Zehn Tage nachdem Siegfried Unseld am 1. April 1959 die Leitung des Suhrkamp Verlags übernommen hat, reist er nach Ost-Berlin, um Brechts Witwe Helene Weigel zu besuchen. Zurückgekehrt, diktiert er den ersten der von ihm selbst so genannten Reiseberichte.
In über 1500 Berichten hat er bis zu seinem Tod 2002 die für ihn und seine Mitarbeiter wesentlichen Resultate seiner Gespräche festgehalten. Die Weitergabe an Personen außer Haus war streng verpönt. Zum 70-jährigen Verlagsjubiläum wird das Betriebsgeheimnis nun gelüftet.
Die spannenden Reportagen, darunter eindrucksvolle Schilderungen seiner Reisen nach Japan und Israel in den 1980er und 1990er Jahren, offenbaren einen Blick hinter die Kulissen des literarischen Lebens und bieten die einmalige Gelegenheit, den Aufbau des Suhrkamp Verlags aus der Sicht des Verlegers zu verfolgen. Sie dokumentieren die wichtigsten kulturellen Ereignisse innerhalb der letzten vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Begegnungen zwischen Verleger und den für diese Zeit bedeutsamsten deutschen und internationalen Autoren - mal dramatisch, mal entspannt urlaubend, mal kämpferisch.
Die hier in Auswahl zum ersten Mal publizierten Reiseberichte Siegfried Unselds führen in die Welt des Verlegers und Verlegens mit all ihren Höhe- und Tiefpunkten, ihrem Glanz und Elend - ob beim Geburtstag von Max Frisch in New York, mit Samuel Beckett in Paris, mit Peter Weiss in Kopenhagen, mit Jurek Becker in Leipzig, bei Ingeborg Bachmann in Rom, mit Amos Oz in Israel, mit Thomas Bernhard in Wien oder mit Peter Handke auf der ganzen Welt - und zeichnen das Porträt der kulturellen Nachkriegsgesellschaft aus der Sicht eines ihrer wirkungsmächtigsten Akteure.
In über 1500 Berichten hat er bis zu seinem Tod 2002 die für ihn und seine Mitarbeiter wesentlichen Resultate seiner Gespräche festgehalten. Die Weitergabe an Personen außer Haus war streng verpönt. Zum 70-jährigen Verlagsjubiläum wird das Betriebsgeheimnis nun gelüftet.
Die spannenden Reportagen, darunter eindrucksvolle Schilderungen seiner Reisen nach Japan und Israel in den 1980er und 1990er Jahren, offenbaren einen Blick hinter die Kulissen des literarischen Lebens und bieten die einmalige Gelegenheit, den Aufbau des Suhrkamp Verlags aus der Sicht des Verlegers zu verfolgen. Sie dokumentieren die wichtigsten kulturellen Ereignisse innerhalb der letzten vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Begegnungen zwischen Verleger und den für diese Zeit bedeutsamsten deutschen und internationalen Autoren - mal dramatisch, mal entspannt urlaubend, mal kämpferisch.
Die hier in Auswahl zum ersten Mal publizierten Reiseberichte Siegfried Unselds führen in die Welt des Verlegers und Verlegens mit all ihren Höhe- und Tiefpunkten, ihrem Glanz und Elend - ob beim Geburtstag von Max Frisch in New York, mit Samuel Beckett in Paris, mit Peter Weiss in Kopenhagen, mit Jurek Becker in Leipzig, bei Ingeborg Bachmann in Rom, mit Amos Oz in Israel, mit Thomas Bernhard in Wien oder mit Peter Handke auf der ganzen Welt - und zeichnen das Porträt der kulturellen Nachkriegsgesellschaft aus der Sicht eines ihrer wirkungsmächtigsten Akteure.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2020Betriebsgeheimnis
Die "Reiseberichte" von Siegfried Unseld
Zum 70. Geburtstag des Suhrkamp Verlags ist jetzt endlich ein Buch erschienen, das schon lange angekündigt war und das der Cheflektor des Suhrkamp Verlags, Raimund Fellinger, vor seinem Tod am 25. April 2020, glücklicherweise noch fertigstellen und mit einem Nachwort versehen konnte: die "Reiseberichte" des ehemaligen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld. Mehr als 1500 solcher Berichte verfasste dieser nach seinen Reisen, nachdem er 1959 - da war er 35 Jahre alt - die Nachfolge von Peter Suhrkamp angetreten hatte. 35 dieser Texte hat Fellinger ausgewählt, um zu zeigen, wie der junge Verleger "sich die Welt der Autoren, Kritiker, Agenten und Kulturinstitutionen über Deutschland hinaus aneignete": "Worüber man sprechen kann, darüber soll man berichten", sagte, frei nach Wittgenstein, Unseld 1967 einmal selber über diese Textform.
Wann immer er also den Verlag verließ und in Autos, Züge, Flugzeuge stieg, um Autorinnen oder Autoren zu treffen, Buchhändler, Agenten, Verlagsmitarbeiter im Ausland, mit denen er Verträge und Auslandslizenzen durchsprach, Theaterleute, mit denen er Premieren und Uraufführungen besuchte, hatte er ein Diktaphon dabei: ein Grundig Stenorette SL. Er machte sich kurze handschriftliche Notizen, diktierte dann das, was er für die Arbeit im Verlag für wichtig hielt. Eine der Sekretärinnen tippte es ab und verteilte es an die Abteilungsleiter und das Lektorat, die wiederum ihre Kenntnisnahme bestätigen und das Gelesene an den Verleger zurückgeben mussten. Alles streng vertraulich natürlich. Die Weitergabe des Inhalts an Personen außer Haus war verpönt.
Es sind deshalb Betriebsgeheimnisse, die wir hier lesen können, aufschlussreiche Dokumente über die zeitgenössischen Bedingungen der Verlagsarbeit. Der erste von Fellinger ausgewählte Bericht ist der von einer Berlin-Reise im April 1959 ins Brecht-Archiv, zu Brechts Witwe Helene Weigel, aber auch zur Buchhandlung Schoeller; der letzte stammt vom 18. Mai 1998 und protokolliert eine Reise nach München, deren Anlass die Beerdigung des Schriftstellers Hermann Lenz ist. Hans Magnus Enzensberger holt Unseld vom Flughafen ab, zusammen fahren sie bei der Buchhandlung Lehmkuhl vorbei. Im Anschluss an die Trauerfeier, bei der auch Peter Handke und der Verleger Michael Krüger sind, lädt Hubert Burda in das Restaurant "Grüntal" im Englischen Garten.
Dazwischen stehen New York, Boston, Detroit, Warschau, Paris, Zürich, Tokio, Kyoto, Israel, Wien, Prag oder Moskau. Siegfried Unseld ist ein Weltreisender. Und es mag auch am Entstehungsprozess der Berichte liegen, der eigentlich ein literarischer ist - Unseld schreibt auf, was man ihm sagt, er diktiert, das Diktierte wird in Schrift übertragen -, dass die Texte über das Protokollarische hinausgehen und sich selbst wie literarische Porträts oder Erzählungen lesen. Vor allem liegt dies aber an der Offenheit des Verlegers, der sich seinen Mitarbeitern auch in für ihn nicht immer nur vorteilhaften Situationen zu zeigen bereit ist und so einen schonungslosen Blick auf das freigibt, was ein Verleger auszuhalten bereit sein muss.
Nichts zeigt dies so sehr wie der erschütternde Reisebericht vom Mai 1971 in New York, wo Max Frisch seinen 60. Geburtstag feiert. Es ist der Besuch bei einem Monster-Ego. Unseld trifft zusammen mit Helene Ritzerfeld, die bei Suhrkamp die Abteilung Rechte und Lizenzen leitet, morgens bei Frisch ein, der 45 West 10th Street wohnt, sie unternehmen eine Schiffsfahrt, laden Frisch und seine Frau zum Mittagessen ein, besprechen laufende Verlagsdinge, klären den Stand der Verhandlungen für die Verfilmung "I'm Not Stiller". Frischs "Tagebuch" sei "in Amerika einfach nicht zu platzieren", es sei zuerst von den renommierten Verlagen und dann von sieben weiteren abgelehnt worden, hält Unseld fest. Am 20. Mai veranstaltet der Suhrkamp Verlag in New York dann für Max Frisch im Restaurant "Elaine's" einen Empfang mit vielen Ehrengästen (4000,- D-Mark). "Ich glaube, Frisch war diese Party nicht unangenehm", liest man.
Doch dann folgt ein "Nachtrag", der von einem Mittagessen am 19. Mai 1971 berichtet, bei dem der vorher schon verstimmte Max Frisch ausrastet: Unseld sei mit "leeren Händen" nach New York gekommen, er habe sich am Tag seines Geburtstages "schäbig" verhalten, ihn nicht "gefeiert". Das werde er ihm nie vergessen. Er wisse jetzt, was er von ihm zu halten habe. Unseld müsse damit rechnen, dass er dies auch seinen Freunden Jürgen Habermas und Uwe Johnson mitteilen würde. Von nun an werde er ihn nur noch als Vertreter des Verlages ansehen. Dinge, die ihn im Innern berührten, würde er nicht mehr mit Unseld besprechen, sondern nur noch mit Leuten, die an ihm interessiert seien.
Fassungslos hält der Verleger fest, was er zu seiner Verteidigung vorbringt. "Ich hatte bis zu diesem Datum darauf gebaut, dass es auch Freundschaft in der Beziehung zwischen Autor und Verleger geben könne, aber seit diesem Datum weiß ich, dass ich mich darauf einstellen muss, das Rettungsmittel kann nicht Liebe sein, sondern nur Arbeit", schreibt er. Er formuliert einen Nachtrag zum Nachtrag und offenbart seine Verzweiflung. Wichtig sei für ihn das, was Frisch an Arbeit für ihn gegeben habe. Das zähle. Er ist tief erschüttert und zugleich gewappnet für die Monster-Ego-Begegnungen, die ihm bevorstehen. In Ohlsdorf wird ihn Thomas Bernhard in ähnlich ungemütlicher Stimmung mit großer Geste fragen: "Was bin ich für Sie, was bin ich für den Verlag?"
JULIA ENCKE
Siegfried Unseld: "Reiseberichte". Herausgegeben von Raimund Fellinger. Suhrkamp Verlag, 380 Seiten, 26 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die "Reiseberichte" von Siegfried Unseld
Zum 70. Geburtstag des Suhrkamp Verlags ist jetzt endlich ein Buch erschienen, das schon lange angekündigt war und das der Cheflektor des Suhrkamp Verlags, Raimund Fellinger, vor seinem Tod am 25. April 2020, glücklicherweise noch fertigstellen und mit einem Nachwort versehen konnte: die "Reiseberichte" des ehemaligen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld. Mehr als 1500 solcher Berichte verfasste dieser nach seinen Reisen, nachdem er 1959 - da war er 35 Jahre alt - die Nachfolge von Peter Suhrkamp angetreten hatte. 35 dieser Texte hat Fellinger ausgewählt, um zu zeigen, wie der junge Verleger "sich die Welt der Autoren, Kritiker, Agenten und Kulturinstitutionen über Deutschland hinaus aneignete": "Worüber man sprechen kann, darüber soll man berichten", sagte, frei nach Wittgenstein, Unseld 1967 einmal selber über diese Textform.
Wann immer er also den Verlag verließ und in Autos, Züge, Flugzeuge stieg, um Autorinnen oder Autoren zu treffen, Buchhändler, Agenten, Verlagsmitarbeiter im Ausland, mit denen er Verträge und Auslandslizenzen durchsprach, Theaterleute, mit denen er Premieren und Uraufführungen besuchte, hatte er ein Diktaphon dabei: ein Grundig Stenorette SL. Er machte sich kurze handschriftliche Notizen, diktierte dann das, was er für die Arbeit im Verlag für wichtig hielt. Eine der Sekretärinnen tippte es ab und verteilte es an die Abteilungsleiter und das Lektorat, die wiederum ihre Kenntnisnahme bestätigen und das Gelesene an den Verleger zurückgeben mussten. Alles streng vertraulich natürlich. Die Weitergabe des Inhalts an Personen außer Haus war verpönt.
Es sind deshalb Betriebsgeheimnisse, die wir hier lesen können, aufschlussreiche Dokumente über die zeitgenössischen Bedingungen der Verlagsarbeit. Der erste von Fellinger ausgewählte Bericht ist der von einer Berlin-Reise im April 1959 ins Brecht-Archiv, zu Brechts Witwe Helene Weigel, aber auch zur Buchhandlung Schoeller; der letzte stammt vom 18. Mai 1998 und protokolliert eine Reise nach München, deren Anlass die Beerdigung des Schriftstellers Hermann Lenz ist. Hans Magnus Enzensberger holt Unseld vom Flughafen ab, zusammen fahren sie bei der Buchhandlung Lehmkuhl vorbei. Im Anschluss an die Trauerfeier, bei der auch Peter Handke und der Verleger Michael Krüger sind, lädt Hubert Burda in das Restaurant "Grüntal" im Englischen Garten.
Dazwischen stehen New York, Boston, Detroit, Warschau, Paris, Zürich, Tokio, Kyoto, Israel, Wien, Prag oder Moskau. Siegfried Unseld ist ein Weltreisender. Und es mag auch am Entstehungsprozess der Berichte liegen, der eigentlich ein literarischer ist - Unseld schreibt auf, was man ihm sagt, er diktiert, das Diktierte wird in Schrift übertragen -, dass die Texte über das Protokollarische hinausgehen und sich selbst wie literarische Porträts oder Erzählungen lesen. Vor allem liegt dies aber an der Offenheit des Verlegers, der sich seinen Mitarbeitern auch in für ihn nicht immer nur vorteilhaften Situationen zu zeigen bereit ist und so einen schonungslosen Blick auf das freigibt, was ein Verleger auszuhalten bereit sein muss.
Nichts zeigt dies so sehr wie der erschütternde Reisebericht vom Mai 1971 in New York, wo Max Frisch seinen 60. Geburtstag feiert. Es ist der Besuch bei einem Monster-Ego. Unseld trifft zusammen mit Helene Ritzerfeld, die bei Suhrkamp die Abteilung Rechte und Lizenzen leitet, morgens bei Frisch ein, der 45 West 10th Street wohnt, sie unternehmen eine Schiffsfahrt, laden Frisch und seine Frau zum Mittagessen ein, besprechen laufende Verlagsdinge, klären den Stand der Verhandlungen für die Verfilmung "I'm Not Stiller". Frischs "Tagebuch" sei "in Amerika einfach nicht zu platzieren", es sei zuerst von den renommierten Verlagen und dann von sieben weiteren abgelehnt worden, hält Unseld fest. Am 20. Mai veranstaltet der Suhrkamp Verlag in New York dann für Max Frisch im Restaurant "Elaine's" einen Empfang mit vielen Ehrengästen (4000,- D-Mark). "Ich glaube, Frisch war diese Party nicht unangenehm", liest man.
Doch dann folgt ein "Nachtrag", der von einem Mittagessen am 19. Mai 1971 berichtet, bei dem der vorher schon verstimmte Max Frisch ausrastet: Unseld sei mit "leeren Händen" nach New York gekommen, er habe sich am Tag seines Geburtstages "schäbig" verhalten, ihn nicht "gefeiert". Das werde er ihm nie vergessen. Er wisse jetzt, was er von ihm zu halten habe. Unseld müsse damit rechnen, dass er dies auch seinen Freunden Jürgen Habermas und Uwe Johnson mitteilen würde. Von nun an werde er ihn nur noch als Vertreter des Verlages ansehen. Dinge, die ihn im Innern berührten, würde er nicht mehr mit Unseld besprechen, sondern nur noch mit Leuten, die an ihm interessiert seien.
Fassungslos hält der Verleger fest, was er zu seiner Verteidigung vorbringt. "Ich hatte bis zu diesem Datum darauf gebaut, dass es auch Freundschaft in der Beziehung zwischen Autor und Verleger geben könne, aber seit diesem Datum weiß ich, dass ich mich darauf einstellen muss, das Rettungsmittel kann nicht Liebe sein, sondern nur Arbeit", schreibt er. Er formuliert einen Nachtrag zum Nachtrag und offenbart seine Verzweiflung. Wichtig sei für ihn das, was Frisch an Arbeit für ihn gegeben habe. Das zähle. Er ist tief erschüttert und zugleich gewappnet für die Monster-Ego-Begegnungen, die ihm bevorstehen. In Ohlsdorf wird ihn Thomas Bernhard in ähnlich ungemütlicher Stimmung mit großer Geste fragen: "Was bin ich für Sie, was bin ich für den Verlag?"
JULIA ENCKE
Siegfried Unseld: "Reiseberichte". Herausgegeben von Raimund Fellinger. Suhrkamp Verlag, 380 Seiten, 26 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Einzelne Episoden herauspickend blättert Rezensent Arno Widmann durch die Reiseberichte Siegfried Unselds und sieht mal hier, mal dort ein Schlaglicht auf unsere Gegenwart geworfen. Aber so richtig warm scheint er mit dem Buch nicht geworden zu sein, seine Rezension ist eher nüchtern und referierend als schwärmend. Beeindruckt hat ihn allerdings die "Doppelexistenz" des Verlegers Unseld, der gleichermaßen am Inhalt der Bücher interessiert war wie an Geld- und Organisationsfragen. Anders geht's wohl auch nicht mit dem Verlegen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»... nicht nur wie Bruchstücke jener Autobiografie, die Unseld schreiben wollte, sondern fast wi3e der Bildungsroman einer eigenwilligen Figur, die vom durch Hermann Hesse protegierten Verlagsarbeiter zum prominentesten Alphatier der Branche aufstieg und diese in einer Weise dominierte, wie es heute nicht mehr vorstellbar ist.« Thomas Schaefer taz. die tageszeitung 20200801