regierungsorganisationen in Online-Extremismus-Fragen. Ihr Beruf sei es, schreibt sie, Extremisten zu verfolgen; ihre Arbeit beschreibt sie als Katz-und-Maus-Spiel.
Doch die Perspektive der Katze, die sie in ihrer Forschung einnimmt, genügte ihr nicht, sie wollte wissen, was sich unter den Mäusen, im "Maschinenraum" des Extremismus, abspielt - dort, wo die Radikalisierung sich stufenweise vollzieht. Zwei Jahre lang hat Ebner deshalb immer wieder verschiedene Identitäten ("Avatare") angenommen, um sich undercover in extremistische Gruppierungen im Netz und auch offline einzuschleusen. Mal ist sie die naive "Jen Malo" im Chatroom der neonazistischen "MAtR" (Men Among the Ruins), mal mischt sie sich strategisch klug als "Isabella I. Königin von Kastilien" unter die größte Trollarmee Europas, "Reconquista Germanica", oder sie tritt konservativ-christlich auf, als Claire, eine französische Stewardess, die auf der Dating-Plattform "WASP Love" die Beziehungssehnsüchte weißer Rassisten ergründet. So wagt sie sich in die Welt von weißen Nationalisten und Neonazis, von Islamisten und radikalen Antifeministinnen.
Allen gemein ist, stellt Ebner fest, die "toxische Paarung" aus "ideologischer Vergangenheitssehnsucht" und "technologischem Futurismus", Eine explosive Mischung, wie bei der Lektüre deutlich wird. Mit ihren Avataren verschafft sie sich Zutritt zu den Chatforen auf der Gaming-App "Discord" und auf Messengern wie Telegram und Whatsapp, die mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung arbeiten. Deren Nutzer fühlen sich hier unbeobachtet und sicher. Ebner bezeichnet Discord und Telegram als "gekaperte Plattformen": Beide seien zu einem anderen Zweck entstanden, würden aber massiv von Extremisten genutzt. Die Online-Dienste arbeiteten zwar mit den Behörden zusammen, um ihre Server von Extremisten zu befreien, doch die Nutzer sind ihren Verfolgern meist einen Schritt voraus und wissen die Plattformen auszutricksen.
Ein Besuch im Chat der antifeministischen Frauenbewegung Red Pill Women/ Traditional Wives, einem Coaching- und Dating-Ratgeber, zeigt, wie verbale und körperliche Gewalt gegenüber Frauen von Frauen legitimiert wird. Frauen verachtende Rollenbilder werden hier hochgehalten, der eigene sexuelle Marktwert wird penibel errechnet. Auch Ebners Beobachtungen im Chat der "Terror Agency Sister"-Gruppe, zeigen, wie muslimische Frauen, die dem "Islamischen Staat" nahestehen, systematisch auf den Dschihad eingestimmt werden.
Ihre Recherchen bringen die Autorin immer wieder in heikle Situationen, auch außerhalb der Chats, im realen Leben. So wird sie durch Zufall Zeugin der Gründungsveranstaltung eines Ablegers der rechtsextremen Identitären Bewegung in London, ein Event, das die Köpfe der internationalen Rechten versammelt. Ebner sitzt, getarnt mit einer Perücke, mittendrin.
Sie habe "beobachtet, wie Extremisten Terroranschläge und Desinformationskampagnen planen und Einschüchterungsfeldzüge koordinieren", schreibt Ebner über ihre Erfahrungen. Fünf Schritte des von ihr untersuchten Radikalisierungsprozesses unterscheidet sie: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Vernetzung, Mobilisierung und Angriff. Jede dieser Etappen arbeitet sie eindringlich an einer oder mehreren Gruppen ab, die sie als virtuelle Agentin besucht hat. Erstaunlich ist, dass sich dieser Verlauf der Radikalisierung über alle ideologischen Unterschiede hinweg beobachten lässt.
Ebner zeigt eindrucksvoll, was hinter den Kulissen vorgeht, wenn terroristische Angriffe und Cyberattacken geplant werden, und erzeugt so immer wieder neue Spannungsbögen. Die Erzählweise führt dazu, dass sich das Buch streckenweise eher wie ein Tagebuch liest ("Mir läuft es bei dieser Unterhaltung kalt den Rücken hinunter und ich trinke mein Glas Wein.")
Ebners Antwort auf die Frage, warum solche Radikalisierungen sich Bahn brechen, ist nicht neu: Die fortschreitende Technologie hat die Mobilisierungskraft extremistischer Gruppierungen enorm gestärkt. Auch nicht sonderlich neu sind die gleich zu Beginn des Buches als innovativ und mutig angekündigten Vorschläge, um die Radikalisierung von Internetusern zu verhindern ("Bildung gegen Extremismus") und gefährdende Gruppierungen aufzuspüren und zu überwältigen.
Ebners Verdienst besteht viel eher darin, verständlich zu machen, wie sich die Online-Radikalisierung vollzieht, wie Menschen zu solchen "hypersozialen extremistischen Hightech-Bewegungen" und ihren Chats finden und dort bleiben. "Mithilfe der Technik geben sie den Menschen zurück, was die Technik ihnen genommen hat", schreibt sie über Online-Chats. Das seien "Zugehörigkeitsgefühl, Selbstvertrauen und Identität. Beziehungsweise: Illusion dessen."
Julia Ebner: "Radikalisierungsmaschinen". Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und manipulieren.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
334 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verdeckte Ermittlerin: Julia Ebner berichtet von ihren Erfahrungen in den Online-Foren radikaler Gruppen.
Von Nora Sefa
Inhalte aus Kunst, Musik, Film und Literatur werden häufig zur Unterstützung politischer Ideologien herangezogen. So beschreibt die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner in ihrem neuen Buch eine Szene aus dem ersten Teil des kultigen Science-Fiction-Films "Matrix", der für die Propaganda der internationalen Neuen Rechten zum Symbol geworden ist. Darin muss sich der Protagonist "Neo" zwischen einer blauen und einer roten Kapsel entscheiden. Schluckt er die blaue, lebt er auf ewig verblendet in einer Traumwelt. Nimmt er die rote Kapsel ein - die der "Wahrheit" -, erlangt er schmerzhafte Erkenntnis über die Welt, in der er lebt.
In rechtsextremen Kreisen steht die rote Kapsel für die Befreiung von den Mainstream-Wahrheiten. Man verschafft sich Zugang zum vermeintlich eigentlichen Wissen, was meist auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien hinausläuft. Etwa auf die in der Alt-Right-Bewegung gepflegte Erzählung vom "Großen Bevölkerungsaustausch", nach der die weiße Rasse verdrängt werde und um ihre Erhaltung kämpfen müsse. In ihren Recherchen begegnen Julia Ebner viele solcher Verschwörungstheorien.
Ebner forscht am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) und berät internationale Regierungsorganisationen in Online-Extremismus-Fragen. Ihr Beruf sei es, schreibt sie, Extremisten zu verfolgen; ihre Arbeit beschreibt sie als Katz-und-Maus-Spiel.
Doch die Perspektive der Katze, die sie in ihrer Forschung einnimmt, genügte ihr nicht, sie wollte wissen, was sich unter den Mäusen, im "Maschinenraum" des Extremismus, abspielt - dort, wo die Radikalisierung sich stufenweise vollzieht. Zwei Jahre lang hat Ebner deshalb immer wieder verschiedene Identitäten ("Avatare") angenommen, um sich undercover in extremistische Gruppierungen im Netz und auch offline einzuschleusen. Mal ist sie die naive "Jen Malo" im Chatroom der neonazistischen "MAtR" (Men Among the Ruins), mal mischt sie sich strategisch klug als "Isabella I. Königin von Kastilien" unter die größte Trollarmee Europas, "Reconquista Germanica", oder sie tritt konservativ-christlich auf, als Claire, eine französische Stewardess, die auf der Dating-Plattform "WASP Love" die Beziehungssehnsüchte weißer Rassisten ergründet. So wagt sie sich in die Welt von weißen Nationalisten und Neonazis, von Islamisten und radikalen Antifeministinnen.
Allen gemein ist, stellt Ebner fest, die "toxische Paarung" aus "ideologischer Vergangenheitssehnsucht" und "technologischem Futurismus", Eine explosive Mischung, wie bei der Lektüre deutlich wird. Mit ihren Avataren verschafft sie sich Zutritt zu den Chatforen auf der Gaming-App "Discord" und auf Messengern wie Telegram und Whatsapp, die mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung arbeiten. Deren Nutzer fühlen sich hier unbeobachtet und sicher. Ebner bezeichnet Discord und Telegram als "gekaperte Plattformen": Beide seien zu einem anderen Zweck entstanden, würden aber massiv von Extremisten genutzt. Die Online-Dienste arbeiteten zwar mit den Behörden zusammen, um ihre Server von Extremisten zu befreien, doch die Nutzer sind ihren Verfolgern meist einen Schritt voraus und wissen die Plattformen auszutricksen.
Ein Besuch im Chat der antifeministischen Frauenbewegung Red Pill Women/ Traditional Wives, einem Coaching- und Dating-Ratgeber, zeigt, wie verbale und körperliche Gewalt gegenüber Frauen von Frauen legitimiert wird. Frauen verachtende Rollenbilder werden hier hochgehalten, der eigene sexuelle Marktwert wird penibel errechnet. Auch Ebners Beobachtungen im Chat der "Terror Agency Sister"-Gruppe, zeigen, wie muslimische Frauen, die dem "Islamischen Staat" nahestehen, systematisch auf den Dschihad eingestimmt werden.
Ihre Recherchen bringen die Autorin immer wieder in heikle Situationen, auch außerhalb der Chats, im realen Leben. So wird sie durch Zufall Zeugin der Gründungsveranstaltung eines Ablegers der rechtsextremen Identitären Bewegung in London, ein Event, das die Köpfe der internationalen Rechten versammelt. Ebner sitzt, getarnt mit einer Perücke, mittendrin.
Sie habe "beobachtet, wie Extremisten Terroranschläge und Desinformationskampagnen planen und Einschüchterungsfeldzüge koordinieren", schreibt Ebner über ihre Erfahrungen. Fünf Schritte des von ihr untersuchten Radikalisierungsprozesses unterscheidet sie: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Vernetzung, Mobilisierung und Angriff. Jede dieser Etappen arbeitet sie eindringlich an einer oder mehreren Gruppen ab, die sie als virtuelle Agentin besucht hat. Erstaunlich ist, dass sich dieser Verlauf der Radikalisierung über alle ideologischen Unterschiede hinweg beobachten lässt.
Ebner zeigt eindrucksvoll, was hinter den Kulissen vorgeht, wenn terroristische Angriffe und Cyberattacken geplant werden, und erzeugt so immer wieder neue Spannungsbögen. Die Erzählweise führt dazu, dass sich das Buch streckenweise eher wie ein Tagebuch liest ("Mir läuft es bei dieser Unterhaltung kalt den Rücken hinunter und ich trinke mein Glas Wein.")
Ebners Antwort auf die Frage, warum solche Radikalisierungen sich Bahn brechen, ist nicht neu: Die fortschreitende Technologie hat die Mobilisierungskraft extremistischer Gruppierungen enorm gestärkt. Auch nicht sonderlich neu sind die gleich zu Beginn des Buches als innovativ und mutig angekündigten Vorschläge, um die Radikalisierung von Internetusern zu verhindern ("Bildung gegen Extremismus") und gefährdende Gruppierungen aufzuspüren und zu überwältigen.
Ebners Verdienst besteht viel eher darin, verständlich zu machen, wie sich die Online-Radikalisierung vollzieht, wie Menschen zu solchen "hypersozialen extremistischen Hightech-Bewegungen" und ihren Chats finden und dort bleiben. "Mithilfe der Technik geben sie den Menschen zurück, was die Technik ihnen genommen hat", schreibt sie über Online-Chats. Das seien "Zugehörigkeitsgefühl, Selbstvertrauen und Identität. Beziehungsweise: Illusion dessen."
Julia Ebner: "Radikalisierungsmaschinen". Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und manipulieren.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
334 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ebner zeigt eindrucksvoll, was hinter den Kulissen vorgeht, wenn terroristische Angriffe und Cyberattacken geplant werden, und erzeugt so immer wieder Spannungsbögen.« Nora Sefa Frankfurter Allgemeine Zeitung 20191012
»Ihr Buch ist das Resultat einer gefährlichen Feldforschung und eine umsichtige Analyse des digitalen Terrorismus: präzise und erschreckend.« DIE ZEIT 20190926