Vor nicht einmal zwanzig Jahren nährte die Digitalisierung noch die Hoffnung auf eine universelle Befreiung der Menschen. Geblieben ist davon nicht viel: Die Furcht vor Überwachung ist zu einem ständigen Begleiter geworden. Mit Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien hielt eine neue Form von Hetze Einzug in die Öffentlichkeit. Und auf die permanente Verfügbarkeit von Informationen folgte der Kampf der etablierten Medien gegen den digitalen Dauerbeschuss mit Fake News. Höchste Zeit also für eine kritische Bestandsaufnahme.
In diesem Band gehen einige der wichtigsten Denkerinnen und Denker der Gegenwart drängenden Fragen nach: Wie lässt sich der digitale Kapitalismus zähmen? Stellt das Internet eine Gefahr für die Demokratie dar? Und wie können wir in einer digitalisierten Welt Autonomie (zurück)erobern?
Mit Beiträgen von Martin Schulz, Jakob Augstein, Gerhart Baum, Yvonne Hofstetter, Evgeny Morozov u. v. a.
In diesem Band gehen einige der wichtigsten Denkerinnen und Denker der Gegenwart drängenden Fragen nach: Wie lässt sich der digitale Kapitalismus zähmen? Stellt das Internet eine Gefahr für die Demokratie dar? Und wie können wir in einer digitalisierten Welt Autonomie (zurück)erobern?
Mit Beiträgen von Martin Schulz, Jakob Augstein, Gerhart Baum, Yvonne Hofstetter, Evgeny Morozov u. v. a.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2018Schirrmachers
Erbe
Ein Essayband beansprucht die
Deutungshoheit digitaler Debatten
Die Fragen, wie Wissenschaft und Technik Leben und Gesellschaft verändern, gehören zu den derzeit größten intellektuellen Herausforderungen, denen sich erstaunlich wenige Intellektuelle stellen. Einer der ersten, die das taten, war der 2014 verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Es war also nicht nur eine ehrfurchtsvolle Geste, sondern auch der Versuch einer programmatischen Fortführung, als der Verleger der Wochenzeitung Freitag, Jakob Augstein, ein Symposium zur digitalen Debatte Frank Schirrmacher widmete.
Daraus ist ein Band mit dem kämpferischen Titel „Reclaim Autonomy – Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung“ entstanden, der weit mehr Bestand hat als die bloße Dokumentation eines Symposiums. Ehrenwert ist das Projekt sowieso, denn ausgerechnet in Frank Schirrmachers journalistischer Heimat, dem Feuilleton der FAZ, werden sein Geist und sein Vermächtnis sehr auffallend geschleift.
Hier, das zeigt schon die Auswahl der Autoren, wird nahtlos an Schirrmacher angeschlossen. Es mag momentan seltsam wirken, dass Martin Schulz das Vorwort geschrieben hat. Aber das erinnert daran, dass Schirrmacher in Schulz einen Sparringspartner in der Politik gefunden hatte. Ansonsten liest man kritische Geister wie Yvonne Hofstetter und Saskia Sassen, die technisch versiert argumentieren, Constanze Kurz und Evgeny Morozov, die das politisch tun, die Ökonomin Shoshana Zuboff und den romanschreibenden Informatiker Daniel Suarez.
Auch mehr als ein Jahr nach dem Symposium bildet der Band den Stand der Debatte ab. Das wird Frank Schirrmacher durchaus, wenn auch nur im Ansatz, gerecht. Er hatte die Gabe, Debatten nicht auf der Höhe der, sondern vor ihrer Zeit zu führen. Wobei jeder Anspruch, Schirrmachers Erbe anzutreten, sowieso vergebens ist, denn mit den Zeiten haben sich die Debatten geändert. Längst ist die Aufbruchstimmung vorüber, aus der man eine utopische oder dystopische Zukunft lesen konnte (Schirrmacher tat beides). Auf den Digitalkonferenzen geht es derzeit um eine brutale Gegenwart.
Wer einen Einblick haben will, wohin die Zukunftsdebatten demnächst gehen, dem sei das Internetforum edge.org empfohlen. Das leitet der Wissenschaftsliteraturimpresario John Brockman, der für Schirrmacher immer eine wichtige Quelle war. Seit zwanzig Jahren stellte Brockman seinem Netzwerk aus Überfliegern, Künstlern und Nobelpreisträgern immer eine Frage des Jahres. In diesem Jahr beendete er das Projekt damit, alle selbst um eine letzte Frage zu bitten.
Wenn der Biologe David Haig fragt: „Welchen Nutzen haben 99 Prozent der Menschheit für das eine Prozent?“, ist das noch eine Frage, die auf aktuelle digitale Veränderungen der Gesellschaft abzielt. Doch wenn die Anthropologin Dorsa Amir fragt, ob die einfachsten Informationen wirklich auf der Neuronenebene des Hirns gespeichert werden, oder der Robotik-Experte Rodney Brooks, ob Bewusstsein zwangsläufig an einen physischen Körper gebunden ist, weiß man, dass die Wissenschaft das Thema der künstlichen Intelligenz schon sehr viel weiter denkt. Deswegen gehört das Ergebnis jedenfalls zu den anregendsten Leseströmen jemals. Womit man wieder bei Schirrmacher wäre.
ANDRIAN KREYE
Jakob Augstein (Hrsg.): Reclaim Autonomy. Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 189 Seiten, 16 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Frank Schirrmacher.
Foto: dpa
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Erbe
Ein Essayband beansprucht die
Deutungshoheit digitaler Debatten
Die Fragen, wie Wissenschaft und Technik Leben und Gesellschaft verändern, gehören zu den derzeit größten intellektuellen Herausforderungen, denen sich erstaunlich wenige Intellektuelle stellen. Einer der ersten, die das taten, war der 2014 verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Es war also nicht nur eine ehrfurchtsvolle Geste, sondern auch der Versuch einer programmatischen Fortführung, als der Verleger der Wochenzeitung Freitag, Jakob Augstein, ein Symposium zur digitalen Debatte Frank Schirrmacher widmete.
Daraus ist ein Band mit dem kämpferischen Titel „Reclaim Autonomy – Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung“ entstanden, der weit mehr Bestand hat als die bloße Dokumentation eines Symposiums. Ehrenwert ist das Projekt sowieso, denn ausgerechnet in Frank Schirrmachers journalistischer Heimat, dem Feuilleton der FAZ, werden sein Geist und sein Vermächtnis sehr auffallend geschleift.
Hier, das zeigt schon die Auswahl der Autoren, wird nahtlos an Schirrmacher angeschlossen. Es mag momentan seltsam wirken, dass Martin Schulz das Vorwort geschrieben hat. Aber das erinnert daran, dass Schirrmacher in Schulz einen Sparringspartner in der Politik gefunden hatte. Ansonsten liest man kritische Geister wie Yvonne Hofstetter und Saskia Sassen, die technisch versiert argumentieren, Constanze Kurz und Evgeny Morozov, die das politisch tun, die Ökonomin Shoshana Zuboff und den romanschreibenden Informatiker Daniel Suarez.
Auch mehr als ein Jahr nach dem Symposium bildet der Band den Stand der Debatte ab. Das wird Frank Schirrmacher durchaus, wenn auch nur im Ansatz, gerecht. Er hatte die Gabe, Debatten nicht auf der Höhe der, sondern vor ihrer Zeit zu führen. Wobei jeder Anspruch, Schirrmachers Erbe anzutreten, sowieso vergebens ist, denn mit den Zeiten haben sich die Debatten geändert. Längst ist die Aufbruchstimmung vorüber, aus der man eine utopische oder dystopische Zukunft lesen konnte (Schirrmacher tat beides). Auf den Digitalkonferenzen geht es derzeit um eine brutale Gegenwart.
Wer einen Einblick haben will, wohin die Zukunftsdebatten demnächst gehen, dem sei das Internetforum edge.org empfohlen. Das leitet der Wissenschaftsliteraturimpresario John Brockman, der für Schirrmacher immer eine wichtige Quelle war. Seit zwanzig Jahren stellte Brockman seinem Netzwerk aus Überfliegern, Künstlern und Nobelpreisträgern immer eine Frage des Jahres. In diesem Jahr beendete er das Projekt damit, alle selbst um eine letzte Frage zu bitten.
Wenn der Biologe David Haig fragt: „Welchen Nutzen haben 99 Prozent der Menschheit für das eine Prozent?“, ist das noch eine Frage, die auf aktuelle digitale Veränderungen der Gesellschaft abzielt. Doch wenn die Anthropologin Dorsa Amir fragt, ob die einfachsten Informationen wirklich auf der Neuronenebene des Hirns gespeichert werden, oder der Robotik-Experte Rodney Brooks, ob Bewusstsein zwangsläufig an einen physischen Körper gebunden ist, weiß man, dass die Wissenschaft das Thema der künstlichen Intelligenz schon sehr viel weiter denkt. Deswegen gehört das Ergebnis jedenfalls zu den anregendsten Leseströmen jemals. Womit man wieder bei Schirrmacher wäre.
ANDRIAN KREYE
Jakob Augstein (Hrsg.): Reclaim Autonomy. Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 189 Seiten, 16 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Frank Schirrmacher.
Foto: dpa
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»Auch mehr als ein Jahr nach dem Symposium bildet der Band den Stand der Debatte ab.« Andrian Kreye Süddeutsche Zeitung 20180210