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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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Julius Margolins Buch über das Leben im GULag
Die Geschichte, die Julius Margolin zu erzählen hat, ist unglaublich, schmerzhaft und bewegend. So sehr, dass man sich wundert, wie dieser leidgeprüfte Mann seinen feinen Humor bewahren konnte. "Ich bin nicht mit Intourist nach Russland gefahren und auch nicht in einer dunklen Nacht über die Grenze gegangen", schreibt er im Vorwort seiner "Reise in das Land der Lager": "Ich war Tourist einer dritten, ganz besonderen Art." In diesem Buch beschreibt Margolin die sechs Jahre seiner Haft in einem sowjetischen Lager am Weißmeer-Ostsee-Kanal. Lange war dieses Buch vergessen, und als es 1965 erstmals in Deutschland erschien, waren einige Kapitel weggelassen worden. Nun liegt es vollständig und in einer neuen Übersetzung vor.
Margolin wurde 1900 in Pinsk geboren, das zwischen 1921 und 1939 zu Polen, dann zur Sowjetunion gehörte. Pinsk war typisch für eine lebendige multiethnische und -konfessionelle Kultur. Die Stadt war bis zum Zweiten Weltkrieg jüdisch geprägt, und auch Margolin stammt aus einer gebildeten jüdischen Familie. 1929 promovierte er zu einem philosophischen Thema in Berlin, lebte dann mit seiner Frau im polnischen Lodz. Als überzeugten Zionisten zog es ihn 1936 nach Palästina. Als er 1939 in seine ehemalige Heimat reiste, um Verwandte zu besuchen, wurde ihm das zum Verhängnis. Am 1. September hatte Deutschland Polen überfallen. Aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes besetzten die sowjetischen Streitkräfte den Osten Polens, so auch die Stadt Pinsk. Als überzeugter "Westler" und polnischer Staatsbürger war Margolin den Sowjetbehörden ein Dorn im Auge. Er wurde verhaftet und zusammen mit Tausenden Gefangenen in den Norden Russlands verfrachtet, zu den Ufern des Onegasees.
Beschreibungen des Lagerlebens nehmen den Großteil des Buches ein. Margolin liefert eine Studie des GULags, beschreibt den Alltag, die Arbeitsabläufe, die Machtverhältnisse unter den Häftlingen und Behörden. Er führt vor Augen, wie das GULag-System die Identität der Häftlinge zerstörte und woran Gefangene sich klammerten, um ein Stück ihrer Individualität zu erhalten. Nach Kriegsende wird Margolin schließlich entlassen. 1946 kann er nach Tel Aviv zurückkehren, zu seiner Familie, die die ganze Zeit im Unklaren über sein Schicksal gewesen war. 1949 erscheint sein Bericht auf Französisch, 1952 in den Vereinigten Staaten auf Russisch, sechzehn Jahre bevor Alexander Solschenizyn mit seinem Roman "Der erste Kreis der Hölle" der Weltöffentlichkeit das GULag-System vor Augen führte.
Margolins Buch ist ein herausragendes Zeitdokument, ein Zeugnis großer menschlicher Stärke, nie verbittert, immer den Weg zur Hoffnung suchend. Es ist ein großes Glück, dass es nun vollständig zu lesen ist.
INGO PETZ
Julius Margolin: "Reise in das Land der Lager".
Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 638 S., geb., 39,- [Euro].
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