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5 Kundenbewertungen

»Ein furchtloser Roman über Mittäterschaft und darüber, wie aus dem kleinen Bösen das große Böse wächst. Kann man denn über das ›Dritte Reich‹ erzählen? Die Frage wird oft gestellt, nicht zu Unrecht. Nora Bossong beantwortet sie mit diesem großartigen Buch, indem sie es tut – vielschichtig, besonnen und erbarmungslos.« Daniel Kehlmann
Als Hans die junge und schöne Stiefmutter seines Schulfreunds Hellmut Quandt kennenlernt, ahnt er noch nicht, welche Rolle Magda in seinem Leben spielen wird, für ihn persönlich, aber auch Jahre später als fanatische Nationalsozialistin und Vorzeigemutter
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Produktbeschreibung
»Ein furchtloser Roman über Mittäterschaft und darüber, wie aus dem kleinen Bösen das große Böse wächst. Kann man denn über das ›Dritte Reich‹ erzählen? Die Frage wird oft gestellt, nicht zu Unrecht. Nora Bossong beantwortet sie mit diesem großartigen Buch, indem sie es tut – vielschichtig, besonnen und erbarmungslos.« Daniel Kehlmann

Als Hans die junge und schöne Stiefmutter seines Schulfreunds Hellmut Quandt kennenlernt, ahnt er noch nicht, welche Rolle Magda in seinem Leben spielen wird, für ihn persönlich, aber auch Jahre später als fanatische Nationalsozialistin und Vorzeigemutter des »Dritten Reichs«. Noch ist die Weimarer Republik im Aufbruch und Hans so heftig wie hoffnungslos in Hellmut verliebt. Doch nach einem Unglücksfall beginnen Hans und Magda eine Affäre, von der sie sich Trost und Vorteile versprechen: Sie will aus ihrer Ehe ausbrechen, er seine Homosexualität verbergen. Erst als Magda Joseph Goebbels kennenlernt und der NSDAP beitritt, kommt es zwischen Hans und ihr zum Bruch. Während Magda mit ihren Kindern bald in der Wochenschau auftritt, gerät Hans zunehmend in Gefahr. Ein Roman, der über zwanzig Jahre den Weg zweier Menschen und eines Landes erzählt, der nicht unausweichlich war.

Nora Bossong zeichnet in ihrem neuen Roman das intensive Porträt der Frau, die Magda Goebbels wurde, und ihres jungen Liebhabers. Zwei Menschen in der Maschinerie der historischen Ereignisse, unterschiedlich verstrickt, unterschiedlich schuldig geworden. Auch an sich selbst.


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Autorenporträt
Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, schreibt Lyrik, Romane und Essays, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde, zuletzt mit dem Joseph-Breitbach-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis. Nora Bossong lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Bitterböser Verriss! Allein weshalb Nora Bossong nun ausgerechnet einen Roman über Magda Goebbels schreiben musste, ist dem Rezensenten Jens Jessen ein Rätsel. Aber das Ergebnis unterbietet seine Erwartungen. Nichts, was nicht Wikipedia über Goebbels, das "It-Girl des Dritten Reiches" verrät, enthält dieser Roman, seufzt er: Alles was anstößig sein könnte oder über Altbekanntes hinausgeht, wurde getilgt, meint Jessen. Dass sich Bossong wenig für ihre Hauptfigur interessiert und dafür deren Liebhaber, den Studenten Kesselbach, ins Feld führt, der sich nachts im Berliner Schwulenmilieu der Dreißiger und Vierziger herumtummelt, könnte der Kritiker zwar verzeihen. Aber selbst hier werden nur Bilder aus Filmen von Cabaret bis Babylon Berlin wiedergekäut, klagt er. Jessen kann sich Bossons Impuls, diesen Roman zu schreiben nur so erklären: Entweder sie hat einfach ein Treatment für einen Film, der bei Fördergremien gut ankommt, verfasst. Oder schlimmer noch: Das Buch ist von einer KI verfasst wurden - stilistisch würde es den Rezensenten nicht wundern. Wir ahnen es: Keine Leseempfehlung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2024

Gebannt vom Meisterspiel der Täuschung

Das Buch ist 126 Seiten alt, da taucht er doch noch auf: "Seine Miene ist nicht so düster wie auf den Plakaten, er lauscht aufmerksam der Musik, tritt einen Schritt näher und blickt mir über die Schultern auf die Finger. Schubert, sage ich. Es geht zu Herzen, antwortet Hitler."

Natürlich war er zuvor schon immer präsent, denn wer einen Roman über eine der prominentesten Frauen der NS-Zeit schreibt, setzt dessen Handlung unvermeidlich in den Schatten Hitlers. Aber als er dann persönlich auftritt, lang erwartet, doch zuvor nie erwähnt, ist das ein kleines Virtuosenstück, weil es eben so beiläufig geschieht. Wobei Nora Bossong um die Wirkung nur zu genau weiß, platziert sie den zitierten Auftritt doch am Ende eines Kapitels, sodass der Name nachhallt in die Zäsur der Lektüre.

"Reichskanzlerplatz" heißt ihr Roman, und schon der Titel könnte die Erwartung wecken, es ginge um Hitler. Aber das ist eine der vielen geschickten Täuschungen in Bossongs literarischem Spiel, denn der Reichskanzlerplatz in Berlin hatte mit der NS-Regierung gar nichts zu tun - die benannte ihn sofort 1933 um in Adolf-Hitler-Platz, weil der alte Name auch die Regierungschefs aus den von den Nazis als "Systemzeit" geschmähten anderthalb Jahrzehnten der Republik ehrte. Nach dem Krieg bekam der Platz seine alte Bezeichnung zurück, ehe er 1963 dann jenen Namen erhielt, unter dem er sich zum Verkehrsknotenpunkt von Westberlin entwickelte: Theodor-Heuss-Platz. Aber dass diese neuralgische Adresse nun einen Romantitel abgibt, verdankt sich allein einer Anwohnerin, die dort 1931 einzog. Und so ist der von Nora Bossong für ihre Geschichte gewählte Titel genauso ein reines Stimmungsphänomen wie der Auftritt Hitlers.

Der Name der Anwohnerin am Reichskanzlerplatz? Sie trug viele. Als sie einzog, hieß sie Magda Quandt, bald danach Magda Goebbels, geboren wurde sie 1901 unter dem Familiennamen ihrer damals unverheirateten Mutter, Behrend, nach deren Eheschließung wurde daraus Friedländer und 1920 Ritschel (der Name des biologischen Vaters von Magda, denn einen jüdisch klingenden wollte sie nicht mehr). Diese Frau wechselte ihren Namen noch häufiger als der Reichskanzlerplatz. Und doch ist auch sie nicht die Hauptfigur dieses Romans.

Das scheint Hans Kesselbach zu sein, ihr sieben Jahre jüngerer Geliebter und der Icherzähler von "Reichskanzlerplatz". Magda Quandt lernte er als Gymnasiast kennen, weil sie die Stiefmutter eines Klassenkameraden war, in den er sich verliebte, und die gleichzeitige Faszination des homosexuell affizierten Halbwüchsigen für die noch junge Frau macht Bossong mehr durch dessen Irritation als durch juvenile Schwärmereien deutlich. Er beobachtet diese Dame der Gesellschaft, reich verheiratet und von den beiden Freunden mit der erotisch konnotierten Bezeichnung "Madame Quandt" bedacht, die wie auf einer Bühne agiert - der geliebte Freund sagt über seine Stiefmutter, "dass Madame Quandt auch unseren Namen nur wie eine Maske trägt". Das ist schon auf Seite 17 des Romans zu lesen, auch an einem Kapitelende. Und so ist früh der Ton gesetzt für das, was von Hans Kesselbach über Magda Quandt/Goebbels erzählt wird. Und über sich selbst.

Nora Bossong war mit ihrem Vorgängerroman "Schutzzone" vor fünf Jahren die literarische Aufsteigerin in Deutschland: Kranichsteiner Literaturpreis, Wilhelm-Lehmann-Preis, Thomas-Mann-Preis, Joseph-Breitbach-Preis - alles innerhalb nur eines Jahres. "Schutzzone" erzählte aus der Perspektive einer Mitarbeiterin der Vereinten Nationen über das Dilemma, Politik, Moral und Privates in Übereinstimmung zu bringen. Das hätte auch das Grundthema von "Reichskanzlerplatz" werden können (und der Klappentext behauptet so etwas Ähnliches), aber Bossong ist an anderem interessiert: der allmählichen Verfertigung einer Persönlichkeit beim Leben. Und einem Sittenbild (im buchstäblichen Sinne) aus nachtschwarzer Epoche. Die eigentliche Hauptfigur dieses Romans ist eine imaginäre: das Fremdbild einer Frau, das nichts zu tun hat mit deren Realität. Und deshalb vom Urheber auch immer wieder selbst in Zweifel gezogen wird. "Weniges wollen wir so sehr wie betrogen werden", sagt sich der Icherzähler, "und Meisterschaft bedeutet ja nichts anderes, als zu wissen, wie man täuscht."

Das gilt auch für Nora Bossong. Ihr Hans Kesselbach sieht die charakterlichen Schwächen von Magda Quandt schon, bevor sie Magda Goebbels wird. Aber es rettet ihn nicht: Bossong beschreibt die charakterlichen Schwächen ihres Icherzählers. Denn der ist zwar ein Außenseiter, passt sich aber doch ins Gefüge seiner jeweiligen Umgebungen ein und gibt eigene Überzeugungen auf, wenn es die Umstände erfordern. So wird "Reichskanzlerplatz" zum Porträt der deutschen Gesellschaft in prekärer Zeit, zur Studie eines autonom scheinenden Charakters, der sich den Autoritäten beugt. Und der das weiß, weshalb der Zweifel auch ihm selbst gelten muss.

In gewisser Weise ist Hans Kesselbach als literarische Figur dadurch ein Erbe Adrian Leverkühns. Man kann sagen, dass Nora Bossong als seit Langem in Berlin lebende Autorin über große Kenntnisse der Hauptstadt verfügt, die ihrem Buch zugutekommen, die Sprache aber aus Lübeck hat - in ihrer Dankesrede zum Thomas-Mann-Preis gab sie eine Liebeserklärung ans literarische Vorbild des Namensgebers der Auszeichnung ab (F.A.Z. vom 14. Juni 2021). Der Tonfall ihrer Prosa in "Reichskanzlerplatz" ist erkennbar daran geschult - was sich ja auch stilistisch angesichts der Handlungszeit auch anbietet. Wobei die Prosa allerdings auch bisweilen in ein Thomas Mann fremdes hohles Pathos abgleitet: "Ich spürte jenen dunklen Sog, den Schwindel beim Blick in den Abgrund, der uns entsetzt und dem wir uns deshalb umso hemmungsloser hingeben, und im Fallen stoßen wir an die grausamen Mächte in uns."

Zum Zeitpunkt der Handlung, als dieser Satz fällt, ist Magda Quandt mit Joseph Goebbels verheiratet. Diese durch die hohe Zahl der gemeinsamen Kinder (fünf Töchter, ein Sohn) und deren schreckliche Schicksale (vor dem Suizid ihrer Eltern wurden sie alle im Berliner Führerbunker vergiftet) seinerzeit wie heute prominenteste Familie des "Dritten Reichs" spielte vor fast dreißig Jahren schon einmal eine Rolle in einem herausragenden deutschen Roman: Marcel Beyers "Flughunde" aus dem Jahr 1996. Bossong nun nimmt nicht nur eine Fokussierung auf Magda Goebbels vor, sondern sie spart auch das Ende der Familie aus; die erzählte Geschichte endet 1944. Das ist mutig, denn die erwartbare Katharsis des Untergangs entfällt. Auch darin erliegen wir einer meisterhaften Täuschung.

Nora Bossong hat ihren Erzähler an einer realen Person orientiert: Fritz Gerber, einem Liebhaber Magda Goebbels, über den wenig bekannt ist. Wie auch so ziemlich alles, was im Roman von Magda Goebbels berichtet wird, jene Lücken füllen muss, die dieses Leben hinterlassen hat - es gibt außer ihrem Abschiedsbrief keine schriftlichen Selbstzeugnisse.

Diesen Brief schrieb sie ihrem an der Front stehenden Sohn aus erster Ehe. Harald Quandt sollte nach 1945 einer der einflussreichsten deutschen Wirtschaftskapitäne werden, aber darüber verliert "Reichskanzlerplatz" nur zwei Sätze, allerdings seine beiden letzten. Was Nora Bossong an den Schluss ihrer Abschnitte setzt, verdient Beachtung. Denn dort eröffnet sie weitere Erzählungen, die über den eigentlichen Inhalt ihrer Geschichte hinausgehen. ANDREAS PLATTHAUS

Nora Bossong:

"Reichskanzlerplatz".

Roman.

Suhrkamp Verlag,

Berlin 2024.

296 S., geb., 25,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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»Nora Bossong traut sich was.« Tilman Krause DIE WELT 20240813

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2024

Deutsche
Banalitäten
Nora Bossong staffiert Magda Quandt,
die spätere Frau des NS-Propagandaministers
Goebbels, zur Romanfigur aus. Der raunend
vereinfachende Ton ihres Buchs ist
nur eins seiner Probleme.
VON HILMAR KLUTE
Im Wikipedia-Eintrag über Magda Goebbels gibt es eine Stelle, in die man als Schriftsteller vermutlich intuitiv hineingrätscht, sofern man sich die Frau des Reichspropagandaministers zur Romanfigur ausstaffieren möchte. Während ihrer unglücklichen Ehe mit dem Industriellen Günther Quandt unterhielt Magda eine Affäre mit einem Studenten, dessen Name dort nicht genannt wird. Andere Quellen legen nahe, dass dieser junge Mann Fritz Gerber geheißen haben könnte, aber Genaues weiß man nicht.
Wo das Ungenaue hinreichend Platz zum Raunen, Mutmaßen und zur Leerstellen-Möblierung lässt, lässt sich umstandslos ein fiktiver Protagonist kneten. In Nora Bossongs Roman „Reichskanzlerplatz“ heißt der junge Mann Hans Kesselbach. Er ist unglücklich in Magda Quandts Stiefsohn Hellmut verliebt, mit dem er in dieselbe Klasse geht. Nach dessen qualvollem Tod in Paris beginnt Hans aber eine Affäre mit Magda, bei der ihm seine Homosexualität insofern hilfreich ist, als er während des Treffens im Stundenhotel am Savignyplatz an Hellmut sowie an den Transvestiten Lulu denkt, den er bei seinen abendlichen Streifzügen durch das schwule Babylon Berlin kennengelernt hat. Die erotische Stunde wird auch erzählerisch in dezentem Halbdämmer inszeniert, warum sie überhaupt stattfindet, bleibt genauso ungeklärt wie der Umstand, dass die Liaison recht bald von Magda Quandt aufgelöst wird. So wie eigentlich sehr vieles in diesem doch so ambitioniert faktenstolzen Buch am Ende rätselhaft bleibt, die Wirkungsabsicht der Erzählerin eingeschlossen.
Vielleicht ist Nora Bossong während des Schreibens bewusst geworden, dass sie im Begriff ist, sich an ihrem Gegenstand zu verheben. Möglicherweise aber in dem eher gegenläufigen Sinn, dass Biografie und Persönlichkeit der von Ehe zu Ehe reisenden Magda Goebbels aus derart dünnem Stoff gewebt sind, dass sich daraus kein interessantes literarisches Biopic zuschneiden lässt. Denn nur so ist es erklärlich, dass Bossong vor allem die künstlich vertrackt gehaltene Geschichte des jungen Offizierssohns Kesselbach erzählt, der als Schwuler ein Leben unter dem Radar des NS-Alltags führen muss, gleichwohl aber seinen Weg bis ins deutsche Konsulat nach Mailand einschlagen und gewissermaßen als selbsterklärter, gleichwohl gescheiterter Schutzengel der zusehends in den Bann des hinkenden Joseph Goebbels geratenden Magda firmieren kann. „Meine Fußnote in der Geschichte wird die eines Mannes sein, der Magda Quandt so wenig zu unterhalten verstand, dass sie zu Magda Goebbels wurde.“
Im Umkehrschluss heißt das, Frau Quandt hätte einfach mehr Entertainment benötigt, um von ihrem Weg zur Reichsmutter, die ihre sechs Kinder zur Götterdämmerung in den Tod schickt, abzusehen. Das ist ein Elend dieses Buchs: Die Sätze darin sollen nach großem Geheimnis klingen, fallen aber nach mehrmaligem Lesegebrauch in sich zusammen.
Überhaupt, diese Magda Goebbels und wie sie noch geheißen hat, seit sie zunächst als uneheliche Tochter eines Dienstmädchens auf die Welt kam, welches später einen jüdischen Unternehmer namens Richard Friedländer heiratete, ehe die heranwachsende Magda während einer Zugfahrt den Industriellen Günther Quandt kennenlernte. Quandt zählte später zu den ersten Zuhörern von Hitlers radikalen Reden im Berliner Hotel Kaiserhof und war rasch willens, viel Geld für den neuen Hoffnungsträger der Republikgegner locker zu machen.
Gleich im zweiten Kapitel wird Magdas Ehebiografie in einer Art Quiz-Dialog referiert. Hellmut und Hans werfen sich die Fakten zu („Weißt du, wie sie früher hieß?“) und im Handumdrehen hat der Leser eine hilfreiche Lebensskizze zur Hand: Magda Quandt, geborene Ritschel, geschiedene Friedländer, mehr muss man tatsächlich nicht wissen, denn sehr viel mehr erzählt auch Nora Bossong nicht von dieser Frau, deren Haus am titelgebenden Reichskanzlerplatz vom geschiedenen Herrn Quandt finanziert wird.
Einmal liest Hans ihr im Bett aus einem Aufsatz von Walter Benjamin vor. Welchen? Egal, es zählt der Name, der Dekor, die Staffage in diesem Buch, das über weite Strecken vor allem zahllose Belege für die Google- und Lesemühen der Autorin liefert. Das klingt dann entweder so: „Die Weimarer Republik mit ihren kleinteiligen Parteien und Anliegen hatte sich nicht bewährt in dieser Zeit, in der eine Wirtschaftskrise auf die nächste folgte“ oder so: „Die Rheinlandbesetzung lockte auch in den folgenden Wochen weder Frankreich noch Großbritannien aus der Reserve“ und zu Beginn des dritten Kapitels liest man auch dies hier: „Von Mailand ist es nicht weit in die Schweiz“. Was wäre die deutsche Literatur ohne Google Maps!
Es ist immer ein bisschen ungerecht, sprachliche und stilistische Unglücke aus der warmen Romanbehaglichkeit ins kalte Licht der Textexegese zu ziehen. Aber „Reichskanzlerplatz“ besteht zu einem sehr großen Teil aus derart mühsamen Anverwandlungen historischer Befunde, auf welche die Erzählerin, hätte sie Vertrauen in ihren Stoff gefasst, ohne Weiteres hätte verzichten können. Aber die nur kursorisch durchdrungene politische Wirklichkeit jener Jahre zwingt die Autorin, immer wieder Haltegriffe in Gestalt banaler Erklärformeln anzubringen.
Man bekommt lesend den Eindruck, dass der Roman ursprünglich anders gedacht war, als er nun leider geworden ist. Nora Bossong hat sich vorgenommen, die Geschichte einer Verführten über die Bande einer Nebengeschichte zu erzählen, die ihr am Ende zur Hauptgeschichte geriet. Die NS-Zeit mit ihren unbeschreiblichen, gleichwohl wieder und wieder beschriebenen Schrecken wird wie ein ungemütliches Wetter hinter verschlossenen Fensterläden wahrgenommen. Die Dialoge, mit denen notdürftig in die Köpfe der Verantwortlichen geleuchtet werden soll, sind von der Art der historischen Rollenspiele in RTL-Dokus.
Nora Bossongs Roman scheitert zum einen an der Sprache, die keine Höhenflüge kennt, sondern irgendwo zwischen Seminarreferat und missglückter Dichterschulenabschlussarbeit trudelt. So kann es geschehen, dass sich bei Bossong Dinge „wie Puzzle“ zusammenfügen, Gebäude dagegen „wie Kartenhäuser“ einstürzen und Vorgänge sich endlos „anfühlen“. Die Phrasendurchlässigkeit in diesem Buch ist bestürzend. Sie macht die Lektüre der ohnehin zähen Geschichte zu einem qualvollen Unternehmen.
Schwer begreiflich ist zudem, dass sich Nora Bossong den Kunstgriff entgehen lässt, die historischen Figuren dieses Romans literarisch neu einzukleiden. Warum unterlässt sie es, von Joseph Goebbels eine kühne Nahaufnahme zu machen und den „Österreicher“, wie Hitler im Munkelton genannt wird, als dämonischen Nebenbuhler, der er offenbar gewesen ist, in ein grelles Licht zu setzen? Stattdessen geht dem Führer die Musik von Franz Schubert „zu Herzen“, und Goebbels „musste sich über alles erheben, weil er sich selbst so unerträglich nichtig fühlte“. Mag ja so sein, aber der Mann war immerhin Dämon und Massenmörder genug, um ihn für derlei küchenpsychologische Übereinkunftsangebote untauglich zu machen. Man könnte den Verdacht hegen, Nora Bossong habe ihre Figuren aus zweiter und dritter Hand bekommen.
Gegen Ende des Romans trifft Hans den noch vom Reichskanzler Franz von Papen abgesetzten letzten Ministerpräsidenten der Provinz Preußen, Otto Braun, der auch noch ein paar Handreichungen zur Lage gibt, wobei seine Hände, Braun pflegt seinen Gemüsegarten in Ascona, „rau vom Jäten“ sind. Dem jungen, immerhin recht kessen Kesselbach sagt der in die Schweiz emigrierte Braun: „In Weimar haben wir gedacht, wir könnten mal eben so die Demokratie einführen.“ Und spätestens da versteht man zumindest ein Unterprinzip dieses Erzählens: Das Komplexe soll auf die Dimension der simplen Verstehbarkeit reduziert werden, Nora Bossong gibt die Seriosität ihrer Erzählerstimme einer vermeintlichen Griffigkeit preis.
Die unglückliche Folge davon ist die Implosion des Romans, der seinen leider auch sehr langweiligen Helden von hier nach dort, also von Berlin nach Mailand und von nach Ascona nach Pritzwalk schickt, wo die Quandts in einem Mausoleum begraben sind. Und wo Hans am Schluss noch einmal kurz zusammenfasst, um was und wen es in diesem Buch ging. Oder hätte gehen sollen.
Es gibt ein eigentlich ganz hübsches Bild in diesem Roman, eine Szene, die Nora Bossong so erzählt: „Madame Quandt blickte auf und sah mich durch die Glasscheibe hindurch an. Ihre Lippen formten ein Wort, aber ich verstand nicht, welches es war.“ So ähnlich mag es einem ergehen, wenn man „Reichskanzlerplatz“ liest.
Wäre der Liebhaber besser
gewesen, hätte sie sich dem
Bösen nicht verschrieben?
Nora Bossong:
Reichskanzlerplatz.
Roman. Suhrkamp, Berlin 2024. 290 Seiten,
25 Euro.
Massenmörder genug, um
eigentlich nicht mehr durch Küchenpsychologie erklärbar
zu sein: Oben der
NS-Propagandaminister Josef Goebbels, seine Frau Magda und deren Sohn aus früherer Ehe, Harald Quandt, in Bayreuth 1934. Die Schriftstellerin
Nora Bossong (unten).
Fotos: Scherl / SZ Photo;
IMAGO/FabianxStrauch
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