„Reise in ein fernes Land“ ist ein für Agatha Christie sehr ungewöhnliches Werk. Es ist ein Erlebnisbericht, kein Roman und es handelt von den archäologischen Expeditionen, die sie mit ihrem Mann Max Mallowan zwischen 1935 und 1939 nach Nordsyrien unternahm. An der Grenze zum Irak war Mallowan mit
Ausgrabungen der altmesopotamischen Stadtkulturen, z. B. am Tell Brak beschäftigt, an denen Agatha…mehr„Reise in ein fernes Land“ ist ein für Agatha Christie sehr ungewöhnliches Werk. Es ist ein Erlebnisbericht, kein Roman und es handelt von den archäologischen Expeditionen, die sie mit ihrem Mann Max Mallowan zwischen 1935 und 1939 nach Nordsyrien unternahm. An der Grenze zum Irak war Mallowan mit Ausgrabungen der altmesopotamischen Stadtkulturen, z. B. am Tell Brak beschäftigt, an denen Agatha aktiv beteiligt war. Auch nach dem Krieg begleitete sie ihren Mann immer wieder auf Expeditionen, während denen sie viele ihrer Romane schrieb (die nicht zufällig oft im mesopotamischen Kulturraum spielen).
Der Fokus des Buches liegt auf den persönlichen Erlebnissen mit den Menschen und Kulturen vor Ort, die gewonnenen archäologischen Erkenntnisse werden dagegen nicht behandelt. Wie in den Romanen interessiert sich die Autorin besonders für das Zwischenmenschliche, das gerade bei einem Clash of Cultures unerwartete Wendungen nimmt. Christie ist von der arabischen Kultur fasziniert und begegnet ihr mit viel Verständnis, auch bei Gelegenheiten, die unseren Wertmaßstäben in keiner Weise entsprechen. Als roter Faden zieht sich die extreme Gewaltbereitschaft der angestellten Arbeiter durch das gesamte Buch, Messerangriffe sind an der Tagesordnung, es gibt zahlreiche Mordversuche und auch Morde. Betrug, Neid und Missgunst sind eine ständige Herausforderung für Max als Expeditionsleiter, der die Streitigkeiten stets mit einer offenen Brieftasche besänftigt, selbst wenn er weiß, dass er gerade betrogen wird. Bei Vergehen werden die Arbeiter zwar entlassen, am nächsten Tag aber wieder eingestellt, wodurch auch kein Unrechtsbewusstsein entsteht. Agatha Christie beschreibt das alles mit einer Nonchalance, die wohl nur dadurch zu erklären ist, dass die Opfer immer nur aus den Reihen der Arbeiter stammen, die europäischen Expeditionsteilnehmer werden damals noch als Patriarchen und Richter akzeptiert.
Das Buch hat mir erschreckend die Augen geöffnet, weil es meiner Meinung nach bis ins Detail erklärt, was gerade in unserem eigenen Land passiert. Viele der eingewanderten Araber haben ihren archaischen und blutrünstigen Wertecodex offenbar unverändert mitgebracht und leben ihn hier weiter aus, nur haben sie mittlerweile ihren Respekt vor den Europäern verloren. Max Mallowan sagt einmal „Der Tod wiegt hier leicht“, was es ziemlich auf den Punkt bringt. Der Gewalttätigkeit als Ausdruck von Überlegenheit haben wir nichts entgegenzusetzen, außer die Täter mit Wohltaten ruhigzustellen, genau das, was sich auch bei Mallowan als einziges Mittel bewährt hatte. Mit einem Unterschied: Mallowan fuhr am Ende der Grabungssaison wieder nach Hause und nahm die Probleme nicht mit.
Agatha Christie hatte einen gewissen Einblick in die arabische Gesellschaft, die sie zwar faszinierte und vor der sie sich auch kaum jemals fürchtete, aber sie war damals geschützt durch einen klug agierenden Mann und viel Geld. Außerdem sieht sie fast ausschließlich die öffentliche Männerwelt, die Welt der Frauen bleibt ihr, bis auf wenige Kontakte weitgehend verschlossen. Ich muss ihr die unkritische Haltung in gewisser Weise sogar vorwerfen, denn sie idealisiert diese Gesellschaft, indem sie die (wirklich) permanent präsente Gewalt akzeptiert. Letztlich hat auch sie dem nichts entgegenzusetzen gehabt.
Wer das Deutschland von heute verstehen will, der sollte dieses authentische Buch unbedingt lesen.