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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Entdeckung eines Romans über den gesellschaftlichen Zustand des "Dritten Reichs": Karl Alfred Loesers "Requiem" erzählt von einem jüdischen Musiker
"Der Fall Krakau" lautete der ursprüngliche Titel des Manuskripts von Karl Alfred Loeser. Der nunmehrige, "Requiem", stammt von Peter Graf, der den Roman aus Loesers Nachlass herausgegeben hat. Der Hinweis auf die katholische Totenmesse ist irreführend. Im Text geht es um den Lebenslauf eines jüdischen Cellisten. Aber auch die musikalischen Bezüge im Buch sprechen gegen den Titel. Zentraler Komponist im Roman ist Beethoven, aus dessen Feder kein Requiem erhalten ist. In seinem Nachwort schreibt Graf, dass bei Loesers Manuskript "eine Überarbeitung angebracht" war, um "jenen Arbeitsprozess zwischen Autor und Verlag beziehungsweise Lektorat nachzuholen, der gewöhnlich vor Drucklegung eines Manuskripts notwendig und üblich ist". Wie gravierend der Herausgeber dabei in den Text eingegriffen hat, bleibt offen.
Karl Alfred Loeser war ein Schriftsteller, dessen Arbeiten bislang unveröffentlicht blieben. Er wurde 1909 in Berlin geboren, emigrierte als Jude zuerst nach Holland, 1934 dann nach Brasilien, wo er für eine Bank tätig war. Nebenbei hat er geschrieben und musiziert. Wann Loeser gestorben ist, bleibt unklar; aus de Grafs Edition jedenfalls geht es nicht hervor. Der Roman "Requiem" handelt von dem jüdischen Musiker Erich Krakau, der in den Dreißigerjahren in einer westfälischen Stadt um seinen Job im städtischen Orchester fürchten muss. Der untalentierte Fritz Eberle, Sohn eines Bäckers, sieht mit dem aufkommenden Antisemitismus seine Chance gekommen, Krakaus Position als Cellist einzunehmen. Im Verlauf der Handlung spinnt ein Journalist mit Eberle eine Intrige, die dazu führt, dass Krakau bei einem öffentlichen Konzert in Schutzhaft genommen wird. Der Intendant des Stadttheaters bittet den Gauleiter, dem er im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet hat, um die Freilassung von Krakau. Am Schluss des Buchs wird Beethovens Oper "Fidelio" aufgeführt, und es findet eine Spiegelung zwischen der Handlung des Textes und dem Geschehen auf der Bühne statt: Ein mutiger Einsatz von Lisa Krakau für ihren inhaftierten Mann wird verglichen mit Leonore aus der Oper, die ihren Gatten Florestan aus dem Kerker befreit. Auch Krakau kommt frei, der Gauleiter erschießt sich, weil er für das falsche System gearbeitet hat, und ein Schankmädchen, das einer konspirativen Gruppe angehört, tötet den Journalisten, der gerade in seiner Wohnung Lisa Krakau unter Druck gesetzt hat.
Die Datierung des Romans ist unklar, er ähnelt in Motiven und Sprache "Doktor Faustus" von Thomas Mann. Auch Sturmtruppen, die in ein Konzert von Krakau eindringen, spielen auf Manns Vortrag "Deutsche Ansprache" von 1930 an, der damals durch die SA gestört wurde. Loeser überträgt die typischen dramaturgischen Bögen einer Oper auf die Handlung seines Buches. "Requiem" gehört aber gleich mehreren Gattungen an: Er ist Kriminalfall, historischer Roman, Liebesgeschichte und soziologische Studie. Fritz Eberle steht für Neid und Dilettantismus, der Journalist entwickelt einen krankhaften Ehrgeiz, Lisa Krakau ist die treue und liebende Ehefrau, die Emotionen ihres Mannes Erich richten sich auf seinen Beruf und die Musik. Es geht in "Requiem" vor allem um die Wahrheit des Herzens.
Doch auch Loesers gesellschaftliche Analyse ist differenziert. Ein Pianist, der mit Erich Krakau eine Cellosonate von Beethoven einstudiert, stellt sich auf die Seite des jüdischen Musikers, obwohl er antisemitisch eingestellt ist. Zu Krakau sagt er: "Nichts gegen Sie persönlich, verehrter Freund, was ich von Ihnen denke, das wissen Sie; ach, warum sind nicht alle wie Sie, glauben Sie mir, es gäbe schon lange keinen Antisemitismus mehr."
Zu den die Handlung vorantreibenden Personen hat Loeser den Mediziner Dr. Spitzer gesellt, einen jüdischen Arzt, der die geschichtliche Situation aus der Distanz betrachtet. Er emigriert mit seiner Familie erst nach Frankreich, dann nach Holland und schließlich in eine niederländische Kolonie. Im Gegensatz zu Krakau, der den Antisemitismus unterschätzt, erkennt Spitzer das historische Schicksal der Dreißigerjahre: "Was da gegenwärtig in der Welt vor sich geht, diese Krankheit, die allerorten ausbricht, wie eine Seuche sich weiter und weiter ausdehnt, ich möchte sie die Diktaturkrankheit nennen, und vergleichbar ist sie vielleicht mit den schwarzen Pocken. Denn, sehen Sie, wer soeben noch mit seiner Immunität, mit seiner Gesundheit prahlt, der mag sich in Wahrheit schon angesteckt haben, den Keim der Pest schon in sich tragen." Spitzer bedient sich aus dem Wörterbuch seines Berufs. Mit medizinischen Ausdrücken erstellt der Arzt eine Diagnose der Zeit.
Loesers Roman ist gelungen, weil er den Geist der Dreißigerjahre abbildet. Der gesellschaftliche Zustand wird zum Wasserzeichen des Textes. Das Unrecht der Zeit hat der Autor exemplarisch anhand des Geschehens um Erich Krakau dargestellt. Der ursprüngliche Titel des Manuskripts, "Der Fall Krakau", deutete darauf hin, dass die Spannung in der Biographie des Protagonisten liegt. Loesers Roman endet glücklich, ähnlich, wie es beim Autor selbst war: "Den Rechtschaffenen, denen, die an eine ausgleichende Gerechtigkeit glauben, mag es vielleicht zum Trost gereichen, dass Erich Krakau und seine Frau wohlbehalten über die Grenze gelangten, trotz aller Gefahren", heißt es im Epilog. THOMAS COMBRINK
Karl Alfred Loeser: "Requiem". Roman.
Hrsg. und Nachwort von Peter Graf. Klett-Cotta: Stuttgart 2023. 320 S., geb.,
24,- Euro.
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