Studienarbeit aus dem Jahr 2022 im Fachbereich Französische Philologie - Literatur, Note: 1,3, Freie Universität Berlin, Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Hausarbeit stelle ich literarische Reflexionen zu dem Thema Klasse in Ernaux‘ récit de filiation "La Place" an. Mich interessieren die Schreibstrategien der Autorin sowie die Darstellung der Rolle der Literatur im Leben des Vaters und der Tochter. In dem ersten Teil der Ausarbeitung widme ich mich den Themen Sprache und Klasse, indem ich die Rolle der Emotionen und der Sprache in der Konstruktion der Zugehörigkeit ermittle. Im zweiten Teil untersuche ich die Distanz zwischen Vater und Tochter und den Schreibstil Ernaux‘. Ich stelle mir die Frage, welche Rolle Dokumente für die Beschreibung der sukzessiven Entfremdung spielen und welche Auswirkungen die Entfremdung auf das Schreiben hat. Annie Ernaux zählt derzeit zu einer der berühmtesten Schriftsteller:innen Frankreichs und hat bereits zahlreiche Literaturpreise gewonnen. Sie ist im Jahr 1940 in Frankreich in Lillebonne geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Yvetot in der Normandie, wo ihre Eltern einen Lebensmittelladen führten. Die Autorin besuchte ein Mädchenpensionat, absolvierte das Abitur, studierte in Paris Literaturwissenschaften und promovierte anschließend. Sie verließ das elterliche Milieu und führte als Erwachsene ein bürgerliches Leben; denn ab 1967 arbeitete Ernaux als Dozentin und Gymnasiallehrerin und von 1977 bis 2000 an der Fernuniversität "Centre national d’Enseignement à Distance". Seit Mitte der 1970er Jahre widmete sich Ernaux dem Schreiben, verfasste mehr als ein Dutzend Bücher. In ihrem Schaffensprozess wurde Ernaux von Pierre Bourdieu beeinflusst, der sich mit Klassenunterschieden und sozialer Gerechtigkeit beschäftigte. Sie schreibt in ihren Werken meist über eigene biografischen Erfahrungen, gesellschaftliche Unterschiede, über das Leben der "einfachen" Leute in Frankreich oder die Thematik der weiblichen Unabhängigkeit. 1983 veröffentlicht Annie Ernaux den récit de filiation "La Place", in dem sie anlässlich des Todes ihres Vaters über sein Leben schreibt. Dieser wuchs in einer Bauernfamilie auf und wurde, als er zwölf Jahre alt war, von der Schule genommen, damit er bei seinen Eltern auf dem Hof mitarbeiten kann. Als Erwachsener war er in einer Seilerei tätig, in der er seine spätere Frau kennenlernte. Mit ihr zusammen erfüllte er sich den Traum eines gemeinsamen Lebensmittelgeschäfts. Der Vater, zuerst Bauer und später Besitzer eines kleinen Lebensmittelladens, war froh über seinen gesellschaftlichen Aufstieg. Er lebte jedoch mit der ständigen Angst, seinen Platz zu verlieren und wieder in die "Unterschicht" zurückzufallen. Das Leben des Vaters bestand in erster Linie aus Arbeit und war gekennzeichnet von dem Kampf, die soziale Stellung nicht zu verlieren. Seine Tochter Annie Ernaux hingegen, welche 1940 als Kriegskind geboren wurde, schlug nach dem Abitur eine akademische Laufbahn ein. Der Klassenwechsel ins bürgerliche Milieu machte ihren Vater zwar stolz, trieb gleichzeitig aber auch einen Keil zwischen die beiden. Die Erzählung beschreibt eine Tochter-Vater-Beziehung, die zwar liebevoll ist, jedoch ebenfalls von einer Entfremdung und Distanz geprägt ist. Die Themen des Verrats, der Zugehörigkeit und der Entfremdung sowie die Emotionen innerer Spaltung, Zuneigung und des Schams ziehen sich durch den gesamten récit de filiation.