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Was funkelt da so bräunlich? Auf Schatzsuche mit Claire Beyer / Von Pia Reinacher
Diesen Roman müßte man von hinten nach vorne lesen. Denn er stellt viele Barrieren in den Weg, lockt den Leser mutwillig in Hinterhalte, gräbt Gruben, in die er hineinstolpert, und spielt mit ihm Verstecken. Vieles bleibt bis zuletzt als unlösbares Rätsel im Textgewebe hängen. Erst vom Ende her erhellt sich rückwärts manch Verborgenes in dem vertrackten Erzählprogramm. Das ist gleichzeitig ein Vor- und Nachteil. Claire Beyer hat die Geschichte eines jüngeren und eines älteren Paares geschrieben, die beide scheitern - aus unterschiedlichen Gründen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie die Wahrheit verschweigen. Im Zentrum steht hier wie dort eine gigantische Lebenslüge, die verhüllt wird - mit geradezu wahnhafter Behutsamkeit und provozierender Bedächtigkeit.
Der entscheidende Vorzug des Romans liegt in der Spiegelung des Inhalts in der Form. Sowohl das ältere wie auch das jüngere Paar verdecken das Geheimnis so lange, bis unter dem Druck einer Lebenskatastrophe alles ins Wanken gerät und die Wahrheit plötzlich hinausgeschleudert wird. Auf einen Schlag erscheint die Realität in einem völlig anderen Licht. Im Falle von Friedrich und Margarete sind es die den ermordeten Juden gestohlenen Goldbarren, die Jahrzehnte später durch Zufall unter dem Fußboden ihres Ferienhauses in den Pyrenäen entdeckt werden. Im Falle des jüngeren Ehepaars Kira und Philipp ist es die desaströse Ehe, die auf der Basis übertriebenen Ehrgeizes aufgebaut wurde und schon längst im Überdruß untergegangen ist. Die Krise bricht aus, als sie im Ferienhaus der älteren Nachbarn Urlaub machen. Je einsamer das Paar in der wilden Landschaft an der Grenze zu Spanien wird, desto deutlicher werden die Risse.
Diesen Inhalt transportiert Claire Beyer auf der strukturellen Ebene mit analogen Mitteln. Genauso wie beide Ehepaare das Unaussprechliche verschleiern, sind es im Text die Leerstellen und das Verrätselte, die Atempausen und das Verdunkelte, die schließlich die lange verleugnete Realität an den Tag bringen. Allerdings fordert dieses Verfahren vom Leser zähe Entschlüsselungsarbeit.
Soweit die Vorzüge des Romans "Remis" der 1947 geborenen deutschen Schriftstellerin Claire Beyer, die im Alter von dreiundfünfzig Jahren die literarische Bühne betrat und mit dem Romandebüt "Rauken" gleich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Mit ihrem neuen Buch hat sie sich allerdings viel vorgenommen. Nicht nur will sie eine Studie scheiternder Ehen unterschiedlicher Generationen präsentieren, sie verklammert das beziehungstechnische Debakel mit dem Trauma deutscher Geschichte.
Friedrich Fellbrügge war in Namibia zur Welt gekommen, sein Vater besaß eine Farm und wollte wie andere auch von den Diamantenschätzen des Landes profitieren. Die Eltern Margaretes starben bei der Bombardierung Hamburgs. Weil die eng befreundeten Väter einen Pakt geschlossen hatten, sich notfalls gegenseitig um ihre Kinder zu kümmern, kommt es zur Verbindung zwischen Margarete und Friedrich. Aber die einst fröhliche Frau wird immer depressiver, ihr Mann immer ratloser. Er weiß nicht, daß sie von der Schuld der Eltern erfahren hat und keine Ruhe finden kann. Das Unrecht des Vaters zu tilgen, das nahm sich die Tochter vor - und scheiterte. Aber nicht nur dies drückt sie zu Boden: Sie verliert den Respekt vor dem toten Familienoberhaupt, und das ist schlimmer als alles andere.
Claire Beyer schlägt hier einen kühnen Bogen zum jüngeren Paar als Vertreter der Töchter und Söhne der in das Bösen verstrickten Väter. Die vermeintliche Pianistenkarriere von Kira endete in einer tristen Klavierlehrerexistenz. Der ehrgeizige Graphiker Philipp, der die Frau mit Marketingstrategien zum Erfolg drängen wollte, wendet sich von ihr ab. Die Liebe erkaltet. Die Beziehung wird nur noch künstlich am Leben erhalten. Die Frau hält sich zeitweise einen Liebhaber. Dieses Geheimnis treibt den Mann um. Trotzdem schafft er es nicht, sich mit den Fakten zu konfrontieren. An dieser Stelle wird das Erzählkonzept allerdings allzu prätentiös. So wie die Eltern an ihrer bleischweren Geschichte scheiterten - dies die Botschaft des Romans -, so gehen wiederum die Beziehungen der Kinder an deren hedonistischem Lebensgehabe zugrunde. Mehr noch: Auch diese Generation, meint die Autorin, läßt sich auf der Stelle korrumpieren, wenn sie Vorteile wittert. Denn verführt vom funkelnden Glanz des Goldes, das Kira im Ferienhaus findet, nimmt sie es ohne Überlegung an sich und reist ohne den Mann ab.
Da zeigen sich denn doch auch die Schwächen des Romans, der in der Durchführung des ehrgeizigen Erzählkonzepts stellenweise ins Schlingern gerät. Das Buch leidet gleichzeitig an den unaufgelösten Rätseln und den überdeutlichen Signalen. Hinter allen geheimnisvollen Verweisen sind denn doch unverschlüsselt eine bleischwere Moral auszumachen und der gutgemeinte Versuch, Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu schaffen.
Claire Beyer: "Remis". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2006. 175 S., geb., 20,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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