Im Januar 1935 reiste Graham Greene von Liverpool aus nach Westafrika, um auf dem Fußweg Liberia zu durchqueren. Europa hatte er nie zuvor verlassen, und er gab unumwunden zu, ein absoluter Amateur in Sachen Reisen zu sein. Er hielt es für das Beste, im benachbarten Sierra Leone Träger und Führer anzuheuern, mit dem Zug bis zum Ende der Eisenbahnlinie in Pendembu zu reisen und von dort zur liberianischen Grenze zu marschieren. Aber schon als es gilt, die genaue Route festzulegen, gibt es Probleme. Greene kann nur zwei Landkarten auftreiben, auf denen Liberia überhaupt verzeichnet ist. Auf der einen Karte, angefertigt vom britischen Generalstab, findet sich anstelle von Liberia ein großer weißer Fleck. Die andere Karte wurde vom Kriegsministerium der Vereinigten Staaten herausgegeben. Dort, wo die englische Karte sich damit begnügt, einen Fleck zu zeigen, steht bei den Amerikanern in fetten Buchstaben das Wort »Kannibalen« ... Graham Greenes Bericht über seinen legendären Fußmarsch ins Herz der Finsternis liegt nun erstmals vollständig auf Deutsch vor. »Reise ohne Landkarten« ist das Porträt eines Landes jenseits aller Zivilisation und die faszinierende Geschichte eines Mannes auf der Suche nach sich selbst.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
buecher-magazin.deAls der englische Schriftsteller Graham Greene Anfang 1935 in Freetown landet, zeigen sich die Amtsträger so verdächtig hilfsbereit, dass er beschließt, die vom Innenminister vorgeschlagene Route durch Liberia zu meiden. Erleichtert wird ihm dies, weil er lediglich zwei Landkarten der Republik auftreiben kann. Eine zeigt einen weißen Fleck, auf dem gepunktete Linien den vermutlichen Lauf einiger Flüsse darstellen - wie sich später herausstellt allerdings so falsch wie die Ortsnamen. Die andere Karte hat den Fleck um den fett gedruckten Hinweis "Kannibalen" bereichert. Immerhin weiß Greene aus dem Blaubuch der britischen Regierung, dass dort Massaker an Dorfbewohnern an der Tagesordnung sind und Krankheiten wie Elefantiasis, Lepra, Frambösie, Malaria ebenfalls. Immerhin böten Holz- und Wellblechhütten "geeignete Zufluchten" vor der "wimmelnden" Rattenpopulation. Man kann es deshalb nur als Wunder bezeichnen, dass Greene dieses Buch überhaupt hat schreiben können. Ohne dieses Meisterstück an ironisch-komischem britischem Understatement aber wäre die Reiseliteratur ärmer. Mit Michael Kleebergs gelungener Übersetzung des im Original 1936 erschienenen Buchs beweist der Liebeskind Verlag wieder einmal seinen Sinn für verborgene literarische Schätze.
© BÜCHERmagazin, Ulrich Baron (ub)
© BÜCHERmagazin, Ulrich Baron (ub)
"Eines der besten Reisebücher des 20. Jahrhunderts." -- THE INDEPENDENT
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2015Dieses leidenschaftliche Interesse zu leben
Graham Greene treibt es 1936 nach Afrika. Er sucht Gefahr - und findet die Welt seiner Romane. Endlich auf Deutsch: das Tagebuch dieser "Reise ohne Landkarten"
Von Rainer Merkel
Warum wollte eigentlich damals niemand Graham Greene lesen? "Journey Without Maps", hieß es immer, muss ich auch mal lesen. Aber all die Expats in Liberia, die sich ein bisschen für Literatur interessierten, schreckten davor zurück. Manche lasen vielleicht noch Stephen Ellis' "Mask of Anarchy" über den Horror des liberianischen Bürgerkriegs, aber nicht eine Reiseerzählung von 1936. "Das ist mir jetzt echt irgendwie zu postkolonial", sagte E., die Field-Koordinatorin von "Ärzte ohne Grenzen", damals im "Kendeja Resort", einem 2008 gerade erst eröffneten Luxushotel und Fluchtort für die freien Sonntage, während "Journey Without Maps" unter ihrer Sonnenliege im Schatten lag.
Fast vierhundert Meilen in vier Wochen durch das Landesinnere, den liberianischen Regenwald. Mit Trägern, einem Koch und seiner Cousine Barbara, die auch erst 27 war. Graham Greene brauchte Geld nach einem eher mühsamen Start als freier Autor. Und natürlich hatten sie Karten, anders als im Titel behauptet, allerdings ziemlich fragmentarische. Es waren amerikanische Militärkarten, die vor unerforschten Gebieten und Kannibalismus warnten. Leere Flecken, Projektionsgebiete, die für den jungen Schriftsteller eine besondere Aura hatten. Und vielleicht auch für die Cousine, mit der er bei einer Hochzeitsfeier im heimischen England ein paar Gläser Champagner getrunken hatte. Ob sie nicht spontan Lust hätte, fragte er. Afrika? Er selbst hatte Europa bis dahin noch nie verlassen.
Paul Theroux mutmaßt im Vorwort zur englischen Ausgabe, die Cousine sei später zum Opfer Greenescher Verdrängungskünste geworden, deswegen sei sie aus dem Buch erst mal wieder verschwunden. "Journey Without Maps" ist ein Text der doppelten Buchführung, mit mehreren Schichten und Bedeutungsebenen. Und eine davon ist das Unbewusste, die Psychoanalyse und die Tatsache, dass Greene mit sechzehn wegen suizidaler Neigungen ein halbes Jahr in Behandlung gewesen war.
Afrika war für ihn ein Traumort, ein Sehnsuchtsort und gleichzeitig die Möglichkeit, die kindlichen Abenteuerphantasien auszuleben. Denn obwohl er schon vier Romane veröffentliche hatte, brauchte Greene eine Veränderung, einen Schub in Richtung "Greeneland", dorthin, wo später die meisten seiner Romane spielten: Diese Mischung aus quälend süßer Agonie und Dekadenz und die unterschwellige Sehnsucht nach Grenzüberschreitung. Afrika schien da genau das Richtige zu sein: "Als die Lampe erlosch, kamen die Ratten. Sie kamen alle auf einmal, sie fielen schwer von der Decke wie Regen. Die ganze Nacht hindurch tollten sie zwischen den Kisten herum, und draußen schnüffelten die Kühe an den Wänden und ließen geräuschvoll Wasser." Und da hockten sie also im Busch, in einer schäbigen Hütte, umgeben von Hitze, Malaria und den eigenen unbewältigten Neurosen. Das war genau das, was Greene gesucht hatte.
Stundenlange Gewaltmärsche. Und der Kampf gegen die Träger, die andere Vorstellungen von Entfernungen und ihrerseits kein Interesse an Extremerfahrungen und Erschöpfungszuständen hatten. Ganz Kolonialherr, analysiert Greene: "Das Wesen eines Trägers hat etwas Kindliches. Er genießt den Moment. Er bringt Ursache und Wirkung nicht zusammen." Und so setzt er sich immer wieder gegen ihre Zweifel durch und treibt seine Reisegruppe zu immer größeren Anstrengungen. "Bis Greh war es ein weiterer Fünfstundenmarsch auf einem Weg von entsetzlicher Monotonie. Ich versuchte, über meinen nächsten Roman nachzudenken, aber ich hatte Angst, zu lange darüber nachzudenken, denn dann hätte ich am nächsten Tag nichts mehr zum Nachdenken."
Auch die Träger sind auf dem Weg ins Unbekannte, sie verlassen ihr Dorf, ihre gewohnte Umgebung. Einer von ihnen hat das Meer noch nie gesehen. Greene diagnostiziert später, wie die moderne Zivilisation sie verdirbt. Hatte der Palmwein sie noch in einen "heiteren schläfrig-entspannten Zustand" versetzt, sorgte eine härtere Dosis Alkohol für die "unangenehme Besoffenheit der Küste". Ihren Streik kann er noch mit geradezu dumpfer Ignoranz aussitzen, aber die physische Belastbarkeit ist begrenzt. Greene wird krank.
In Zigi's Town ist das Fieber so hoch, dass seine Cousine, die später ihrerseits ein Buch über die Reise schreiben wird, fürchtet, er werde das alles nicht überleben. Sie macht sich schon Gedanken, wie sie ihn beerdigen und zur Küste gelangen kann, um seine Angehörigen per Telegramm zu informieren. "Bis dahin war ich immer ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Tod etwas Erstrebenswertes ist", schreibt Greene später. "In dieser Nacht kam es mir vor wie eine wichtige Entdeckung." Nämlich das "leidenschaftliche Interesse", am Leben zu bleiben.
"Reise ohne Landkarten", wie Greenes Buch jetzt in seiner ersten vollständigen deutschen Übersetzung heißt, ist die typische Grenzerfahrungsgeschichte, die so viele Europäer nach Afrika gelockt hat. Sie hat eindeutig, wie Greene später auch zugibt, therapeutische Züge. Ein schlechtes Gewissen hat der zum Katholizismus konvertierte Greene natürlich auch. Er weiß, dass er die Träger, deren Loyalität er sich erkauft hat, letztlich betrügt, und schämt sich deswegen. Trotzdem muss er natürlich in dem gleichen mörderischen Rhythmus weitermachen. Das Buch ist das Psychogramm eines Autors, der sich selbst zu erfinden sucht und, ohne es vielleicht zu wissen, den richtigen Schauplatz für seine Literatur schon gefunden hat. Eine Literatur lüsterner Religiosität, des Wuchers der Schuldgefühle und der Sehnsucht nach einer alles ordnenden Gewalt.
In Romanen wie "Das Herz aller Dinge" oder "Die Stunde der Komödianten" sind es diese eigentümlich heruntergekommenen, düsteren Existenzen, die an Orten gestrandet sind, wo es sich aber dann doch ganz gut leben lässt. Romane, die er sich in Liberia, könnte man sagen, erlaufen und erkämpft hat.
Als die Expedition Monrovia erreicht, ist die Reise eigentlich zu Ende. 1936 war die Hauptstadt Liberias nur eine "sehr provisorische Siedlung, die jeden Moment vom Gelbfieber ausradiert werden konnte". An den "breiten grasbewachsenen Hauptstraßen" sieht man "all diese unfertigen Häuser", die so aussehen, "als seien sie bei einem Großfeuer ausgebrannt". Allerdings hat die kleine skurrile Expat-Gemeinde, der Greene dort begegnet, nichts mit den Ausmaßen der heutigen NGO-Völkerwanderung zu tun, die sich über Liberia ergießt, um dem Land bei seinem Kampf gegen Ebola zu helfen.
Der Verlauf der Expedition von Sierra Leone über Guinea nach Grand Bassa entspricht dabei beinahe dem Ausbreitungsweg des Ebola-Virus, der seinen Anfang auch im Landesinneren nahm und sich dann immer mehr Richtung Monrovia vorarbeitete. Die schlechte medizinische Versorgung und der Eindruck, dass das Landesinnere eigentlich unregierbar ist, ein blinder Fleck, äußerste Peripherie, die eigentlich Zentrum sein müsste, stimmen 1936 wie auch 2015. Man liest das Buch heute wie einen fast gemütlichen Bericht aus idyllischen Zeiten, die längst vergangen sind. Lange bevor Liberia in den Siebzigern einen wirtschaftlichen Boom erlebte und zur "Schweiz" Afrikas wurde, um schließlich in einem epischen Bürgerkrieg zu versinken.
"Ich schlief dann wieder ein und hatte unruhige Träume, dass es einen Fall von Gelbfieber in Bolahun gab", schreibt Greene, "und ich in Quarantäne gesteckt wurde und man mein Tagebuch verbrannte. Ich erwachte weinend vor Wut." Er hatte sich selbst zu zerstören versucht, aber, oh Wunder, es hatte nicht geklappt. Stattdessen kamen dabei viele Bücher heraus, viel Literatur. Greeneland, das Markenzeichen, das ihn zu einem Bestsellerautor machen würde, war gefunden. Die Therapie hatte angeschlagen. Afrika war einmal mehr als "metaphysisches Schlachtfeld" fruchtbar gewesen. Ein Ort, an dem man seine eigene Zivilisation wie in einer kollektiven Open-Air-Therapie auf die Schnelle durcharbeiten konnte, so wie es Chinua Achebe schon bei Joseph Conrad beobachtet hatte.
Greenes Cousine, die ihm das Leben gerettet hatte, durfte natürlich dabei nicht so eine große Rolle spielen. Ihr Name wurde in der ersten Fassung noch komplett getilgt. Paul Theroux mutmaßt, dass Greene eine Affäre mit ihr gehabt hatte und diese Spuren lieber verwischen wollte. Als Dokument einer schriftstellerischen Entwicklung ist "Journey Without Maps" allerdings sehr wertvoll. Und es zeigt, wie schwierig unser Umgang mit Afrika immer wieder ist.
E., die Field-Koordinatorin von "Ärzte ohne Grenzen", ließ das Buch deswegen auch lieber unter der Liege im Schatten zurück. Es war ein unglaublich heißer und stressiger Sonntag, das "Kendeja Resort" lag verlassen in der Nachmittagssonne. "Dafür haben wir jetzt einfach keine Zeit", sagte sie und lief über den heißen Steinboden zum Pool. "Ich liebe Literatur. Aber jetzt mal im Ernst: Warum sind wir eigentlich hier? Um zu lesen?" Sie tastete mit dem Fuß und überlegte, ob das Wasser nicht vielleicht doch zu warm war. "Es war die Hitze, man hatte einfach nicht die Energie, die Worte bis zum Schluss zu artikulieren", schreibt Greene, "die Stimme franste einfach aus wie eine schlechte Handschrift, schon nach der erste Silbe."
Greene kehrte nicht mehr nach Liberia zurück. Er brauchte es nicht mehr. In Sierra Leone fand er neues Material, als er für den britischen Auslandsgeheimdienst ein paar Informationen über Diamantenschmuggel sammelte. Er tat sich allerdings schwer mit dem Chiffriercode und blieb wochenlang verschollen.
Jetzt kann man noch einmal mit ihm nach Liberia reisen, dank der gelungenen neuen Übersetzung von Michael Kleeberg: Vom Landesinneren durch den tropischen Regenwald bis zur Hauptstadt, auf dem umgekehrten Weg gewissermaßen, den heute die Helfer zurücklegen, die am Roberts Airport landen und dann wieder im "Kendeja Resort" absteigen. Großer Horror und große Düsternis bleiben einem erspart, die Schrecken des hämorrhagischen Fiebers sind noch in weiter Ferne. Es kommt einem wie ein Tagtraum vor, bei dem jemand den Finger auf den sich drehenden Leuchtglobus gehalten und gesagt hat: Hier, genau hier möchte ich jetzt gerne sein.
Vom Autor erschien zuletzt das E-Book "Go Ebola Go" (Fischer, 3,99 Euro), eine Reportage aus Liberia, die er für dieses Feuilleton aufgeschrieben hat. Graham Greenes "Reise ohne Landkarten" ist in der Übersetzung von Michael Kleeberg bei Liebeskind erschienen (378 Seiten, 22 Euro).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Graham Greene treibt es 1936 nach Afrika. Er sucht Gefahr - und findet die Welt seiner Romane. Endlich auf Deutsch: das Tagebuch dieser "Reise ohne Landkarten"
Von Rainer Merkel
Warum wollte eigentlich damals niemand Graham Greene lesen? "Journey Without Maps", hieß es immer, muss ich auch mal lesen. Aber all die Expats in Liberia, die sich ein bisschen für Literatur interessierten, schreckten davor zurück. Manche lasen vielleicht noch Stephen Ellis' "Mask of Anarchy" über den Horror des liberianischen Bürgerkriegs, aber nicht eine Reiseerzählung von 1936. "Das ist mir jetzt echt irgendwie zu postkolonial", sagte E., die Field-Koordinatorin von "Ärzte ohne Grenzen", damals im "Kendeja Resort", einem 2008 gerade erst eröffneten Luxushotel und Fluchtort für die freien Sonntage, während "Journey Without Maps" unter ihrer Sonnenliege im Schatten lag.
Fast vierhundert Meilen in vier Wochen durch das Landesinnere, den liberianischen Regenwald. Mit Trägern, einem Koch und seiner Cousine Barbara, die auch erst 27 war. Graham Greene brauchte Geld nach einem eher mühsamen Start als freier Autor. Und natürlich hatten sie Karten, anders als im Titel behauptet, allerdings ziemlich fragmentarische. Es waren amerikanische Militärkarten, die vor unerforschten Gebieten und Kannibalismus warnten. Leere Flecken, Projektionsgebiete, die für den jungen Schriftsteller eine besondere Aura hatten. Und vielleicht auch für die Cousine, mit der er bei einer Hochzeitsfeier im heimischen England ein paar Gläser Champagner getrunken hatte. Ob sie nicht spontan Lust hätte, fragte er. Afrika? Er selbst hatte Europa bis dahin noch nie verlassen.
Paul Theroux mutmaßt im Vorwort zur englischen Ausgabe, die Cousine sei später zum Opfer Greenescher Verdrängungskünste geworden, deswegen sei sie aus dem Buch erst mal wieder verschwunden. "Journey Without Maps" ist ein Text der doppelten Buchführung, mit mehreren Schichten und Bedeutungsebenen. Und eine davon ist das Unbewusste, die Psychoanalyse und die Tatsache, dass Greene mit sechzehn wegen suizidaler Neigungen ein halbes Jahr in Behandlung gewesen war.
Afrika war für ihn ein Traumort, ein Sehnsuchtsort und gleichzeitig die Möglichkeit, die kindlichen Abenteuerphantasien auszuleben. Denn obwohl er schon vier Romane veröffentliche hatte, brauchte Greene eine Veränderung, einen Schub in Richtung "Greeneland", dorthin, wo später die meisten seiner Romane spielten: Diese Mischung aus quälend süßer Agonie und Dekadenz und die unterschwellige Sehnsucht nach Grenzüberschreitung. Afrika schien da genau das Richtige zu sein: "Als die Lampe erlosch, kamen die Ratten. Sie kamen alle auf einmal, sie fielen schwer von der Decke wie Regen. Die ganze Nacht hindurch tollten sie zwischen den Kisten herum, und draußen schnüffelten die Kühe an den Wänden und ließen geräuschvoll Wasser." Und da hockten sie also im Busch, in einer schäbigen Hütte, umgeben von Hitze, Malaria und den eigenen unbewältigten Neurosen. Das war genau das, was Greene gesucht hatte.
Stundenlange Gewaltmärsche. Und der Kampf gegen die Träger, die andere Vorstellungen von Entfernungen und ihrerseits kein Interesse an Extremerfahrungen und Erschöpfungszuständen hatten. Ganz Kolonialherr, analysiert Greene: "Das Wesen eines Trägers hat etwas Kindliches. Er genießt den Moment. Er bringt Ursache und Wirkung nicht zusammen." Und so setzt er sich immer wieder gegen ihre Zweifel durch und treibt seine Reisegruppe zu immer größeren Anstrengungen. "Bis Greh war es ein weiterer Fünfstundenmarsch auf einem Weg von entsetzlicher Monotonie. Ich versuchte, über meinen nächsten Roman nachzudenken, aber ich hatte Angst, zu lange darüber nachzudenken, denn dann hätte ich am nächsten Tag nichts mehr zum Nachdenken."
Auch die Träger sind auf dem Weg ins Unbekannte, sie verlassen ihr Dorf, ihre gewohnte Umgebung. Einer von ihnen hat das Meer noch nie gesehen. Greene diagnostiziert später, wie die moderne Zivilisation sie verdirbt. Hatte der Palmwein sie noch in einen "heiteren schläfrig-entspannten Zustand" versetzt, sorgte eine härtere Dosis Alkohol für die "unangenehme Besoffenheit der Küste". Ihren Streik kann er noch mit geradezu dumpfer Ignoranz aussitzen, aber die physische Belastbarkeit ist begrenzt. Greene wird krank.
In Zigi's Town ist das Fieber so hoch, dass seine Cousine, die später ihrerseits ein Buch über die Reise schreiben wird, fürchtet, er werde das alles nicht überleben. Sie macht sich schon Gedanken, wie sie ihn beerdigen und zur Küste gelangen kann, um seine Angehörigen per Telegramm zu informieren. "Bis dahin war ich immer ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Tod etwas Erstrebenswertes ist", schreibt Greene später. "In dieser Nacht kam es mir vor wie eine wichtige Entdeckung." Nämlich das "leidenschaftliche Interesse", am Leben zu bleiben.
"Reise ohne Landkarten", wie Greenes Buch jetzt in seiner ersten vollständigen deutschen Übersetzung heißt, ist die typische Grenzerfahrungsgeschichte, die so viele Europäer nach Afrika gelockt hat. Sie hat eindeutig, wie Greene später auch zugibt, therapeutische Züge. Ein schlechtes Gewissen hat der zum Katholizismus konvertierte Greene natürlich auch. Er weiß, dass er die Träger, deren Loyalität er sich erkauft hat, letztlich betrügt, und schämt sich deswegen. Trotzdem muss er natürlich in dem gleichen mörderischen Rhythmus weitermachen. Das Buch ist das Psychogramm eines Autors, der sich selbst zu erfinden sucht und, ohne es vielleicht zu wissen, den richtigen Schauplatz für seine Literatur schon gefunden hat. Eine Literatur lüsterner Religiosität, des Wuchers der Schuldgefühle und der Sehnsucht nach einer alles ordnenden Gewalt.
In Romanen wie "Das Herz aller Dinge" oder "Die Stunde der Komödianten" sind es diese eigentümlich heruntergekommenen, düsteren Existenzen, die an Orten gestrandet sind, wo es sich aber dann doch ganz gut leben lässt. Romane, die er sich in Liberia, könnte man sagen, erlaufen und erkämpft hat.
Als die Expedition Monrovia erreicht, ist die Reise eigentlich zu Ende. 1936 war die Hauptstadt Liberias nur eine "sehr provisorische Siedlung, die jeden Moment vom Gelbfieber ausradiert werden konnte". An den "breiten grasbewachsenen Hauptstraßen" sieht man "all diese unfertigen Häuser", die so aussehen, "als seien sie bei einem Großfeuer ausgebrannt". Allerdings hat die kleine skurrile Expat-Gemeinde, der Greene dort begegnet, nichts mit den Ausmaßen der heutigen NGO-Völkerwanderung zu tun, die sich über Liberia ergießt, um dem Land bei seinem Kampf gegen Ebola zu helfen.
Der Verlauf der Expedition von Sierra Leone über Guinea nach Grand Bassa entspricht dabei beinahe dem Ausbreitungsweg des Ebola-Virus, der seinen Anfang auch im Landesinneren nahm und sich dann immer mehr Richtung Monrovia vorarbeitete. Die schlechte medizinische Versorgung und der Eindruck, dass das Landesinnere eigentlich unregierbar ist, ein blinder Fleck, äußerste Peripherie, die eigentlich Zentrum sein müsste, stimmen 1936 wie auch 2015. Man liest das Buch heute wie einen fast gemütlichen Bericht aus idyllischen Zeiten, die längst vergangen sind. Lange bevor Liberia in den Siebzigern einen wirtschaftlichen Boom erlebte und zur "Schweiz" Afrikas wurde, um schließlich in einem epischen Bürgerkrieg zu versinken.
"Ich schlief dann wieder ein und hatte unruhige Träume, dass es einen Fall von Gelbfieber in Bolahun gab", schreibt Greene, "und ich in Quarantäne gesteckt wurde und man mein Tagebuch verbrannte. Ich erwachte weinend vor Wut." Er hatte sich selbst zu zerstören versucht, aber, oh Wunder, es hatte nicht geklappt. Stattdessen kamen dabei viele Bücher heraus, viel Literatur. Greeneland, das Markenzeichen, das ihn zu einem Bestsellerautor machen würde, war gefunden. Die Therapie hatte angeschlagen. Afrika war einmal mehr als "metaphysisches Schlachtfeld" fruchtbar gewesen. Ein Ort, an dem man seine eigene Zivilisation wie in einer kollektiven Open-Air-Therapie auf die Schnelle durcharbeiten konnte, so wie es Chinua Achebe schon bei Joseph Conrad beobachtet hatte.
Greenes Cousine, die ihm das Leben gerettet hatte, durfte natürlich dabei nicht so eine große Rolle spielen. Ihr Name wurde in der ersten Fassung noch komplett getilgt. Paul Theroux mutmaßt, dass Greene eine Affäre mit ihr gehabt hatte und diese Spuren lieber verwischen wollte. Als Dokument einer schriftstellerischen Entwicklung ist "Journey Without Maps" allerdings sehr wertvoll. Und es zeigt, wie schwierig unser Umgang mit Afrika immer wieder ist.
E., die Field-Koordinatorin von "Ärzte ohne Grenzen", ließ das Buch deswegen auch lieber unter der Liege im Schatten zurück. Es war ein unglaublich heißer und stressiger Sonntag, das "Kendeja Resort" lag verlassen in der Nachmittagssonne. "Dafür haben wir jetzt einfach keine Zeit", sagte sie und lief über den heißen Steinboden zum Pool. "Ich liebe Literatur. Aber jetzt mal im Ernst: Warum sind wir eigentlich hier? Um zu lesen?" Sie tastete mit dem Fuß und überlegte, ob das Wasser nicht vielleicht doch zu warm war. "Es war die Hitze, man hatte einfach nicht die Energie, die Worte bis zum Schluss zu artikulieren", schreibt Greene, "die Stimme franste einfach aus wie eine schlechte Handschrift, schon nach der erste Silbe."
Greene kehrte nicht mehr nach Liberia zurück. Er brauchte es nicht mehr. In Sierra Leone fand er neues Material, als er für den britischen Auslandsgeheimdienst ein paar Informationen über Diamantenschmuggel sammelte. Er tat sich allerdings schwer mit dem Chiffriercode und blieb wochenlang verschollen.
Jetzt kann man noch einmal mit ihm nach Liberia reisen, dank der gelungenen neuen Übersetzung von Michael Kleeberg: Vom Landesinneren durch den tropischen Regenwald bis zur Hauptstadt, auf dem umgekehrten Weg gewissermaßen, den heute die Helfer zurücklegen, die am Roberts Airport landen und dann wieder im "Kendeja Resort" absteigen. Großer Horror und große Düsternis bleiben einem erspart, die Schrecken des hämorrhagischen Fiebers sind noch in weiter Ferne. Es kommt einem wie ein Tagtraum vor, bei dem jemand den Finger auf den sich drehenden Leuchtglobus gehalten und gesagt hat: Hier, genau hier möchte ich jetzt gerne sein.
Vom Autor erschien zuletzt das E-Book "Go Ebola Go" (Fischer, 3,99 Euro), eine Reportage aus Liberia, die er für dieses Feuilleton aufgeschrieben hat. Graham Greenes "Reise ohne Landkarten" ist in der Übersetzung von Michael Kleeberg bei Liebeskind erschienen (378 Seiten, 22 Euro).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main