Sie befinden sich sicher NICHT in einer feministischen Beratung, wenn Sie auf die Schilderung eines Gewalterlebnisses die Frage »Haben Sie ihn irgendwie provoziert?« oder den Satz »Zum Streiten gehören immer zwei« hören. Sie befinden sich ziemlich sicher in einer feministischen Beratung, wenn Sie die Beraterin fragt, wer denn bei Ihnen zuhause die Wäsche wäscht. Feministische Beratung zeichnet sich durch die Haltung aus, die Berater*innen zum Thema Geschlecht einnehmen, nämlich nicht normierend und beschränkend, sondern emanzipatorisch und offen. Denn Gender ist etwas, das wir tun. Es ist das soziale und kulturelle Geschlecht, die Geschlechterrolle. Es sitzt also nicht zwischen unseren Beinen, sondern zwischen unseren Ohren, im Kopf. Dr.in Bettina Zehetner ist Mitbegründerin der Beratungsplattform FRAUEN* BERATEN FRAUEN*, Wien. Konkrete Beispiele aus der Praxis zeigen, wie eine feministische Haltung die Therapie verändert und wie aus dem frischen Blick auf traditionelle Konzepte eine psychosoziale Beratung erwächst, die Hilfesuchende befähigt, mit kritischem Bewusstsein geschlechtsspezifische Bewertungen von Verhalten und Eigenschaften zu hinterfragen. Die Erkenntnis, dass die eigenen Probleme gesellschaftlich mitverursacht sind und dass es ein physisches und psychisches Leiden an Geschlechternormen gibt, setzt dem Gefühl persönlichen Versagens etwas entgegen und verleiht den Mut, eigene tiefgreifende Problemlösungen zu wagen.
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