Die Geschichte ist wahnsinnig originell: von Dystopien wird der Markt zur Zeit überschwemmt, aber ich habe noch nie eine Dystopie mit einer vergleichbaren Grundidee gelesen. Für die Jugendlichen auf Ixion scheint es zunächst eher eine Utopie zu sein, schließlich wird ihnen jeder Wunsch von den Augen
abgelesen. In den Kritiken zur englischen Originalausgabe habe ich ab und an gelesen, es sei…mehrDie Geschichte ist wahnsinnig originell: von Dystopien wird der Markt zur Zeit überschwemmt, aber ich habe noch nie eine Dystopie mit einer vergleichbaren Grundidee gelesen. Für die Jugendlichen auf Ixion scheint es zunächst eher eine Utopie zu sein, schließlich wird ihnen jeder Wunsch von den Augen abgelesen. In den Kritiken zur englischen Originalausgabe habe ich ab und an gelesen, es sei unrealistisch, dass sich die Kids keine Gedanken darüber machen, dass das Ganze einen Haken haben MUSS.
Schauen wir uns mal unsere Realität an: Anscheinend gibt es genug Jugendliche, denen man nur vorgaukeln muss, man würde ihnen einen Party-Urlaub finanzieren, und schon kann man sie zu den strengsten Eltern der Welt schicken oder sie 24 Stunden am Tag bei zutiefst peinlichem Verhalten filmen. Mehr und mehr wird uns in unserer heutigen Welt suggeriert, dass nur das eigene Vergnügen zählt und dass einem ein supertolles Leben quasi zusteht - dass da bei manchen Menschen (und nicht nur Jugendlichen!) jedes Gefühl abhanden kommt, dass jemand dafür zahlen muss, wundert mich nicht.
Genug abgeschweift! Ich hatte das Gefühl, dass dieser Roman unserer heutigen Gesellschaft den Spiegel entgegenhält. Dass wir die Geschichte ausgerechnet durch Retras Augen sehen, die den krassen Gegensatz verkörpert, machte das Ganze für mich umso interessanter. Dabei ist auch ihr Lebensstil ein ungesundes Extrem, am anderen Ende des Pegels: sie wurde von Geburt an darauf abgerichtet, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu verleugnen. Dadurch dauert es ein wenig, bis man als Leser ein Gefühl dafür bekommt, wer sie wirklich ist - denn auch Retra entdeckt sich gerade erst selbst. Aber ich habe schnell mit ihr mitgefiebert und ihr die Daumen gedrückt. Mehr und mehr entwickelte sich das schüchterne Mädchen zu einer starken jungen Frau, wobei es eine spannende, unerwartete Wendung gibt.
Die anderen Charaktere wurden für mich schnell lebendig und viele von ihnen habe ich richtig ins Herz geschlossen. Was für mich ein deutliches Zeichen ist, wie ansprechend und eindringlich die Autorin ihre Figuren schildert: obwohl es viele, viele Charaktere sind, konnte ich sie ohne Probleme auseinanderhalten und jederzeit geradezu vor mir sehen! Mein Lieblingscharakter ist Lenoir: er ist einer der Ripers, die die Insel kontrollieren, und er lässt sich nicht in die Schubladen "gut" oder "böse" stecken... Ich hoffe, dass er in den nächsten beiden Bänden auch eine zentrale Rolle spielen wird!
Es gibt eine Art Liebesgeschichte, die ich faszinierend fand - ich sage "eine Art", weil sie mit Romantik und zärtlichen Gefühlen erstmal wenig zu tun hat! Aber sie hat mich direkt in ihren Bann gezogen und war ein Grund dafür, warum ich einfach wissen musste, wie es in Band 2 weitergeht.
Apropros in den Bann gezogen: die Spannung baut sich von Anfang an schnell auf. Als Leser hat man direkt das Gefühl: hier muss was faul sein, das ist zu schön, um wahr zu sein. Was habe ich für wilde Theorien aufgestellt!
Ich wäre NIE darauf gekommen, um was es wirklich geht!
Der Schreibstil ist sehr dicht und spannungsgeladen und hat bei mir ein richtiges Kopfkino ausgelöst - ich würde dieses Buch wahnsinnig gerne verfilmt sehen!
Das Cover der englischen Version gefällt mir ein kleines bisschen besser als das deutsche: es passt besser zu der düsteren, abgründigen Atmosphäre, die sich im Laufe des Buches aufbaut. Aber auch das deutsche finde ich nicht schlecht: der halb schüchterne, halb herausfordernde Blick des Mädchens passt zu dem, wie ich mir Retra vorstelle.
Wer Dystopien mag, sollte dieser ungewöhnlichen Variante davon wirklich eine Chance geben - mich hat sie unterhalten, gefesselt, berührt und wollte mich nicht mehr los lassen.