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Regierungskrise, Ruhrkampf, Hitlerputsch: Der Überlebenskampf der Weimarer Republik 1923 zeigt die Verwundbarkeit von Demokratien.
1923 war für Deutschland ein Jahr der Krisen. Innere Kämpfe belasteten die Besiegten. Frankreich besetzte das Ruhrgebiet, um seine Ansprüche durchzusetzen. Die Kosten für den passiven Widerstand verursachten eine Hyperinflation. Die Große Koalition zerbrach, und die nationale Rechte versuchte in Bayern den Umsturz. Doch der Hitlerputsch misslang. Mit Mühe und Glück konnte Reichspräsident Friedrich Ebert die Republik vorläufig retten - doch zu wenige Menschen…mehr

Produktbeschreibung
Regierungskrise, Ruhrkampf, Hitlerputsch: Der Überlebenskampf der Weimarer Republik 1923 zeigt die Verwundbarkeit von Demokratien.

1923 war für Deutschland ein Jahr der Krisen. Innere Kämpfe belasteten die Besiegten. Frankreich besetzte das Ruhrgebiet, um seine Ansprüche durchzusetzen. Die Kosten für den passiven Widerstand verursachten eine Hyperinflation. Die Große Koalition zerbrach, und die nationale Rechte versuchte in Bayern den Umsturz. Doch der Hitlerputsch misslang. Mit Mühe und Glück konnte Reichspräsident Friedrich Ebert die Republik vorläufig retten - doch zu wenige Menschen wollten ihr noch vertrauen. 1923 wurde symptomatisch für die Instabilität der neuen Demokratie. Peter Reichel erkennt in diesen Ereignissen die Unfähigkeit der Parteien, Konflikte durch Kompromisse und Verhandlungen zu lösen. Anschaulich zeigt er: Der Umgang mit den Krisen von 1923 deutet bereits auf das Ende von 1933 hin.

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Autorenporträt
Peter Reichel, geboren 1942, lehrte bis 2007 als Professor für Historische Grundlagen der Politik an der Universität Hamburg. Bei Hanser sind erschienen: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus (1991);  Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit (1995); Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater (2004) und Rettung der Republik? Deutschland im Krisenjahr 1923 (2022)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2022

Das Weimarer Doppelgesicht

Ruhrbesetzung, Hitler-Putsch, linke Umsturzpläne, nationalkonservative Attacken, Hyperinflation: Die Weimarer Republik überstand 1923 einige Gefahren. Fünf neue Bücher widmen sich diesem Jahr.

Dass Bonn nicht Weimar sei, gehörte zu den unumstößlichen Glaubenssätzen der jungen Bundesrepublik. Je länger sie bestand und an politischer Reife gewann, desto mehr verflüchtigte sich dieses Credo. Die zunehmend stabile und selbstbewusste zweite deutsche Demokratie benötigte nicht mehr den Abgleich mit der früheren gescheiterten Republik als Negativfolie. "Weimar" als mahnende Gegenwartsformel verlor kontinuierlich an Bedeutung, bis sich in einer Zeit neuer Krisen ab etwa 2008 eine Trendumkehr ankündigte. Seither ist das Interesse an ins Wanken geratenen Demokratien deutlich gewachsen und die Rede von "Weimarer Verhältnissen" wieder häufiger zu vernehmen.

Vor dem Hintergrund der nicht abreißenden Krisen unserer Gegenwart dürften Publikationen über das spannungsgeladene Jahr 1923 von besonderem Interesse sein. Eine Reihe von Darstellungen ist rechtzeitig zum Zentenarium erschienen. Den Auftakt machten der Band "Im Rausch des Aufruhrs", in dem der Journalist Christian Bommarius Szenen eines Jahres kaleidoskopartig sichtete (F.A.Z. vom 22. März), sowie die Betrachtungen des Dubliner Zeithistorikers Mark Jones über ein paradoxerweise zugleich traumatisches wie demokratiestärkendes Jahr für die Deutschen (F.A.Z. vom 25. Juni). Nun liegen fünf weitere Darstellungen vor, die mit dem Blick auf 1923 die komplizierte politische, gesellschaftliche und kulturelle Lage der Weimarer Republik zwischen früher Revolutionszeit und dem relativ stabilen Jahrfünft ab 1924 nachvollziehbar machen wollen.

Die Bücher fügen sich in den Trend, anhand eines besonders geschichtsträchtigen Jahres gleichsam eine gesamte Epoche einzufangen zu suchen. Wie lang die Mode dieser Jahresschriften noch anhalten wird, ist nicht ausgemacht; mit "1923" bekommt sie aber nochmals Auftrieb, der zumindest bis zum Jahrestag des Hitler-Putsches in München im November 2023 andauern dürfte.

Dieses wohl berühmteste Ereignis jenes Jahres, wie es sich am 8./9. November zutrug, lässt sich wie ein historisches Kammerspiel erzählen, das Komik mit Tragik verbindet. Selbst wenn es schwerfällt, es im Rückblick als Posse abzutun. Zeitgenössische Kommentatoren, ob in der "Frankfurter Zeitung" oder der "New York Times", prophezeiten damals nach dem missglückten Griff nach der Macht vorschnell ein Ende von Hitlers politischer Karriere.

Gerade aufgrund dieser Fehleinschätzungen ist es wichtig, an zeitgenössische Wahrnehmungswelten und Urteile zu erinnern. Zumal schon die Mitlebenden spürten, wie außergewöhnlich dieses Jahr war. Stefan Zweig sprach in seiner Autobiographie von einer "Tollhauszeit" und Sebastian Haffner in seiner "Geschichte eines Deutschen" regelrecht konsterniert von einem "unmöglichen Jahr". Der Herausforderungen und turbulenten Ereignisse, wie sie gleich im Januar 1923 einsetzten, waren in der Tat viele. Ruhrbesetzung und -kampf stehen am Anfang der Chronologie und sorgten für eine Welle nationaler Empörung und Geschlossenheit. Die militärisch ohnmächtige Reichsregierung rief die Bevölkerung (insbesondere Kohlearbeiter und Eisenbahner) zu "passivem Widerstand" auf. Um den Lohnausfall zu kompensieren, warf sie die Gelddruckmaschinen an und steigerte die damit verbundene, schon fast ein Jahrzehnt andauernde Entwertung des Papiergeldes bis hin zur Hyperinflation.

Diese Vorgänge nehmen in allen Darstellungen zu Recht großen Raum ein, weil sie die gesamte Bevölkerung betrafen und abgesehen von einigen "Inflationsgewinnlern" vor allem schwer Geschädigte hervorbrachten. Mit der Inflation ging ein schwerwiegender Vertrauensverlust einher, der den Deutschen fortan in den Knochen steckte. Die massive Verunsicherung, verbunden mit einem neu auflodernden Nationalismus, begünstigte im Herbst 1923 eine Reihe von Bestrebungen, die auf eine Rechtsdiktatur zielten. Daneben suchten die Kommunisten, von Sachsen und Thüringen ausgehend einen roten "Deutschen Oktober" in Gang zu setzen. Dass diese Umsturzpläne ebenso wie separatistische Unterfangen im Rheinland misslangen, lag an manch glücklicher Fügung, vor allem aber auch am entschlossenen Handeln republikanischer Politiker - an vorderster Stelle Reichskanzler Gustav Stresemann und Reichspräsident Friedrich Ebert.

Volker Ullrich notiert für den Hunderttagekanzler Stresemann eine positive Leistungsbilanz, die er in einer entschlossenen Verteidigung von Verfassungsordnung und Parlamentarismus, in der Eindämmung der Hyperinflation mit der Einführung der "Rentenmark" und vielversprechenden Lösungsversuchen des Reparationsproblems erkennt. Die anderen Autoren sehen das ähnlich. Am kritischsten beurteilt Peter Longerich Stresemanns Krisenmanagement, das - wie das Jahr 1923 insgesamt - von erheblichen Kontrollverlusten gekennzeichnet gewesen sei. Wenn die Weimarer Demokratie damals noch nicht an ihr Ende gelangte, lag das für ihn weniger an staatsmännischem Geschick als an der mangelnden Geschlossenheit zwischen rechtsextremistischem und nationalkonservativem Lager zu diesem Zeitpunkt.

Insgesamt prägen die fünf Darstellungen aber kaum kontroverse Sichtweisen. Dabei unterscheiden sie sich in der Anlage stark voneinander. Ullrich hat so solide wie souverän den neuesten Wissensstand zu 1923 eingefangen, und Vergleichbares trifft auf Longerichs Buch zu. Wer nach einer umfassenden, verständlichen, entlang der multiplen Krisenmomente sinnvoll gegliederten und gut lesbaren Gesamtdarstellung sucht, wird in beiden Fällen bestens bedient. Nicht nur klar strukturiert, sondern auch lebendig und anschaulich ist insbesondere Ullrichs Darstellung, weil in ihr wohldosiert die Stimmen aufmerksamer Zeitzeugen zu vernehmen sind. Die Liste seiner Kronzeugen reicht von Thomas Mann und Hedwig Pringsheim über Victor Klemperer und Thea Sternheim bis zu Harry Graf Kessler und Sebastian Haffner. Hinzu kommt die Auswertung vieler Zeitschriften und Zeitungen, wodurch unterschiedliche Sichtweisen zur Geltung kommen.

Abgerundet wird Ullrichs Buch durch ein Kapitel zur kulturellen Szenerie, mit dessen Hilfe der Autor nochmals den Charakter einer janusköpfigen Zeit hervorhebt: Fundamentaler Vertrauenslust und fulminante Vergnügungssucht erschienen wie zwei Seiten einer Medaille. Diese Doppelgesichtigkeit ist auch aus den Büchern von Jutta Hoffritz und Peter Süß herauszulesen. Eine Geschichtsdarstellung im klassischen Sinne bieten sie allerdings nicht, vielmehr so etwas wie die retrospektive Inszenierung eines außergewöhnlichen Jahres, das sie Monat für Monat abhandeln. Die Journalistin Hoffritz lässt Akteure wie die Nackttänzerin Anita Berber und den Großindustriellen Hugo Stinnes, die Bildhauerin Käthe Kollwitz oder den Notenbankchef Rudolf Havenstein neben vielen anderen wiederholt auftreten. Das Kurzatmige der Zeit spiegelt sich in kurzen Absätzen wider, die häufig nur aus ein oder zwei knappen Sätzen bestehen.

Peter Süß, im Hauptberuf Filmschaffender, lässt hingegen größere szenische Blöcke geschickt geschnitten aufeinanderfolgen. Das ist temporeich und fängt in impressionistischer Weise wechselnde Zeitstimmungen gut ein. Anstelle einer historischen Erzählung oder Analyse eröffnet er so etwas wie den Blick in ein multiperspektivisches Tagebuch. Das von Hoffritz und Süß gepflegte historische Präsens soll ganz nah an die Vergangenheit heranführen. So unmittelbar und unterhaltsam das wirkt, geschieht diese Fokussierung doch bisweilen auf Kosten eines differenzierten und distanzierten historischen Urteils.

Peter Reichel hingegen sucht aus der Vogelperspektive mehr Ordnung in die Vorgänge zu bringen. Sein Buch beansprucht keine Vollständigkeit und will Konturen des Jahres 1923 mittels dreier Schwerpunkte angemessen deutlich machen. Der historisch geschulte Politikwissenschaftler skizziert zunächst Gefahren von außen, bevor er sich jenen von innen zuwendet und anschließend republikanische Rettungsversuche würdigt. Ein Ausblick wirft Schlaglichter bis ins Jahr 1925, als die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten eine deutliche Zäsur markierte. Es gab Alternativen, mit deren Hilfe sich stärker an die republikanische Ebert-Periode hätte anknüpfen lassen können, das betont Reichel fast ein wenig verärgert über eine zu geringe politische Reife der Wähler.

In seiner politikgeschichtlichen Betrachtung schärft er die Aufmerksamkeit für solche Wegmarken, stellt kontingente Momente ebenso wie jene eines fehlgeleiteten politischen Handelns heraus. So klar er rechtsextreme und nationalkonservative Attacken auf die Republik geißelt, kritisiert Reichel das Agieren einer radikalen Linken gegen das parlamentarisch-demokratische Verfassungswerk von 1918/19 doch besonders scharf. In den Kommunisten erkennt er die eigentlichen "Gegenrevolutionäre", aber auch kompromisslos antibürgerliche Kräfte in der SPD oder linkssozialistische Intellektuelle, die den Wert der konstitutionellen Revolution nach dem Ersten Weltkrieg gering schätzten, bekommen ihr Fett ab. Übertrieben wirkt Reichels Furor gegen Kurt Eisner, dem er gemeinsam mit weiteren Rätekämpfern die Verantwortung dafür zuschiebt, dass München erst zur rechtsradikalen "Ordnungszelle" werden konnte. Abgesehen von diesem übermäßig ausladenden Rekurs auf die bayerischen Verhältnisse 1919 hat Reichel eine lesenswerte Studie zur Staats- und Demokratiekrise der jungen Republik vorgelegt, die eine "Stunde der Hasardeure", aber auch der "integren Staatsmänner" erlebte.

Wie man es auch dreht und wendet, 1923 war kein eindeutiges Jahr. Momente der Demokratierettung und nationalen Rekonvaleszenz lassen sich ebenso konstatieren wie Ursprungsszenen eines mentalitätsgeschichtlich höchst gefährlichen Inflationstraumas und Vorboten der späteren Diktatur. Die Weimarer Republik erwies sich als erstaunlich resilient, ohne daraus dauerhafte Stabilität schöpfen zu können. Für Longerich litt die Weimarer Republik in den Folgejahren sogar unter einer gefährlichen "Stabilitätsillusion", da "strukturelle Grundprobleme" nur eingedämmt, aber nicht behoben worden seien. ALEXANDER GALLUS

Volker Ullrich: "Deutschland 1923". Das Jahr am Abgrund.

C.H. Beck Verlag, München 2022. 441 S., Abb., geb., 28,- Euro.

Jutta Hoffritz: "Totentanz". 1923 und seine Folgen.

HarperCollins Verlag, Hamburg 2022. 336 S., geb., 23,- Euro.

Peter Süß: "1923". Endstation. Alles einsteigen!.

Berenberg Verlag, Berlin 2022. 368 S., Abb., geb., 28,- Euro.

Peter Longerich: "Außer Kontrolle. Deutschland 1923.

Molden Verlag, Wien/Graz 2022. 320 S., geb., 33,- Euro.

Peter Reichel: "Rettung der Republik?". Deutschland im Krisenjahr 1923.

Hanser Verlag, München 2022. 288 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensentin Melanie Longerich bespricht drei zeitgleich erschienene Veröffentlichungen zum deutschen Krisenjahr 1923. Während Volker Ullrich in "Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund" einen detaillierten Überblick über sämtliche Ereignisse des Jahres liefere und Jutta Hoffritz in "Totentanz. 1923 und seine Folgen" das Jahr anhand von vier Zeitzeugen entfalte, geht der Politikwissenschaftler Reichel sehr analytisch und selektiver vor, wie Longerich vermittelt: Anhand dreier Fallstudien analysiere er die inneren und äußeren Gefahren der Weimarer Republik sowie anschließend deren Rettungsversuche aus der "Vogelperspektive", so die Kritikerin. Dabei liest sie neben Ausführungen zur Hyperinflation und zum Hitler-Putsch vor allem viel Wissenswertes zum dritten Krisenfaktor, der Ruhrbesetzung: So sei der Einmarsch französischer und belgischer Truppen ins Ruhrgebiet bei mehreren "Reparationskonferenzen" durchaus angekündigt worden, weil die Deutschen den Friedenssanktionen nicht nachkamen, und die große Empörung von deutscher Seite über den Einmarsch laut Autor durch einen Mangel an "kollektiver Empathie" und "politischer Bewusstseinsreife" zu erklären, weil die deutsche Bevölkerung die Ausmaße der Zerstörung in Belgien und Frankreich kaum mitbekommen hatte. Detaillierte Analyse, die die Kritikerin zu schätzen scheint.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2023

Als die Republik
sich behauptet hat
Hyperinflation, Not und Putschversuche
erschütterten 1923 die erste deutsche Demokratie.
Drei neue Bücher erzählen die Geschichte des
schicksalhaften Jahres. Von Robert Gerwarth
In seiner Weihnachtsbotschaft an das deutsche Volk Ende 1923 hatte der seit weniger als einem Monat amtierende Reichskanzler Wilhelm Marx wenig frohe Kunde zu verbreiten: „Wir sind verarmt, so verarmt (…) Noch nie war die Zahl derer, die kein täglich Brot verdienen konnten, größer.“ Der deutsche Mittelstand sei „zusammengebrochen“, in „vielen Angestellten-, Arbeiter- und Beamtenfamilien wird keine reine Weihnachtsfreude herrschen, weil Kündigungen und Gewerbslosigkeit sie befallen haben.“
Materielle Not war dabei nur ein Aspekt des deutschen Krisenjahres 1923, das uns hundert Jahre später vor dem Hintergrund aktueller wirtschaftlicher Verwerfungen und politischer Herausforderungen näher zu sein scheint als noch vor wenigen Jahren. Zu fern erschienen die multiplen Krisen der jungen, aus Weltkrieg und Revolution hervorgegangenen Weimarer Republik, die 1923 neben einer Hyperinflation auch die französisch-belgische Ruhrbesetzung und Putschversuche von links und rechts erlebte. Angesichts der erneuten Verdichtung von scheinbar vergleichbaren Krisenerfahrungen seit 2020 vermag es kaum zu überraschen, dass „1923“ ein Thema ist, das Historiker wie Öffentlichkeit gleichermaßen beschäftigt und mindestens bis zum 100. Jahrestag des Hitler-Putsches am 9. November 1923 fraglos auch weiterhin beschäftigen wird.
Bereits im Frühjahr 2022 erschienen mit Mark Jones„1923: Ein deutsches Trauma“ (Propyläen) und Christian Bommarius’ „Im Rausch des Aufruhrs“ (Aufbau-Verlag) zwei chronologisch gegliederte Gesamtdarstellungen des Krisenjahres mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Während Jones neue Erkenntnisse zur gewaltreichen Realität der französisch-belgischen Ruhrbesetzung, insbesondere von sexueller Gewalt gegen deutsche Frauen, zutage förderte, bot Bommarius ein schillerndes Panorama, das anhand von Einzelbiografien einen bewegenden Eindruck von den Krisenempfindungen und Zukunftsängsten der Zeitgenossen vermittelte, sich aber mit politikgeschichtlichen Analysen eher zurückhielt. Gleiches gilt für die anregenden Bücher der Zeit-Journalistin Jutta Hoffritz („Totentanz“, Harper Collins), und die eher kulturgeschichtlich ausgerichtete Darstellung des Drehbuchautors Peter Süß („1923. Endstation“, Berenberg-Verlag), in dem die Dramatik des Jahres anschaulich beschrieben wird.
Die Politik- und Gesellschaftsgeschichte des Jahres 1923 steht demgegenüber im Fokus der drei jüngsten Publikationen zum Thema, die unlängst von namhaften Autoren – den Historikern Volker Ullrich und Peter Longerich sowie dem Politologen Peter Reichel – vorgelegt wurden. Alle drei folgen dem mittlerweile etablierten Genre des historischen Jahresporträts, das spätestens seit Florian Ilies’ Buch „1913: Der Sommer des Jahrhunderts“ populär ist, allerdings mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten: Während Reichel seine thematische Analyse auf die zentralen innen- und außenpolitischen Herausforderungen des Jahres sowie die republikanischen Lösungsansätze fokussiert, bieten Ullrich und Longerich historische Gesamtdarstellungen, die die Ursachen, Abläufe und Folgen jener multiplen Krisen darstellen, die sich schon 1922 in Form einer galoppierenden Inflation abgezeichnet hatten.
Schon Ende 1922 sah sich die deutsche Reichsregierung außer Stande, die festgelegten Reparationszahlungen an die siegreichen Alliierten zu leisten, da diese in Gold und nicht in Reichsmark zu begleichen waren. Auch mit den Kohlelieferungen an Frankreich, die Teil der Entschädigungsleistungen waren, geriet Deutschland Ende 1922 massiv in Rückstand. Daraufhin marschierten im Januar 1923 französische und belgische Truppen ins Ruhrgebiet ein, um die geforderte Kohle zu konfiszieren. Die Regierung in Berlin rief darauf den passiven Widerstand aus, der jede Zusammenarbeit mit den Franzosen unterbinden sollte. Doch die Kosten dieser Politik waren auch für den deutschen Staat enorm, denn die Lohnfortzahlung all jener, die sich am passiven Widerstand beteiligten, schloss nicht nur die Reichsbahn im besetzten Gebiet ein, sondern auch den Kohlebergbau und die Eisen- und Stahlindustrie. Die wirtschaftliche Lage sollte sich im Laufe des Jahres weiter dramatisch verschlechtern. Wer im Januar 1923 einen US-Dollar wechseln wollte, erhielt dafür schon mehr als 17 000 Mark, im Juli waren es 353 000 Mark, im Dezember 4 200 000 000 000 Mark.
Auf ihrem Höhepunkt nahm die Hyperinflation aberwitzige Züge an. Geld verlor nahezu vollständig an Bedeutung. Die Druckereien kamen kaum noch mit der Produktion von Geldscheinen hinterher, Beschäftigte holten ihren wöchentlichen Lohn in Schubkarren ab, da das Papiergeld mittlerweile säckeweise ausgezahlt wurde. Eine ganze Generation deutscher Sparer wurde binnen kürzester Zeit komplett enteignet, oft mit tragischen Konsequenzen. Der Schriftsteller Maximilian Bern, dessen angesparte Altersvorsorge von 100 000 Mark aufgrund der Hyperinflation auf einmal nur noch für eine Tramfahrkarte reichte, gehörte zu denen, für die Geldentwertung fatale Folgen hatte: Bern kaufte die Karte und fuhr nach Hause, wo er verhungerte.
Die wirtschaftliche Not vieler Deutscher und die scheinbare Unfähigkeit der Politik, die Krise zu beenden, befeuerte den Aktionismus an den politischen Rändern, insbesondere bei der extremen Rechten, die seit 1918 der Demokratie in offener Feindschaft gegenüberstand – ein Thema, das bereits in Joseph Roths bemerkenswert hellsichtigem Roman „Das Spinnennetz“, veröffentlicht 1923, im Mittelpunkt steht. Roths Protagonist ist der fiktive, aber durchaus realistisch gezeichnete Ex-Leutnant Theodor Lohse, der seinen Lebensunterhalt nach dem verlorenen Krieg vom bescheidenen Gehalt eines Privatlehrers im Hause eines reichen jüdischen Geschäftsmanns bestreiten muss. Die tief empfundene Demütigung des militärischen Zusammenbruchs wie auch die Feindseligkeit, mit der ihn seine Familie bei der Rückkehr von den Schlachtfeldern Flanderns empfing, kann er nicht verwinden – „sie wurden alt und konnten es Theodor nicht verzeihen, dass er nicht seine Pflicht, als Leutnant und zweimal im Heeresbericht genannter Held zu fallen, erfüllt hatte. Ein toter Sohn wäre immer der Stolz der Familie geblieben. Ein abgerüsteter Leutnant und ein Opfer der Revolution war den Frauen lästig“.
Lohses sieht den einzigen Ausweg aus dem „sonnenlosen Kerker“ seiner entwerteten Existenz in der Entscheidung, den Krieg auf andere Weise fortzuführen und sich einer jener paramilitärischen Organisationen anzuschließen, von denen es in der Weimarer Republik viele gab – wie etwa die „Organisation Consul“ (O.C.), die neben Fememorden auch Anschläge auf prominente republikanische Politiker wie Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und Walther Rathenau verübte. Der echte O.C.-Aktivist und Freikorpsveteran Friedrich Wilhelm Heinz schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „Man redete uns vor, dass der Krieg nun zu Ende sei. Wir lachten darüber. Denn der Krieg, das waren wir selbst. Seine Flamme brannte in uns fort und umzog unser ganzes Tun mit dem glühenden und unheimlichen Bannkreis der Zerstörung.“
Die Staatskrise von 1923 ließ Vertreter der extremen Rechten glauben, dass der Zeitpunkt für einen erfolgreichen Putsch gekommen war. Auf den Tag genau fünf Jahre nach Ausrufung der Republik, am 9. November 1923, unternahm der weitgehend unbekannte Adolf Hitler mit seinem „Marsch auf die Feldherrnhalle“ den ersten Anlauf zu einer „nationalen Revolution“, die die „Verbrechen“ der Novemberrevolution sühnen sollte. Doch der dramaturgisch an die Machtergreifung Mussolinis 1922 angelehnte Putschversuch scheiterte kläglich. Als Hitler und seine Anhänger bewaffnet durch München marschierten, eröffnete die bayerische Polizei das Feuer und bereitete dem Putschversuch ein schnelles Ende. Sechzehn Nationalsozialisten starben im Kugelhagel. Hitler selbst konnte entkommen, wurde aber kurz darauf verhaftet. Bereits einen Monat zuvor hatte es konkrete Pläne deutscher Kommunisten gegeben, von Sachsen und Thüringen aus eine Revolution nach russischem Vorbild – den „deutschen Oktober“ – zu beginnen. Auch dieses Unterfangen scheiterte.
Bis Ende des Jahres 1923 hatte die Weimarer Republik somit ungleich dramatischere Herausforderungen überstanden, als sie die Bundesrepublik nach 1949 jemals bewältigen musste. Wie genau dies gelang und wie dauerhaft die folgende Stabilisierung zwischen 1924 und 1929 war, gehört zu den wenigen Fragen, die von Longerich und Ullrich unterschiedlich bewertet werden. Ullrich findet so deutlich positivere Worte für das Krisenmanagement des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert und des national-liberalen „Vernunftrepublikaners“ Gustav Stresemann, der im Jahr 1923 für einige Monate sowohl Reichskanzler als auch Außenminister war. In dieser Doppelfunktion erreichte Stresemann (mit amerikanischer Unterstützung), dass eine internationale Expertenkommission zur Überprüfung der Reparationenfrage eingesetzt wurde, die im Folgejahr einen neuen Zahlungsplan, den sogenannten Dawes-Plan, erarbeiten sollte. Dies leitete eine Phase der internationalen Entspannung ein, in deren Rahmen auch der Abzug der französisch-belgischen Truppen aus dem Ruhrgebiet erfolgte. Zur Stabilisierung der Finanzpolitik einigte sich das Kabinett am 15. Oktober 1923 auf die Einführung einer neuen Übergangswährung, der Rentenmark, deren Wert an den Goldpreis gebunden war und die Mitte November ausgegeben wurde. Das „Wunder der Rentenmark“ gelang: der Wechselkurs zum Dollar konnte auf Vorkriegsniveau stabilisiert werden.
Am Ende des Jahres 1923 hatte sich die Republik damit unter widrigsten Umständen behauptet. Extremistische Minderheiten auf der politischen Linken und Rechten waren marginalisiert, ihre Versuche, die Republik mit Gewalt zu stürzen, waren gescheitert. Trotz territorialer Verluste aufgrund des Versailler Vertrages war das Reich als nationaler Einheitsstaat bewahrt worden – entgegen französischen Ambitionen und dem Bestreben kleiner Separatistenbewegungen innerhalb Deutschlands.
Laut Longerich litt die Republik aber auch in den Jahren 1924 bis 1929 an einer „Stabilitätsillusion“, da wichtige strukturelle Probleme – insbesondere die Demokratiefeindlichkeit der Eliten – nie behoben werden konnten. Darüber hinaus schufen die wirtschaftlichen Verwerfungen von 1923 eine Vertrauenskrise und ein andauerndes Inflationstrauma. Auch für Peter Reichel war spätestens Ende 1923 jedwedes Restvertrauen der Deutschen in die Republik verspielt. 1923 sei symptomatisch für die Instabilität der neuen Demokratie gewesen, insbesondere die Unfähigkeit der Parteien, Konflikte durch Kompromisse und Verhandlungen zu lösen, und habe deshalb bereits auf das Ende von 1933 hingedeutet. Das stimmt fraglos, wenn man die deutsche Geschichte der ersten Demokratie vor allem durch das Prisma „1933“, also von ihrem Scheitern her liest. Eine solche Perspektive unterschätzt allerdings die vielen alternativen Entwicklungsmöglichkeiten, die bei Volker Ullrich stärker gewichtet werden, wie auch die Tatsache, dass noch bei den Reichstagswahlen von 1928 das prorepublikanische Lager eine Mehrheit gewann, während Hitlers radikale Botschaften des biologischen Antisemitismus, von Rassenlehre und nationaler Wiedergeburt durch gewaltsame Revision von Versailles in Deutschland nur bei einer sehr kleinen Minderheit Zuspruch fanden. Es bedurfte einer weiteren Katastrophe – der Weltwirtschaftskrise ab 1929 –, um aus der bis dahin unbedeutenden NSDAP eine Massenpartei werden zu lassen.
Dennoch: Wer nach einer soliden, quellengesättigten Orientierungshilfe für die atemlosen Ereignisse des Jahres 1923 sucht, ist nicht nur bei Ullrich sondern auch bei Longerich und Reichel in guten Händen. Was Ullrichs Darstellung allerdings hervorstechen lässt, ist nicht nur ihre gute Lesbarkeit, animiert durch eine Fülle von Zeitzeugen-Zitaten, von Thomas Mann bis Thea Sternheim. Eine besondere Stärke liegt in der Verknüpfung von Politik- und Kulturgeschichte, der er ein eigenes Kapitel widmet, das durch den Fokus auf die extreme Widersprüchlichkeit des Jahres – von Verzweiflung bis Vergnügungen aller Art – der subjektiven Wahrnehmung des Jahres 1923 durch die Zeitgenossen am nächsten kommt.
Der Historiker Robert Gerwarth lehrt am University College Dublin und leitet dort das Centre for War Studies. Zuletzt erschien seine Monografie „Die größte aller Revolutionen. November 1918 und der Aufbruch in eine neue Zeit“.
Stabilität war eine Illusion,
da wichtige strukturelle Probleme
nie behoben werden konnten
Peter Longerich: Außer Kontrolle. Deutschland 1923. Molden Verlag, Wien/Graz 2022. 320 Seiten, 33 Euro.
Peter Reichel: Rettung der Republik?
Deutschland im
Krisenjahr 1923.
Hanser, München 2022. 287 Seiten, 26 Euro.
Volker Ullrich:
Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund.
C.H. Beck, München 2022. 441 Seiten, 28 Euro.
Das Jahr der Putschversuche: Polizisten treiben Arbeiter beim kommunistischen Aufstand in Hamburg 1923 zur Vernehmung.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo
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"Eine kluge, sehr informative Abhandlung über die politischen Ereignisse dieses Krisenjahres." Jürgen Kanold, Südwest Presse, 07.01.23

"Eine solide, quellengesättigte Orientierungshilfe für die atemlosen Ereignisse des Jahres 1923." Robert Gerwarth, Süddeutsche Zeitung, 02.01.23

"Eine lesenswerte Studie zur Staats- und Demokratiekrise der jungen Republik." Alexander Gallus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.22

"Peter Reichel zeigt anschaulich, wie erbittert und risikoreich der Kampf um die Macht geführt wurde." Alfred Pfoser, Falter, 19.10.22