Judith Herrin behandelt in ihrem neuen Buch die Blütezeit Ravennas, etwa von 400 bis 750, wobei auch die Vorgeschichte gestreift und der Übergang ins Karolingerreich thematisiert werden. Kaiser Flavius Honorius machte Ravenna zur Hauptstadt des weströmischen Reiches und setzte damit einen Gegenpol
zu Konstantinopel im Osten. Gleichzeitig legte er aber damit den Grundstein von Ravenna als…mehrJudith Herrin behandelt in ihrem neuen Buch die Blütezeit Ravennas, etwa von 400 bis 750, wobei auch die Vorgeschichte gestreift und der Übergang ins Karolingerreich thematisiert werden. Kaiser Flavius Honorius machte Ravenna zur Hauptstadt des weströmischen Reiches und setzte damit einen Gegenpol zu Konstantinopel im Osten. Gleichzeitig legte er aber damit den Grundstein von Ravenna als Hauptstadt des Gotenreichs und machte es über mehrere Jahrhunderte zu einem kulturellen Hotspot. Rom war nach mehreren Plünderungen aufgegeben worden und versank bis zur Renaissance in Bedeutungslosigkeit.
Judith Herrin stellt Theoderich ins Zentrum ihrer Untersuchung, den Gotenkönig, der das ehemalige Römische Reich teilweise konsolidierte, die Verwaltung neu strukturierte und dem es gelang, das Vielvölkergemisch durch kluge und ausgleichende Herrschaft zu stabilisieren. Dass er seine Tochter (einen männlichen Erben hatte er nicht) außergewöhnlich gut ausbilden ließ, was es ihr später ermöglichte, die Herrschaft zu übernehmen, ist ebenfalls ein Zeichen von Theoderichs Weitsicht und Aufgeschlossenheit.
Es steht aber nicht nur die Herrschergenealogie im Fokus, sondern auch der Alltag aus der Sicht der Stadtbevölkerung: Handel, Organisation und kultureller Austausch. Das Christentum, wie wir es kennen, entstand im Wesentlichen in Ravenna, was noch heute im Stadtbild präsent ist. Ravennas Glanz strahlte tatsächlich über seine Zeit hinaus, indem es seine Architektur (z. B. im Aachener Dom) und Kultur ins ganze weströmische Reich trug.
Die 300-jährige Geschichte als Hauptstadt Westeuropas untermauert Judith Herrin mit einer detaillierten Beschreibung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, die sie eloquent und mitreißend schildert. Manchmal kam mir allerdings der Verdacht auf, dass sie sich in ihrem ungeheuren Wissen selber ein wenig verläuft, denn es gibt nicht wenige Wiederholungen, die im jeweiligen Kapitel zwar durchaus passen, aber nur dann erforderlich wären, wenn es für sich alleine stünde. Als Gedächtnisauffrischung ist das aber angesichts der ungeheuren Informationsfülle auch nicht unbedingt schädlich.
Das Buch ist sparsam, aber kenntnisreich illustriert. Leider sind alle Illustrationen in einem separaten Bildteil zusammengefasst, so dass man viel blättern muss, dafür sind die Abbildungen durchgehend farbig.
Heute liegt Ravenna abseits der üblichen Touristenrouten, was angesichts seiner Bedeutung und Attraktivität doch sehr wundert. Ich werde bei nächster Gelegenheit ganz sicher einmal hinreisen. Nicht unbedingt mit Judith Herrins Buch im Gepäck, aber mit ihrer Begeisterung im Kopf.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)