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Helle Helle sagt wenig und enthüllt viel
Verblüffend, mit welch geringen Mitteln diese Autorin größte Effekte erzielt; sie schreibt quasi mit gebremstem Schaum, aber das Ergebnis strahlt. In Dänemark wurde Helle Helle - bürgerlich heißt sie Helle Olsen - 1996 durch Kurzgeschichten bekannt, die an Raymond Carver und Kjell Askildsen geschult waren. Vor knapp zehn Jahren erschien mit "Haus und Heim" ihr erster Roman auf Deutsch. Schon darin fiel der minimalistische Realismus auf, der nur das Notwendigste sagt, aber vieles enthüllt.
Auch der neue Roman, der zum großen Teil in der flachen Gegend von Rødbyhavn spielt, wo Helle Helle 1965 geboren wurde und die Ankunft der Fähre aus Puttgarden das aufregendste Ereignis ist, macht nicht viele Worte. Tine hat ihrer vier Jahre jüngeren Halbschwester Jane einen Job in der Parfümerie auf der Fähre verschafft. Tine hat ein Töchterchen, auf das Frau Lund aufpasst. Die Schwestern sind bei ihrer Mutter aufgewachsen, die früh starb - es wird hier viel und plötzlich gestorben -, Väter aber gibt es keine, Großväter auch nicht. Überhaupt spielen Männer kaum eine Rolle. Höchstens für kleine Affären. Doch Gefühle sind in diesem Buch abgeschrieben. Einmal fährt Jane mit einem Mann nach Hamburg, er arbeitet dort als Elektriker, von Hamburg sieht Jane nichts. Im Hotel wohnt ein Kollege nebenan, er spricht ihren Namen englisch aus, das findet sie toll und küsst ihn. Dann weint sie und kann nicht mehr aufhören, und zum ersten und einzigen Mal schreibt sie etwas auf, nämlich, wie sie sich fühlt: "Betäubt und erleichtert." Doch die Wörter sagen ihr nichts.
Jane, die eigenbrötlerische Ich-Erzählerin, lebt fast autistisch. Einmal will sie mit ihrer Schwester essen gehen, das Restaurant hat zu, sie gehen wieder nach Hause. Geräusche dringen zu ihnen hin, das Meer "hinter der Sparkasse", das Sausen "von der Autobahn", nichts aber kommt ihnen nah, sie lassen die Welt nicht an sich ran. "In Wahrheit träumte ich davon, für den Rest meines Lebens zu Hause zu sitzen", sagt Jane. Ein Umzug gerät zur Vertreibung aus dem Paradies. Die Parfümflaschen mit den vielversprechenden Namen "Paris", "Arpège", "White Linen" sind Welt genug.
Helle Helle arbeitet mit dem Nichtgesagten, sie ist vom Nouveau Roman beeinflusst, besonders der beinahe kalte Blick auf das Geschehen zeugt davon (Alain Robbe-Grillet hat viel über Dynamik und Energie von Auslassungen geschrieben).
Zupackend lässt ihre Sprache das Schweigen erklingen, dramatisch die Szenen vibrieren, in denen nichts geschieht und sich doch so vieles ereignet. Diesen unterkühlten, hintergründigen Roman hat Flora Fink sehr treffend übersetzt.
PETER URBAN-HALLE
Helle Helle: "Rødby-Puttgarden". Roman.
Aus dem Dänischen von Flora Fink. Dörlemann Verlag, Zürich 2010. 285 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Aldo Keel, Neue Zürcher Zeitung
»Verblüffend, mit welch geringen Mitteln diese Autorin größte Effekte erzielt; sie schreibt quasi mit gebremstem Schaum, aber das Ergebnis strahlt ... Zupackend lässt ihre Sprache das Schweigen erklingen, dramatisch die Szenen vibrieren.«
Peter Urban-Halle, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Helle Helle gelingt es, den Ton der Provinz einzufangen, den Ton von Menschen, die mehr fühlen als sie sagen. Und sie macht mit besonderer Einfühlung die Atmosphäre auf dem Passagierschiff spürbar.«
Johan Schloemann, Süddeutsche Zeitung
»Helle Helles Romane erinnern an den Nouveau Roman: die detaillierten Beschreibungen, die Abwesenheit von Psychologie und ein beinahe kalter Blick auf das Geschehen zeugen davon. Uns selbst lässt ihr Roman überhaupt nicht kalt. Zu packend lässt sie die 'Sprache des Schweigens' erklingen, zu dramatisch die Szenen vibrieren, in denen nichts geschieht und sich vieles ereignet. - Diesen coolen, erregenden, hintergründigen Roman hat die junge Flora Fink sehr talentiert, sehr selbstbewusst übersetzt.«
Peter Urban-Halle, Deutschlandradio Kultur
»Sparsam und präzise erzählt, sanft zwischen Fröhlichkeit und Trauer hin- und herschaukelnd, ist dies ein wunderschöner und noch dazu hervorragend übersetzter Roman.«
Wolfgang Bortlik, 20 Minuten