Wortgewaltig, flott zu lesen, spannendes Projekt
10 Schiftsteller:innen schreiben einen Reigen sexueller Begegnungen, kleine Geschichten, die wie ein Fackellauf immer eine der Personen der letzten Geschichte zur Neuen mitnimmt.
1903 wurde „Der Reigen“ von Arthur Schnitzler geschrieben. Es gab
einen Aufruhr, erotische Begegnungen, die mit klarer Moralfreiheit stattfanden. Die geltenden Werte von…mehrWortgewaltig, flott zu lesen, spannendes Projekt
10 Schiftsteller:innen schreiben einen Reigen sexueller Begegnungen, kleine Geschichten, die wie ein Fackellauf immer eine der Personen der letzten Geschichte zur Neuen mitnimmt.
1903 wurde „Der Reigen“ von Arthur Schnitzler geschrieben. Es gab einen Aufruhr, erotische Begegnungen, die mit klarer Moralfreiheit stattfanden. Die geltenden Werte von ehelicher Treue, Verdammung der Prostitution, kein Sex ohne Ehe, Keuschheit als Ehre sind in all diesen Begegnungen durchbrochen. Das Ganze ist munter flockig geschrieben. Lässt sich leicht und schnell lesen und hallt doch nach. Obwohl kurz, sind die Personen prägnant, allein durch ihre Beschreibung wie das süße Mädel, der junge Herr, der eigenen Persönlichkeit beraubt, aber irgendwie in die Allgemeingültigkeit hinübergerutscht.
Im neuen Reigen nun werden die 10 Szenen nicht als Theaterstück, sondern als Prosa geliefert. Und es sind 10 Schriftsteller:innen, die sich jeweils eine Person übergeben, die in der nächsten Szene eine der Hauptrollen spielt. Eine ganz wunderbare Idee.
Optisch ist das Buch ein Genuss – ein fest gebundenes Buch in knalligem Lila mit grafischen schwarz-weiß-Mustern, die sich auch zwischen den einzelnen modernen Szenen wiederholen, es ist eine Freude, in diesem Buch zu blättern. Witzig finde ich auch diesen rosalilafarbenen Ton für die Seiten des Originals von Schnitzler. Also optisch und haptisch ganz großes Kino!
Auch die Auswahl der Schriftsteller:innen – sehr, sehr gut. Sie sind durch die Bank wortgewaltig und sprachgewandt, eine wirkliche Freude.
„Ihr Blick, ein dunkles Strahlen (in ihn hinein, durch ihn hindurch, um ihn herum durch den ganzen Raum voller unsichtbarer Grenzen)“ Thomas Stangl
„Der Mond hat Löcher, weil wir so oft hineingegriffen haben.“ Barbara Rieger
„Unter ihrem Mantel wartet ein Gewitter“ Martin Peichl
Sätze, die mir beim Lesen Vergnügen bereiten, mich zum Schnurren bringen, so klar und plastisch sind die Bilder.
Was ich ein bisschen vermisst habe – Schnitzlers Stücke setzen sich mit der Sexualmoral seiner Zeit auseinander. Die heutigen greifen da für mich ein wenig zu kurz. Ich will wissen, wie ist das heute, wir haben diesen einfachen Kodex nicht mehr, fremdgehen ist igitt, als Jungfrau in die Ehe anstrebenswert, das ist so in dieser Einfachheit vorbei. Für mich bietet unsere Gesellschaft heute subtilere Fragen, wenn wir „fremdgehen“ geht es um die Art wie wir das miteinander leben. Wenn wir Sex ohne Ehe haben, geht es nicht nur um die Ausschließlichkeit, sondern auch darum, uns immer wieder neu füreinander zu entscheiden. Und da sind die Szenen – allerdings auch wie bei Schnitzler, also sehr originalgetreu, ausnahmslos Begegnungen von Menschen, die sich nicht wirklich begegnen, die sich verstellen, die einer Erfüllung hinterherlaufen, die sie selbst nicht mehr als erreichbar empfinden.
Insgesamt also ein wirklich sehr empfehlenswertes Buch und vielleicht schreibt mir ja mal jemand noch eines zu meinen Wünschen nach Auseinandersetzung….