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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Ein Jahr nach seinem Rücktritt erscheint ein Buch mit Sebastian Kurz / Von Stephan Löwenstein, Wien
Etwa ein Jahr ist es her, dass in Österreich Sebastian Kurz als Bundeskanzler zurücktreten musste. Anlass war die Inseraten- und Umfragenaffäre, in welcher die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Kurz, einige seiner Mitstreiter und seine Partei ÖVP aufgenommen hatte. Der grüne Koalitionspartner stellte die ÖVP vor die Alternative: Kurz oder die Koalition. Nun ist ein Buch erschienen, in dem Kurz seine Sicht der Dinge und seines Werdegangs darlegt, ein in Prosa gefasster Interviewband, niedergeschrieben von der Journalistin der "Kronen-Zeitung", Conny Bischofsberger.
Wer Enthüllungen von bislang völlig Unbekanntem oder überraschende Aussagen erwartet haben sollte, würde das Buch vermutlich enttäuscht nach knapp 240 Seiten zuklappen. Der Ton ist geprägt von Rechtfertigung und Kritik vor allem an den Medien, die sich für Nebensächlichkeiten interessierten oder Sachen gar völlig falsch darstellten. Ein Beispiel: Die "Message Control". Es sei nicht darum gegangen, die mediale Berichterstattung zu kontrollieren, sondern die Botschaften, die Partei und Regierung sandten. Dass interne Streitigkeiten nicht auf offener Bühne ausgetragen würden, sei für "manche" Journalisten neu gewesen.
Gewiss war mancher Vorwurf, vor allem zurzeit der "türkis-blauen" Koalition von ÖVP und FPÖ, Kurz schränke die Pressefreiheit ein, weit übertrieben. Aber umgekehrt vergisst Kurz zu erwähnen, dass er selbst die Methode, die Autorität der eigenen Parteiführung durch medial ausgetragene Uneinigkeit zu untergraben, zuvor ausgiebig genutzt hatte. So konnte er Reinhold Mitterlehner im Mai 2017 als ÖVP-Vorsitzenden ablösen. Mit anderen Worten, die Kontrolle der Botschaften war auch eine Konsequenz aus den eigenen Erfahrungen beim Aufstieg an die Partei- und Regierungsspitze.
Mehrere Kapitel über Persönlichkeiten der internationalen Politik wirken wie "Namedropping", mit dem Kurz vorweisen möchte, in welcher Liga er seinerzeit gespielt habe: Merkel-Putin-Trump-Xi. Freilich geht es dabei auch um wichtige Themen. Die Migrationspolitik etwa, in der Kurz seine Positionen verteidigt: "Die Flüchtlingskrise entstand vor allem dadurch, dass illegale Migration geduldet wurde und die Politik, anstatt gegen Schlepper vorzugehen, Menschen bei ihrem Versuch, bis nach Mitteleuropa zu gelangen, sogar noch unterstützt hat." Vage bleibt er hingegen beim Thema Russland. Er verurteilt natürlich die Aggression gegen die Ukraine, aber dass ein früheres hartes Auftreten gegenüber Russland etwas gebracht hätte, bezweifelt er - und schon gar nicht sei das die Rolle Österreichs, das ein "Ort des Dialogs" und des Brückenbauens sein müsse.
Bei den innenpolitisch "kitzeligen" Themen bleibt Kurz erst recht im Ungefähren. Da ist zum Beispiel das "Projekt Ballhausplatz". Unter dieser Überschrift sind schon 2017 Papiere bekannt geworden, in denen ÖVP-Leute minutiös Schritte für den Aufstieg von Kurz an die Spitze erst der Partei, dann der Regierung (der Ballhausplatz ist die Adresse des Bundeskanzleramts in Wien) vorausgedacht haben. Dazu gehörten auch Dinge wie die Platzierung bestimmter Umfragen (ÖVP mit Kurz gut, mit Mitterlehner schlecht) in Medien. Dergleichen hat ausweislich der berüchtigten Chats des Kurz-Helfers Thomas Schmid und anderer tatsächlich stattgefunden. Weil der Verdacht besteht, dass das Ganze mit Steuergeld aus dem Budget des Finanzministeriums finanziert wurde, kommt das "Projekt Ballhausplatz" auch in den Akten der Staatsanwaltschaft vor.
Nun steht dazu in dem Buch zweimal, dass dessen "Echtheit bis heute nicht geklärt" sei. Das ist ein Ärgernis, denn genau das sollte man, wenn schon Kurz als Autor auf dem Umschlag steht, erwarten dürfen: dass so etwas geklärt wird. Kurz hält dazu im Buch nur fest, dass er den Begriff "Projekt Ballhausplatz" das erste Mal in den Medien gelesen habe. Darüber, ob die Planungen von seinem Team stammen oder nicht, ist damit nichts ausgesagt. Tatsächlich dürfte jedenfalls ein Großteil der Papiere authentisch sein - aber welcher? Die Inseratenaffäre kommt überhaupt nicht vor. All das ist begründbar, denn schließlich läuft immer noch das Ermittlungsverfahren. Aber das mindert den Informationswert einer solchen Publikation.
Interessanter wird es bei den politischen Erwägungen. Sportlich nimmt Kurz, dass der Grünenvorsitzende ihn zum Abgang gezwungen hat: "Diese Ermittlungen bedeuteten eine taktische Chance für die Grünen, und diese Chance hat Werner Kogler genutzt." Fraglich sei, ob das der grünen Partei tatsächlich langfristig nütze. Spiegelbildlich dazu sein eigenes Verhalten nach Bekanntwerden der Ibizaaffäre: Die FPÖ war auch ohne ihren bisherigen Vorsitzenden Heinz-Christian Strache zum Weitermachen bereit, aber nicht ohne Herbert Kickl, der mit der Ibizaaffäre ja nichts zu tun hatte. Kurz bestand aber auf der Entlassung Kickls, so war er es, der die Koalition beendete. Ob das die richtige Entscheidung war, daran lässt er nun vorsichtig Zweifel erkennen.
Und was macht Kurz heute? Abgesehen davon, dass man ihn gelegentlich mit dem Kinderwagen im öffentlichen Park von Schloss Schönbrunn sehen konnte, hat er beim deutsch-amerikanischen IT-Unternehmer Peter Thiel angedockt. "Thiel ist überzeugter Republikaner, ein meinungsstarker Libertärer" äußert Kurz über den Milliardär, der den früheren amerikanischen Präsidenten Trump im Wahlkampf unterstützte. Was genau Kurz als "Global Strategist" für Thiel macht, bleibt unklar. Außerdem hat Kurz ein Beratungsunternehmen in Wien und ein Unternehmen für Investitionen im Gesundheitsbereich zusammen mit Alexander Schütz. Am Donnerstag wurde eine weitere Unternehmung bekannt, gemeinsam mit dem Israeli Shalev Hulio. Der war früher Chef der Firma, die die Spionagesoftware "Pegasus" herstellte. Nun soll es aber um den Schutz kritischer Infrastruktur gehen. Zu den Interessenten in diesem Bereich hat der vormalige Spitzenpolitiker ohne Zweifel gute Kontakte.
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