Besucher islamischer Länder bewegen sich teilweise in modernen und weltoffenen Gesellschaften, treffen aber auch auf rigide Moralvorstellungen und für Fremde geschlossene Systeme. Erfolgreichen Geschäftsfrauen und Politikerinnen können in Ganzkörperschleier gehüllte Frauen gegenüberstehen, die ohne männliche Beschützer Haus und Hof nicht verlassen dürfen. Tolerante Religionsausübung befindet sich in einem Spannungsverhältnis mit fundamentalistischen Glaubensvorstellungen. Dieser KulturSchock-Band beleuchtet, welche kulturellen und religiösen Werte viele der islamischen Gesellschaften kennzeichnen, beschreibt aktuelle Tendenzen des Islam in einer globalisierten Welt, eine Jugendkultur zwischen Tradition und Smartphone und setzt sich mit der Faszination extremistischer Bündnisse auseinander. Mit zahlreichen Hintergrundinformationen zeigt die Autorin, wie ein verständnisvolles Miteinander sowohl in den bereisten Ländern als auch in Deutschland gelingen kann.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018Reibung mit Reiz und Risiko
Ein Urlaub im islamischen Kulturraum ist eine Herausforderung. Susanne Thiel gibt Hilfestellungen
Warum fährt man überhaupt in diese arabischen Länder? Wo doch in Südostasien alles so viel leichter ist. Wo die Menschen dauerlächeln und man keinen Gedanken daran verschwenden muss, ob das Oberteil die Oberweite zu stark betont. Aber es ist dort eben nur scheinbar leichter, und das Lächeln oft Fassade. Wer sich auseinandersetzen mag mit dem Fremden und den Fremden, wer vom Urlaub nicht nur vordergründige Harmonie erwartet, sondern Reibung erträgt, der ist im islamischen Kulturraum besser aufgehoben.
Einen guten Begleiter für Reisen dorthin hat der Reise Know How Verlag herausgegeben. „Kulturschock Islam“ heißt das Buch der Entwicklungshelferin Susanne Thiel, die in Pakistan und Afghanistan gelebt hat. Was nicht unbedingt empfehlenswerte Reiseregionen sind. Fürs interkulturelle Lernen aber waren sie sicher eine gute Schule.
Susanne Thiel gelingt das Kunststück, in einem handlichen Werk umfassend die islamische Welt, die Empfindungen und Empfindsamkeiten ihrer Menschen, die Entstehungsgeschichte der Religion mitsamt ihren Brüchen darzustellen. Sie ergründet das Wesen dessen, was einen so faszinieren kann an dieser Region: die Gastfreundschaft und Warmherzigkeit der Menschen, denen aber auch soziale Begrenzungen auferlegt sind, die man als Gast oft nur erahnt. Die erste Hälfte des Buches wird gegengeschnitten mit einem Kapitel über Muslime in Deutschland. Wie sind die Verbände organisiert, wie finden sich Muslime zurecht zwischen der viel beschworenen Tradition und Moderne, was macht für sie Heimat aus? Das Buch, dem eine professionellere Bebilderung gut anstehen würde, ist also keine reine Reiselektüre, es ist informativ für alle, die nach Wegen des Miteinanders suchen.
Thiel analysiert sehr klar, warum vieles bis heute so ist, wie es ist: das Eingebundensein in verwobene Familienbande, in ein patriarchalisches System, das, wie sie schreibt, die „Loyalität jedes Einzelnen fordert“, in dem das Familienwohl immer Vorrang hat vor den Wünschen des Individuums. Der Ehrbegriff, mit dem sich der Westen so schwer tut – und der Männern wie Frauen dort zu schaffen macht. Warum lehnen sich Frauen nicht auf gegen Fremdbestimmung, fragt die Autorin und gibt einen Erklärungsversuch: „Mit zunehmendem Alter haben die Frauen oftmals ihren Frieden damit gemacht und genießen die Anerkennung, die ihnen ein tadelloses Leben gebracht hat.“ All das hilft verstehen, manchmal wünscht man sich mehr Kritik, einen Wutschrei auch – wo es um die negative Bewertung der weiblichen Sexualität geht, die Verheiratung von Mädchen, das männliche Gewaltmonopol. Thiel beschönigt nicht, aber sie bleibt auf der Erklärebene. Und rät schon mal alleinreisenden Frauen davon ab, Basare zu besuchen. Ja, das kann nervig sein, aber man darf den muslimischen Männern durchaus zutrauen, dass sie erkennen: Touristinnen sind, nur weil sie ohne Mann unterwegs sind, weder schamlos noch Freiwild. Lernprozesse sind aber durchaus möglich, auf beiden Seiten.
MONIKA MAIER-ALBANG
Susanne Thiel: Kulturschock Islam, Reise Know How Verlag, Bielefeld 2018. 264 Seiten, 14,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Urlaub im islamischen Kulturraum ist eine Herausforderung. Susanne Thiel gibt Hilfestellungen
Warum fährt man überhaupt in diese arabischen Länder? Wo doch in Südostasien alles so viel leichter ist. Wo die Menschen dauerlächeln und man keinen Gedanken daran verschwenden muss, ob das Oberteil die Oberweite zu stark betont. Aber es ist dort eben nur scheinbar leichter, und das Lächeln oft Fassade. Wer sich auseinandersetzen mag mit dem Fremden und den Fremden, wer vom Urlaub nicht nur vordergründige Harmonie erwartet, sondern Reibung erträgt, der ist im islamischen Kulturraum besser aufgehoben.
Einen guten Begleiter für Reisen dorthin hat der Reise Know How Verlag herausgegeben. „Kulturschock Islam“ heißt das Buch der Entwicklungshelferin Susanne Thiel, die in Pakistan und Afghanistan gelebt hat. Was nicht unbedingt empfehlenswerte Reiseregionen sind. Fürs interkulturelle Lernen aber waren sie sicher eine gute Schule.
Susanne Thiel gelingt das Kunststück, in einem handlichen Werk umfassend die islamische Welt, die Empfindungen und Empfindsamkeiten ihrer Menschen, die Entstehungsgeschichte der Religion mitsamt ihren Brüchen darzustellen. Sie ergründet das Wesen dessen, was einen so faszinieren kann an dieser Region: die Gastfreundschaft und Warmherzigkeit der Menschen, denen aber auch soziale Begrenzungen auferlegt sind, die man als Gast oft nur erahnt. Die erste Hälfte des Buches wird gegengeschnitten mit einem Kapitel über Muslime in Deutschland. Wie sind die Verbände organisiert, wie finden sich Muslime zurecht zwischen der viel beschworenen Tradition und Moderne, was macht für sie Heimat aus? Das Buch, dem eine professionellere Bebilderung gut anstehen würde, ist also keine reine Reiselektüre, es ist informativ für alle, die nach Wegen des Miteinanders suchen.
Thiel analysiert sehr klar, warum vieles bis heute so ist, wie es ist: das Eingebundensein in verwobene Familienbande, in ein patriarchalisches System, das, wie sie schreibt, die „Loyalität jedes Einzelnen fordert“, in dem das Familienwohl immer Vorrang hat vor den Wünschen des Individuums. Der Ehrbegriff, mit dem sich der Westen so schwer tut – und der Männern wie Frauen dort zu schaffen macht. Warum lehnen sich Frauen nicht auf gegen Fremdbestimmung, fragt die Autorin und gibt einen Erklärungsversuch: „Mit zunehmendem Alter haben die Frauen oftmals ihren Frieden damit gemacht und genießen die Anerkennung, die ihnen ein tadelloses Leben gebracht hat.“ All das hilft verstehen, manchmal wünscht man sich mehr Kritik, einen Wutschrei auch – wo es um die negative Bewertung der weiblichen Sexualität geht, die Verheiratung von Mädchen, das männliche Gewaltmonopol. Thiel beschönigt nicht, aber sie bleibt auf der Erklärebene. Und rät schon mal alleinreisenden Frauen davon ab, Basare zu besuchen. Ja, das kann nervig sein, aber man darf den muslimischen Männern durchaus zutrauen, dass sie erkennen: Touristinnen sind, nur weil sie ohne Mann unterwegs sind, weder schamlos noch Freiwild. Lernprozesse sind aber durchaus möglich, auf beiden Seiten.
MONIKA MAIER-ALBANG
Susanne Thiel: Kulturschock Islam, Reise Know How Verlag, Bielefeld 2018. 264 Seiten, 14,90 Euro.
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