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Zur Regierungspraxis von Koalitionen in den Ländern
Sabine Kropp: Regieren in Koalitionen. Handlungsmuster und Entscheidungsbildung in deutschen Länderregierungen. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000. 320 Seiten, 58,- Mark.
Sabine Kropp betritt weitgehend unbearbeitetes Neuland mit dem Thema, die Regierungspraxis von parteipolitischen Koalitionen zu untersuchen. Sie kombiniert dabei durchaus akteursspezifische mit institutionentheoretischen Ansätzen. Ihre Sprache ist weitgehend aus den Theorien rationalen Handelns abgeleitet. Anhand von Haushaltsentscheidungsprozessen werden Handlungsmuster und Entscheidungsbildung in Koalitionsregierungen auf Länderebene analysiert.
Drei Regierungen der neunziger Jahre dienen als Fallbeispiele: die CDU/SPD-Koalition in Thüringen (1994-1999), die rot-grüne und von der PDS tolerierte Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt (1994-1998) sowie die SPD/FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz (seit 1996). Alle drei Hauptakteure, die Ministerpräsidenten Vogel, Höppner und Beck, sowie die Koalitionskonstellationen in den Landesregierungen könnten unterschiedlicher kaum sein, was für die Auswahl der Fallbeispiele zur Beweisführung spricht. Analysiert werden Parlamentsprotokolle, Koalitionsvereinbarungen, Ausschußsitzungen. Eine Vielzahl von Gesprächen mit zentralen Akteuren auf Länderebene in den drei Bundesländern ergänzen die Auswertungen.
Wer Politik nicht nur durch institutionelle oder ökonomische Strukturen, sondern auch durch handelnde Politiker erklären möchte, den überrascht nicht jedes Ergebnis der Studie. Denn Kropp kann präzise nachweisen, daß die Koalitionsakteure allemal "lernende Akteure" sind, die mit ihrem persönlichen Führungsstil das Koalitionsgeschehen maßgeblich beeinflussen. Nur so ist erklärbar, warum die mittlerweile große parteipolitische "Buntheit" auf Länderebene in Deutschland alltagspraktisch funktioniert.
Gerade die Vielfalt der Koalitionsbündnisse auf Länderebene verschafft beispielsweise dem Bundeskanzler wiederum Spielraum, um parteipolitische Blockbildungen durch interessenorientierte Netzwerke aufzubrechen: Sachkoalitionen ersetzen Parteibündnisse. Dominant bleibt immer der große Koalitionspartner. So beschrieb beispielsweise Kanzler Schröder sein Koalitionsverständnis vor einiger Zeit mal als "das Verhältnis zwischen Koch und Kellner". Der Koch ist unentbehrlich, er bestimmt Menü und Geschmack. Der Kellner ist leicht austauschbar. Er ist Zuträger, Botengänger und den Launen des Publikums ausgesetzt. Kropp kann zeigen, daß derartige Handlungsmuster auf Länderebene keineswegs statisch angelegt sind. Gerade um persönliche Freiräume zur Ausgestaltung von Regeln und Rollen einzugrenzen, werden institutionelle Vorkehrungen getroffen. Eine der wichtigsten Ressourcen stellt dabei die Koalitionsvereinbarung dar. Sie enthält Regieanweisungen und bietet eine Verläßlichkeitsgewähr. Als strategische Selbstbindung sieht sie manchmal sogar Regelungen für mögliche Streitfälle vor.
Koalitionen zwischen politischen Parteien sind Zweckbündnisse auf Zeit. Sie entspringen zumeist einem doppelten Kalkül: die rechnerische Mehrheit im Parlament soll zur Regierungsarbeit gesichert werden, und wichtige zentrale Reformprojekte sind für die Legislaturperiode nur gemeinsam zu erreichen. Dennoch gehört der Streit der Koalitionspartner ebenso zum politischen Alltag wie der Kompromiß als wesentliche Entscheidungsregel. Die Verfasserin kann mehrere Handlungsmuster herausarbeiten, wie solche Kompromisse der Konsensbildung in den Länderkoalitionen aussehen, wobei es kein Nullsummenspiel ist, sondern in unterschiedlichen Handlungsarenen klare Gewinner und Verlierer erkennbar sind.
Am Ende der Untersuchung problematisiert Sabine Kropp die Frage nach der Demokratieverträglichkeit von Koalitionsbeziehungen. Denn als dominantes Verhandlungsmuster konnten gerade die informellen Gremien, die individuellen Abstimmungen zwischen den Chefs der Koalitionsparteien und ihrer Emissäre nachgewiesen werden. Kleine entscheidungsfähige Gremien tragen zur Effizienzsteigerung des Regierungshandelns bei, bleiben jedoch unter Legitimitätsanforderungen fraglich.
Die Akteure sind durch eine Vielzahl von Rückkopplungen zwischen Fraktionsführungen mit der Fraktion eingebunden. Sie sind unter dem Gesichtspunkt der Repräsentativität ohnehin in das Parteiwerk eingebunden. Mehr Öffentlichkeit würde auch in der Koalitionspraxis schaden, so die Autorin. Denn das Mischungsverhältnis von kooperativen und kompetitiven Interaktionsmustern käme dadurch aus dem Gleichgewicht. Die kompetitiven, mithin einigungshemmenden Beziehungsmuster würden durch größere Transparenz gestärkt. So bleibt die Studie ein hilfreicher Steinbruch, um zukünftig Koalitionshandeln auf Länderebene in ihrem alltäglichen Erscheinungsbild systematisch zu bewerten.
KARL-RUDOLF KORTE
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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