Das Buch gibt Einblicke in Myanmar erfolgten Reformprozess zwischen 2010 und 2015, der Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel es politischen Systems geweckt hatte. Die beiden Autoren, lange Zeit als Journalisten der FAZ und der ARD in Südostasien tätig, waren damals – wie viele andere Beobachter
– der Ansicht, das Land könne auf dem Weg sein, sich von der „schlimmsten Militärdiktatur zur…mehrDas Buch gibt Einblicke in Myanmar erfolgten Reformprozess zwischen 2010 und 2015, der Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel es politischen Systems geweckt hatte. Die beiden Autoren, lange Zeit als Journalisten der FAZ und der ARD in Südostasien tätig, waren damals – wie viele andere Beobachter – der Ansicht, das Land könne auf dem Weg sein, sich von der „schlimmsten Militärdiktatur zur jüngsten Demokratie der Welt“ zu wandeln. Diese Hoffnung ist durch den Militärputsch vom Februar 2021 gründlich enttäuscht worden. Auf diesem Hintergrund lohnt es sich, die zwölf Reportagen der beiden in der Region tätigen Beobachter unter dem Gesichtspunkt zu lesen, worauf die beiden Autoren ihre Hoffnung gestützt haben.
Es sind vor allem zwei Gesichtspunkte, unter denen die Entwicklung des Landes betrachtet werden - Wirtschaft und das Zwillingspaar „Demokratie und Menschenrechte“. Sie sind die goldenen Fäden, die die in dem Buch versammelten Begegnungen mit Bürgern des Landes, deren Lebensgeschichten und Ansichten miteinander verknüpfen.
Im Blick auf die Wirtschaft könnte Myanmar ein Paradies für Investoren werden und damit den Status erreichen , den es schon einmal hatte. Unter der britischen Kolonialherrschaft, so wird behauptet, war Burma das „reichste Land Südostasiens“. Der Haken an dieser Aussage ist, dass sie mit Fakten schwer zu belegen ist. Noch wichtiger: Der von den Briten eingeführte kapitalistische Weg zum Reichtum wurde vom Volk und seinen Führern vehement bekämpft weil er nur den „Fremden“ zugute kam, Briten, Indern und Chinesen. Den Unabhängigkeitsheld Aung San und seine Kollegen lehnten den Kapitalismus ebenso ab wie die Einführung demokratischer Reformen nach britischem Vorbild.
Was Demokratie und Menschenrechte angeht, ruhen die Hoffnungen im Lande und auch bei den Autoren auf Aung San Suu Kyi, der Tochter des Unabhängigkeitshelden. Sie steht als Führerin er bei den Wahlen von 2015 siegreichen Nationalen Liga für Demokratie (NLD) vor einer „Herkulesaufgabe“. Ob sie die bewältigen kann, ist ungewiss. Ihre Partei ist keineswegs demokratisch strukturiert. Ihr Verhältnis zu der vom Militär entworfenen Verfassung ist zweideutig. Und in Sachen Menschenrechte hat auch sie sich nicht für die entrechteten Rohingya eingesetzt Bis zum Erreichen einer „echten“ Demokratie in Myanmar ist es noch ein weiter Weg.
Heute ist klar, dass Aung San Suu Kyi die gigantische Aufgabe, ihr Land nach vorn zu bringen, nicht hat stemmen können. Nach der Logik der Autoren ist das ein Sieg des bösen Militärs über die gute, wenn auch nicht vollkommene, Hoffnungsträgerin. Demokratie hätte die Macht der Langzeit-Diktatoren ebenso bedroht wie ihre wirtschaftlichen Pfründe. Damit wird das bunte Kaleidoskop von Einblicken in die Lebenswirklichkeiten und Probleme der Menschen in Myanmar in einer Übergangszeit überlagert von den Klischees, die die Vielfalt eines exotischen Landes nach den Mustern der eigenen europäischer Werte beurteilt. Man könnte das eine Form des journalistischen Neokolonialismus nennen.
Was „Demokratie“ in einem buddhistischen Lande wie Myanmar bedeuten könnte, bleibt hier völlig unklar. Dasselbe gilt für die Antwort auf die Frage, warum der „weißgewaschene“ General Thein Sein dem Land nach seiner Wahl im Jahr 2011 Reformen beschwerte, die den Aufstieg Aung San Suu Kyis und ihrer Partei erst möglich machten.Auch die Hintergründe der Tragödie der Rohingya, die auf die Kolonialzeit zurückgehen, bleiben im Dunkeln.
Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn diese beschränkte Sichtweise nicht auch die westliche Politik gegenüber Myanmar bestimmen würde. Seine Schönheiten wie seine vielen Gegensätze machen es zu einer idealen Projektionsfläche für westliche Fantasien. Das hilft dem Land allerdings keineswegs, eher ihm Gegenteil.
August 2021 Hans-Bernd Zöllner